Donnerstag, 26. Mai 2022

Von höheren Töchtern

 

Ein warmer Frühlingstag, ich sitze bei einem Glas Muskateller vor dem Gasthaus und erörtere mit dem Wirt die aktuelle Lage in der Bundesliga, als die Vorhut eintrifft. Es ist die besorgte Mutter, die vom Bürgersteig aus nach glutenfreien Gerichten für ihre allergische Tochter fragt. Erleichtert über den positiven Bescheid des Wirts zieht sie sich zurück, um fünfzehn Minuten später mit der Tochter und der Oma die Außengastronomie zu betreten.

Die Tochter ist in der Spätpubertät. Ihr hellbraunes Haar hat sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie trägt einen grauen Kaschmirpullover, einen knöchellangen Rock mit schwarz-grauem Karomuster und flache, schwarzglänzende Lackschuhe mit einer breiten Silberschnalle. Die Mutter fragt die Tochter, an welchem Tisch sie sitzen möchte. Sie schaut sich eine Weile um und entscheidet sich schließlich für den Tisch, vor dem sie gerade stehen. Nun darf sie sich als Erste den Platz aussuchen. Sie setzt sich auf den ersten Stuhl, schaut sich nach links und rechts um, überlegt einen Augenblick und steht wieder auf. So geht es reihum, während Mutter und Großmutter geduldig stehen bleiben und zuschauen. Zu viel Sonne, fehlender Ausblick, zu nah an der Mauer. Der ganze Tisch geht überhaupt nicht.

Die Prinzessin wählt den nächsten Tisch aus, der halb im Schatten steht. Es ist ein kleiner runder Tisch, perfekt für drei Personen. Das Spiel beginnt von vorne. Alle drei Plätze werden mit hoher Konzentration geprüft, ein Blick nach links, ein Blick nach rechts, während alle warten, inzwischen sogar ich. Dann kommt dem Wirt die rettende Idee. Er fährt die Markise aus, sodass der ganze Tisch im Schatten ist. Der Schwan lässt sich gnädig nieder und endlich kann sich auch der Rest der Familie setzen.

Der Wirt bringt die Speisekarte. Zum Glück bietet er mittags nur fünf Gerichte an. Madame entscheidet sich nach einer längeren Erörterung der Optionen für den Lachs und beschäftigt sich ab diesem Augenblick mit ihrem Handy. Kommunikative Anbahnungsversuche werden mürrisch und ohne aufzublicken mit knappen Antworten beschieden. Während ich mich den Ochsenbäckchen mit Semmelknödel widme, erfahre ich aus ihrem Gespräch, dass die Familie auf den Umzugswagen wartet. Die Tochter wird in den wunderschönen Altbau auf der anderen Straßenseite einziehen. Leider, so klagt sie, nur in eine Wohnung im Hinterhaus. Warum hat man diesem bedauernswerten Kind eine so armselige Unterkunft gekauft?

 

6 Kommentare:

  1. Im Ruhrpott spricht man von "Bratzen".
    Habe genug Erfahrung mit dieser Generation.
    Vor allem im Berufsleben, wenn die dann noch Ingenieurinnen geworden sind.
    Sagenhaft.
    Sofort Chef. Die absolute Impertinenz.
    Und die Vorgesetzten wixen sich einen wenn die dann sofort den Kleinkrieg beginnen. Weil dann reiben sich die Mitarbeiter schön gegenseitig auf.
    Divide et impera.
    Arschlöcher, die ganze Bande.

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  2. Das arme Mädchen. Da muss man doch etwas tun!

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  3. eigentlich ist sie wirklich arm, sie konnte dank ihrer familie kein sozialverhalten lernen. so wird sie ohne nachschulung immer eine last für alle sein. warum sagt ihr nicht mal eine/ einer bescheid? mutter und tochter brauchen eine klare ansage falls sie andere belästigen oder behindern. vielleicht ginge es mit konsequenter freundlichkeit und freundlicher konsequenz? ironie?

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    1. Von aussen geht da gar nichts. Allein das Leben, die alte Machete, ist zum Eingreifen legitimiert.

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