Montag, 20. Oktober 2014

Im Namen des Herrn

Nach einem Jahr auf der Pflegestation des Altenzentrums Ingelheim war mir die Lust am Zivildienst vergangen. Am Ende hatte ich so häufig das Pech, eine Tür zu öffnen und eine Leiche zu finden, dass eine Krankenschwester mir den Spitznamen „Todesengel“ verpasst hatte. Man gewöhnt sich nicht wirklich an tote Menschen, also beschloss ich, die Zivildienststelle zu wechseln. Beim Zivildienstlehrgang Anfang 1986 hatten mir die anderen Teilnehmer noch den Spitznamen „Angel“ gegeben, jetzt war ich also in einem Jahr zum Todesengel geworden.
Ich bewarb mich auf die Stelle des stellvertretenden Küsters der Christuskirche in Mainz und bekam den Job. Die Christuskirche ist so groß wie der Dom und steht auf einer Verkehrsinsel der Kaiserstraße, einer mehrspurigen Verbindung zwischen Hauptbahnhof und Rheinhafen, was ja durchaus zur protestantischen Ethik passt. Zu meinen Aufgaben gehörten Besorgungen in diversen Geschäften, kleinere Reparaturarbeiten, Rasenmähen und das Fegen des Kirchenvorplatzes. Sonntags musste ich – wie Quasimodo, mein Bruder im Geiste – die Glocken läuten, die Kirche aufschließen und die Liedtafeln anschlagen, damit die Besucher des Gottesdienstes auch wussten, welche Seite des Gesangbuchs sie aufzuschlagen hatten. Ich habe den Messweinkelch poliert und in der Sakristei gewartet, bis der Pfarrer seinen Job erledigt hatte.
Ich leitete eine Kinderbastelgruppe, wo ich einmal in der Woche darauf zu achten hatte, dass sich die Kids mit diversen Bohrmaschinen und der elektrischen Kreissäge nicht gegenseitig massakriert haben. Dabei hatte ich immer denselben kleinen Jungen im Arm, die nie basteln, aber dafür auf dem Arm getragen werden wollte. Die Mainzer Neustadt war damals noch eine Gegend mit dem herben Charme des Proletariats, inzwischen hat auch hier die Gentrifizierung zugeschlagen. Außerdem hatte ich einen Jugendkreis zu leiten, bei dem ich die größeren Kinder an einem Nachmittag in der Woche mit Gesprächen, Musik, Brettspielen und Tischtennis von Drogen und ungewollten Schwangerschaften abgehalten habe. Ich war auch als Betreuer auf der Konfirmandenfreizeit und habe mit den Leuten so beschissenes Brot gebacken, dass selbst dem gutmütigsten Christen beim Abendmahl die Tränen gekommen sind. Damals gab es in der Nähe der Kirche noch eine JVA, wo ein Kumpel von mir wegen Drogenhandels einsaß. Dort habe ich jeden Monat einen Stapel Gemeindebriefe an der Pforte abgeliefert.
In der Gartenfeldstraße hatte ich im Gemeindehaus ein WG-Zimmer, in dem ich nachmittags, wenn nichts zu tun war, Musik gehört und gekifft habe. Um 16 Uhr musste ich immer in der benachbarten Kita die Zimmer auskehren, wo zwischen diesen unglaublich kleinen Stühlen jede Menge Papierschnipsel herumlagen. Freitags habe ich auch immer den Innenhof des Gemeindehauses gefegt. Wenn man den Rhythmus raushat, ist Fegen eine sehr kontemplative Angelegenheit. Zum Abschied habe ich einen Gummibaum geschenkt bekommen, der wider Erwarten lange überlebt hat und den ich bei meinem Umzug nach Berlin weiterverschenkt habe. Das verdammte Ding ist nicht totzukriegen und lebt noch heute bei einem Freund in Schweppenhausen. Meinen Segen hat es.
Van McCoy – The Hustle. http://www.youtube.com/watch?v=qeUfDTn5huM

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