Im Nachhinein blicke ich gerne
auf meine Zeit als Hartz IV-Empfänger zurück. Endlich vom Joch der
Erwerbsarbeit befreit. Keine Termine, keine Verpflichtungen, kein Stress. Ich
hatte den ganzen Tag Zeit. Ich nutzte diese Zeit, um einen alten Traum zu
verwirklichen. Endlich hatte ich die Muße und die notwendige Energie, um Romane
und Kurzgeschichten zu schreiben. Zu schreiben, was ich wirklich wollte.
Das Job-Center ließ mich in
Ruhe. Ich hatte mich verpflichtet, fünf Bewerbungen pro Monat zu schreiben. Man
musste auf einem Formular die Namen der fünf Firmen angeben, bei denen man sich
beworben hatte. Ich suchte also aus dem Online-Stellenmarkt fünf Firmen aus und
schrieb ihre Adressen ab. Bewerbungen habe ich nie verschickt, aber es gab fünf
Euro pro Bewerbung vom Amt, also 25 Euro im Monat extra. Die Faulpelze haben
das doch sowieso nicht kontrolliert. Einmal im Jahr schickten sie mich zu einem
Bewerbungsgespräch. Ich ging in Jeans und T-Shirt hin, sagte kurz nach der
Begrüßung, dass mich das Job-Center schicken würde und konnte wieder gehen. Es
hat seine Vorteile, wenn man ein Aussätziger ist.
Natürlich bedeutet Hartz IV
Verzicht. Keine Besuche in Kneipen und Restaurants, kein Kino, kein Theater,
kein Konzert. Aber das hat auch seine Vorteile. Ich habe mit dem Rauchen
aufgehört, ich führte ein ökologisch vorbildliches Leben, da ich mir keine
Reisen leisten konnte. Ich lernte, Dinge zu schätzen, die umsonst sind. Ich
ging viel spazieren und lernte so allmählich Berlin kennen. Manchmal über
zwanzig Kilometer am Tag. Ein Halbmarathon, aber als Flaneur und nicht als
bemitleidenswerter Ehrgeizling, verstrahlter Askese-Mongo und lächerlicher Selbstoptimierer
in teuren Sportklamotten. Die Rundfunkgebühren zahlte das Amt, als Arbeitsloser
musste man in der Stadtteilbibliothek nichts bezahlen. Ich las viel, konnte
kostenlos TV und Radio nutzen, ich hatte meine Plattensammlung und meine
Stereoanlage.
Die Lebensmittel vom Discounter
waren unglaublich billig. Ein Toastbrot kostete fünfzig Cent. Ein Toastbrot
besteht aus zwanzig Scheiben. 2,5 Cent pro Scheibe Brot, dazu Margarine,
Marmelade und Wurst. Konserven waren spottbillig. Ravioli o muerte. Ich lernte,
dass Leitungswasser so gut wie Perrier schmeckt. Eine Flasche Wein kostete
damals bei Aldi weniger als zwei Euro. Eine Jeans bei Kik neun Euro, ein
T-Shirt zwei Euro.
Noch ein Vorteil: Wenn du arm
bist, lassen dich die Frauen in Ruhe. Vertreter können dir nichts aufschwatzen,
du kaufst kein überflüssiges Zeug. Endlich erkennst du deine wahren Bedürfnisse,
in meinem Fall Lesen, Schreiben, Musik, Freunde (auch kostenlos), Essen und
Trinken. Das Leben kann sehr einfach sein, wenn man sich auf die Basics
konzentriert. So lebe ich heute auch noch.
P.S.: Nach meiner Zeit mit Hartz
IV kam der Teilzeitjob als Kiezschreiber. 1500 € brutto = 1070 € netto im
Monat. Wäre ich damals Mieter, Autofahrer, Raucher und Hundebesitzer gewesen,
hätte ich wieder auf Sozialhilfeniveau gelebt. Aber ich habe mich mit 900 €,
die tatsächlich in meiner Brieftasche gelandet sind, nicht arm gefühlt.
"Frohes Schaffen"
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