Mittwoch, 20. April 2022

Die Abreise

 

Wenn sie es nicht wissen, kommen sie zu dir ins Büro oder zu dir nach Hause. Stellen ein paar Fragen, machen sich Notizen. Verschwinden wieder. Wenn sie es wissen, bestellen sie dich in ihr Büro. Drohen dir, haben Indizien oder klare Beweise.

Als mich die Empfangsdame anrief und sagte, zwei Herren von der Polizei wollten mich sprechen, wusste ich, dass ich ein Problem hatte. Aber wieviel wussten die Polizisten von meinem Problem? Also sagte ich ihr, ich würde gleich zu ihnen hinunterkommen.

Ich fuhr mit dem Fahrstuhl in die Tiefgarage und stieg in mein Auto. Zum Flughafen Hahn sind es nur dreißig Kilometer. Ich stellte den Wagen auf dem Langzeitparkplatz ab. Hier würde er in den nächsten Wochen nicht weiter auffallen. Dann ging ich ins Flughafengebäude und sah mir die nächsten Abflüge an.

Palma de Mallorca. In vierzig Minuten. Ich ging zum Schalter und kaufte mir ein Ticket. 67 Euro mit Ryanair. Den Rückflug würde ich nicht brauchen, aber an ein einen Passagier, der nur den Hinflug bucht, würde sich die Frau am Schalter vielleicht erinnern. Ich zahlte bar, um keine weiteren Spuren zu hinterlassen.

Wie auf jedem Flughafen gab es schlecht bezahlte Security-Fritzen von Privatfirmen, die einfach nur ihre Ruhe haben wollten. Bullen der untersten Hierarchiestufe, die ihren eigenen Arsch noch nicht mal mit einem Stock und einem Spiegel finden würden. Und auf den kleinen Provinzflughäfen arbeitete sowieso nur die Kreisklasse. Niemand warf einen Blick auf meinen Personalausweis, niemand wunderte sich, dass ich kein Gepäck dabeihatte.

Mit 120 Malle-Deppen zwängte ich mich ins Flugzeug. Ich wusste, dass sie zwei Stunden später bei der Landung klatschen würden, und sie taten es wirklich. Vom Flughafen in Palma ließ ich mich mit einem Taxi an den Hafen bringen. Ich erwischte gerade noch die 13-Uhr-Fähre nach Barcelona. Als ich acht Stunden später ankam, dämmerte es bereits. Ich ging in ein Restaurant auf den Ramblas und nahm mir anschließend ein billiges Hotelzimmer am Hafen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass international nach mir gefahndet wurde. Nicht jetzt schon.

Am nächsten Tag flog ich nach New York. 264 Euro mit American Airlines. Diesmal zahlte ich mit Karte. Mein Bargeld wurde knapp. Aber mein Name stand sowieso auf der Passagierliste. Es würde eine Weile dauern, bis die Fahndung über Deutschland hinaus ausgeweitet wurde. Bis dahin wäre ich längst in den USA abgetaucht. Um Geld musste ich mir keine Sorgen mehr machen. Um Geld war es schließlich gegangen.

Vom JFK ließ ich mich mit dem Taxi bis zum Central Park fahren. Den Rest des Weges ging ich zu Fuß. Vor drei Monaten, als alles angefangen hatte, mietete ich unter falschem Namen ein kleines Appartement in der Upper West Side. West 83rd Street Ecke Riverside Drive. Nichts Besonderes. Wenn man die Wohnungstür öffnete, stand man direkt im Wohnzimmer mit Küchenzeile. Dahinter kamen ein Schlafzimmer und ein Bad. Aber mit Blick auf einen kleinen Park und den Hudson.

Über Western Union ließ ich mir jeden Monat Geld von meinem Konto in Panama City schicken. Von dort wurde auch die Miete für mein Appartement überwiesen. In Restaurants und Geschäften zahlte ich überall in bar. Natürlich würde mein Touristenvisum irgendwann ablaufen, aber warum sollte das NYPD meinen Ausweis kontrollieren? Ich würde mich unauffällig verhalten, nicht mit einem Auto fahren, keine Inlandsflüge buchen oder betrunken durch die Straßen torkeln. Ich fühlte mich sicher.

Bis es eines Tages an meiner Tür klingelte.

 

1 Kommentar:

  1. "Ein Roman ist wie der Bogen einer Geige und ihr Resonanzkörper wie die Seele des Lesers."

    Stendhal

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