Donnerstag, 7. Juli 2022

September 1990

 

Ein paar alte Spiegel-Hefte habe ich aufgehoben. Gerade habe ich Ausgabe 38/90 vom 17. September 1990 gelesen. Da geht es in der Titelgeschichte um den deutschen „Bildungstrott“ und die alte neoliberale Forderung nach Beschleunigung der Ausbildung. Augstein war schließlich seit den 1950er Jahren FDP-Mitglied und 1972 sogar Bundestagsabgeordneter – allerdings gab er das Mandat nach drei Monaten wieder auf. In einem Kommentar zur bevorstehenden deutschen Einheit behauptet er, Deutschland sei ohne Österreich keine Nation. Was ist mit Breslau und Königsberg?

Großes Thema waren damals die Zwei-plus-vier-Verhandlungen über die deutsche Wiedervereinigung. Die hat nicht viel gekostet. 13 Milliarden Mark für die Russen, davon knapp acht Milliarden für deutsche Bauunternehmen, die 36.000 Sechzig-Quadratmeter-Wohnungen für die heimkehrenden Rotarmisten bauen sollen. In letzter Minute torpedierten die Briten noch die Vereinbarung, weil sie NATO-Manöver auf DDR-Gebiet forderten. Aber da machten die Russen nicht mit. Heute lachen wir darüber. Außerdem verpflichtete sich das neue Deutschland, das von Bush als „fünfte Weltmacht“ bezeichnet wurde („partner in leadership“), auf ABC-Waffen zu verzichten. Heute gibt es wieder Schwachköpfe, die eine deutsche Atombombe fordern.

Im Blatt wird die Verhaftung von Stasi-Meisterspion Markus Wolf am 3. Oktober, dem Tag der deutschen Einheit, angekündigt. Die Sache ist 32 Jahre her, also sehe ich im Internet nach, was aus Wolf geworden ist. Wenige Tage vorher setzt er sich über die Tschechoslowakei nach Österreich ab, schließlich in die Sowjetunion. Nach deren Zusammenbruch 1991 beantragt er politisches Asyl in Österreich, was abgelehnt wird. Er stellt sich den deutschen Behörden und wird mehrfach zu Haftstrafen verurteilt, die er aber nicht antreten muss. Lustig: eine Reise in die USA wird ihm von den Amerikanern verweigert, weil er ein „unverbesserlicher Kommunist“ sei. Er wurde 2006 in Berlin beerdigt (Gedenkstätte der Sozialisten). Sein Sohn Franz Wolf ist ein windiger Finanzjongleur im Offshore-Bereich, vor allem für die russische Alfa Group.     

 

 

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