Freitag, 7. Oktober 2022

Wohnungsnot? Welche Wohnungsnot?

 

Sandro Kuschinski, Malergeselle aus Hohenschönhausen, war seit Monaten auf Wohnungssuche. Aber die Wohnungsnot in der Hauptstadt ist groß. Gleichzeitig machten wegen der Energiekrise zahlreiche Bäcker ihre Läden dicht.

Da kam ihm eine großartige Idee: Warum nicht eine Bäckerei pachten und dort einziehen? Gesagt, getan. Der Vermieter war heilfroh, in der Wirtschaftskrise einen neuen Pächter gefunden zu haben. Kuschinski richtete sein neues Zuhause ein. Der Verkaufsraum wurde sein Wohnzimmer. Die Backstube sein Schlafzimmer. Eine Toilette mit Dusche war vorhanden. Kleiderschrank und Waschmaschine landeten im Lagerraum, wo er auch seinen restlichen Kram verstaute.

Nun saß er jeden Abend hinter der großen Schaufensterscheibe, sah Fernsehen oder surfte im Internet, knabberte Salzstangen und ging zum Kühlschrank, um sich ein neues Bier zu holen.

Bald darauf war er die große Attraktion in seinem Viertel. Die Leute standen vor dem Schaufenster und beobachteten ihn. Er war bekannt wie ein bunter Hund. Schließlich kamen Leute aus ganz Berlin und auch Touristengruppen, die eine Berlin-Reise gebucht hatten. Kuschinski störte es nicht. Sollnse glotzen, dachte er sich und kratzte sich behaglich den Hintern.

Nach nur vier Wochen, für Berliner Verhältnisse geradezu in Lichtgeschwindigkeit, tauchte ein Behördenmensch mit Hornbrille und Aktentasche bei ihm auf. Die Bäckerei sei eine Gewerbefläche und keine Wohnfläche, erklärte er Kuschinski und zitierte diverse Paragraphen aus einer Verordnung.

Aber Kuschinski war nicht blöd. Er erklärte dem Beamten, dies sei ein Kunstprojekt. Ein Happening. Eine lebende Installation. Der einfache Bürger als Zentrum der Gesellschaft. Heavy Message und so. Er würde mit dem Projekt demnächst in New York und Tokio weitermachen. Anfragen lägen bereits vor. Zuständig sei also die Senatsverwaltung für Kultur.

Und wenn er nicht gestorben ist, schläft er noch heute vor dem Backofen.

 

 

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