Mein Name ist Florian Käswemser.
Ich lebe jetzt seit drei Jahren in dieser Altbauwohnung in Charlottenburg. Man
betritt zuerst ein riesiges Berliner Zimmer, einen fensterlosen Raum ohne klar
definierte Funktion. Diese Raumaufteilung kenne ich von amerikanischen
Apartments und tschechischen Arbeiterwohnungen, wo man direkt in eine Wohnküche
kommt. Ich nutze den Raum als Bibliothek, als Küche sowie als Ess- und
Trinkzimmer. Nach links geht es in einen Flur, von dem drei Räume abzweigen:
Schlafzimmer, Badezimmer und Gästezimmer/Abstellkammer. Nach rechts kommt man
in einen großen hellen Raum, den ich als Wohn- und Arbeitszimmer nutze.
Aufgrund meiner guten
Beziehungen zum Einwohnermeldeamt konnte ich recherchieren, wer hier früher
gelebt hat.
Nach Fertigstellung des Hauses
1890 lebte hier bis 1918 ein Angestellter der Dresdner Bank mit seiner Familie.
Von 1918 bis 1930 wohnte hier
ein Vorarbeiter der AEG mit Frau und Kind. Er verlor in der
Weltwirtschaftskrise seinen Job und konnte sich die Wohnung nicht mehr leisten.
Dann zog ein jüdischer
Rechtsanwalt mit seiner Familie ein. Sie wurden alle 1943 in ein KZ deportiert.
Anschließend lebte hier die ausgebombte
Frau eines Wehrmachtsoffiziers mit ihren beiden Kindern. Sie freute sich über
die schön möblierte Wohnung im Biedermeierstil. Nachdem ihre Kinder ausgezogen
und nach Westdeutschland gegangen waren, lebte die Kriegerwitwe noch bis zu
ihrem Tod 1967 in diesen Räumen.
Von 1967 bis 1975 war die
Wohnung eine Studenten-WG.
Von 1975 bis 1988 lebte hier ein
lesbisches Paar aus Stuttgart.
Von 1988 bis 2007 wohnten hier ein
Grundschullehrer und eine Krankenschwester. Nach der Luxussanierung konnten
sich das Paar die Miete nicht mehr leisten und zog in den Wedding.
Von 2007 bis 2021 nutzte ein
FDP-Politiker die Wohnung. Seine Frau und seine Kinder, die er nur am
Wochenende sah, blieben in ihrem Reihenhaus in Düsseldorf. Nachdem er seine
Bundestagsmandat verloren hatte, ging der Politiker zurück in seine Heimat.
Jetzt wohne ich hier. Wer wird
mein Nachfolger sein?
Ich!
AntwortenLöschenDas Haus ist mein und doch nicht mein.
LöschenDie nach mir kommen, denen wird es auch nicht sein.
Gesehen an einem Winzerhaus an der Unstrut
.