Wer
auf dem Land lebt und kein Auto hat, sollte Geduld haben. Und Leute mit einer
bequemen Couch oder einem Gästezimmer kennen.
Vier
Stunden vor Anpfiff der Partie verlasse ich mein Haus in Schweppenhausen. Ich
gehe zur Dorfmitte, wo die Bushaltestelle ist. Mit dem Bus geht es nach
Stromberg, dort steige ich in den Bus nach Bingen. Eine Regionalbahn bringt
mich nach Ingelheim. Von dort geht es mit dem Bus nach Wackernheim. Vier
Verkehrsmittel, dreimal umsteigen, eineinhalb Stunden Fahrt – für zwanzig
Kilometer. Das schafft auch ein geübter Marathonläufer zu Fuß. Chancen für eine
Rückfahrt am selben Tag gibt es nicht, weil der Nahverkehr lange vor 20 Uhr die
Fahrten nach Schweppenhausen einstellt.
Immerhin
hält der Bus direkt vor dem Gasthaus. Ich bin mit vier Freunden zum Essen
verabredet. Endlich ohne Maske und Impfausweis. Das alte Leben ist zurück.
Corona ist auch kein Gesprächsthema mehr. Diverse Steaks, Schnitzel und Pizzas
später sind wir bereit für den ersten richtigen Fußballabend des Jahres. A.
besitzt eine Großleinwand nebst Beamer. Da läuft das Bayernspiel. Auf dem Fernseher
läuft ohne Ton das Madrid-Spiel. Nur so kann ich arbeiten. Bei großen Spielen
wie dem WM-Endspiel 2014 versammeln sich hier bis zu zwanzig Fans, dann müssen
allerdings in der Nachbarschaft Stühle geliehen werden. Alles läuft geschmeidig
wie in seit den frühen Achtzigern. Weinschorlen werden gemixt, Schnäpse
gereicht, Transfergerüchte (Lewandowski zu Barca!) erörtert.
Die
beiden Bayern-Fans unter uns hadern mit der Niederlage, aber alsbald wird über
Wein gefachsimpelt. G. hat sich erfreulicherweise ins Thema Nahewein (Schweppenhausen
hat schon einige Male die Naheweinkönigin gestellt) eingearbeitet und schwärmt
von der Vielfalt der Böden, von diversen selbstorganisierten Weinproben und den
beiden Weinkühlschränken, die er sich angeschafft hat. Hier wird wenigstens
noch mit Niveau gesoffen. Der Gastgeber ist Lehrer von Beruf, kann also am
nächsten Tag ausschlafen. Gegen ein Uhr schlafe ich friedlich auf der Gästematratze
unter der Großleinwand ein. Am nächsten Morgen fährt mich A. zum Ingelheimer
Bahnhof, von dort geht es mit dem Zug nach Bad Kreuznach und mit dem Bus zurück
nach Schweppenhausen. Nur eine Stunde Fahrt. Insgesamt vierzig Kilometer. Für
eine Schnecke ist das eine Weltreise. Auf dem Weg zu meinem Haus treffe ich die
Nachbarsfrau. Sie hat mit ihrem Mann gerade eine ukrainische Flüchtlingsfamilie
aufgenommen. Die Weltpolitik hat meine Dorfstraße erreicht.
P.S.:
Wundern Sie sich nicht, wenn ich Kommentare erst einen halben oder einen ganzen
Tag später freischalte. Ich habe kein Smartphone. Aber Offline-Zeiten sind im
Regelfall viel interessanter als Online-Zeiten.
Ich wundere mich - generell in der heutigen Zeit - über rein gar nix mehr 😁🤷♀️🥳
AntwortenLöschenDein Ausflug, mit sicherem Ziel finde ich so was von 🆗 und nachhaltig 👍
DA kann die Seele auch mitreisen:
Lahme Verkehrsanbindungen und/in 2 Tages-Teilabschnitten,
Muse = Fußball (Bayern hat verloren... grins) + Schlaf vorort
mit
Geist = Gesellschaft und Getränke 📺🍷
SO lässt's sich GUT Leben 🙏 🕉 😇
Fahrrad !
AntwortenLöschenGerne auch mit Elektromotor, in Ihrem Fall.
20 Km mache ich in 45 Min.
Ohne Schweißausbruch und ohne E-Bike.
Den Radschlag habe ich auf dem Weg zur Bushaltestelle von meiner Nachbarin bekommen, die gerade in ihrem Vorgarten die Osterhasen aufgestellt hat. Im Gasthaus habe ich diesen Rat dann von allen vier Freunden bekommen :o)
LöschenProblem: Die Radwege hier auf dem Land. Es gibt sie nicht. Und auf der Landstraße ist es lebensgefährlich. Bleiben die holprigen Feldwege. Und da fahren auch Sie keine 20 km in 45 Minuten. Aus 20 km Luftlinie werden da auch schnell 30 km. Habe ich alles schon x-mal durchdekliniert.
Natürlich haben Sie Recht.
AntwortenLöschenDer ÖPNV ist in der Fläche, auch hier auf der Alb, eine Katastrophe.
Aber keiner, auf jeden Fall zu wenige, sagt was. Und solange sich die Mehrheit auf ihre Autos einen wichst wird sich auch nichts ändern.
Das Auto ist Religion.
Ganz einfach. Ein Götze im besten Sinn.