Samstag, 16. Juli 2022

Hilfe

 

Er saß im Bus schräg vor mir. Schiefergrauer Anzug, hellbraune Halbschuhe. Er würdigte die Stadt keines Blickes und sah nur auf sein Handy. Offenbar ein Einheimischer, vielleicht auf der Rückfahrt nach Hause. Es war kurz vor sechs.

Ich weiß nicht, warum meine Wahl auf ihn fiel. Aber er war es. Das wusste ich. Keine Besonderheiten. Nichts Ungewöhnliches. Aber genau der Richtige. Er stieg am Kaiserdamm aus und ich folgte ihm.

Wenig später betrat er einen Altbau. Ich beobachtete ihn durch den Glaseinsatz der Haustür. Er stand vor dem Fahrstuhl und wartete. Dann verschwand er aus meinem Blickfeld. Ich ging auf die andere Straßenseite und setzte mich auf eine Bank.

Zwei Stunden später verließ er das Haus. Jetzt trug er eine Jeans und ein schwarzes T-Shirt. An seiner Seite war eine junge Frau, Mitte oder Ende zwanzig. Lange schwarze Haare, ein cremefarbenes Sommerkleid und Sandaletten mit Absatz.

Ich stand auf und folgte ihnen. Sie gingen in ein Bistro, das wenige Straßen weiter an einer Straßenecke lag. Ich wartete eine Minute, dann betrat ich ebenfalls das Lokal. Sie hatten einen kleinen runden Tisch am Fenster. Der Nebentisch war glücklicherweise frei, also setzte ich mich mit dem Rücken zu ihnen.

Sie bestellten Flammkuchen und Pinot Grigio, ich gab eine Quiche Lorraine und ein Glas Bier in Auftrag. Ich hörte ihnen zu. Es ging hauptsächlich um die Arbeit. Sie war offensichtlich Lehrerin und sprach von fremden Kindern, er war Angestellter in einer Personalabteilung und sprach von deprimierenden Bewerbungen.

Nach einer Stunde verließen sie das Bistro. Ich bezahlte und folgte ihnen wieder. Er hatte den Arm um ihre Schulter gelegt und drückte sie an sich. Ich hoffte, dass sie noch nicht gleich nach Hause gingen.

Plötzlich drehte sich der Mann um, sah mir ins Gesicht und fragte mich: „Kann ich Ihnen helfen?“

Aber mir war nicht mehr zu helfen.

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen