Montag, 22. Februar 2016

No country for old men

"Wir sind keine Generation, sondern nur eine Marketing-Zielgruppe." (Will Varley)
Die beruflichen Perspektiven alter Männer, die sich für Schriftsteller halten, sind alles andere als rosig. Machen wir uns nichts vor: In den Hurra-Meldungen von der Wirtschaftsfront, die Vize-Kanzler Gabriel in den Reichtstag brüllt, kommen Typen wie ich nicht vor. Und die Leute, die solche Parolen voller Pathos und pathologischem Pomp für Konzernbosse und Berufspolitiker schreiben, sind wesentlich jünger und zynischer als ich.
In meiner Mailbox landen regelmäßig Stellenangebote via Stepstone. Diesen Service habe ich vor zehn Jahren – vermutlich unter dem Einfluss einer Politikerrede oder aber harter Drogen – mal eingerichtet. Jetzt, da ich fünfzig werde und alle Hoffnung fahren gelassen habe wie einen nassen Furz, bin ich zu müde, zu faul und technisch nicht versiert genug, um es wieder abzubestellen. Hier kommt täglich so viel Spam an, das ich es längst aufgegeben habe, zwischen nigerianischen Millionenerben, russischen Nutten, der Pharmaindustrie oder dem Arbeitsmarkt zu unterscheiden.
In diesem Haus kommt auch jeden Monat noch das gruselig-idyllische Hochglanzheft „Mein schöner Garten“ an, das vermutlich im Ministerium der Liebe produziert wird. Doppelplusgut. Das Abo hat ein Freund meinem Vater mal zum Geburtstag geschenkt. Für ein Jahr. Es kommt seit Ende des letzten Jahrhunderts. Warum sich wehren? Ist doch alles egal. Manchmal blättere ich auch darin herum. So wie in den Stellenanzeigen. Heute habe ich ausnahmsweise einmal reingeschaut und gesehen, dass REWE einen Texter braucht. Das kann ich, denke ich, und klicke das Angebot an. „Neu! Jetzt im Angebot! Zu jeder Dose Mais eine karierte Socke, ab der sechsten Dose bekommen Sie auch die zweite Socke. Greifen Sie zu! Nur für kurze Zeit!“
Ich habe ganze Romane geschrieben, ich betreibe eines der bekanntesten Blogs in ganz Schweppenhausen - ein Werbeprospekt von REWE schreibe ich noch mit 3,0 Promille. Und dann sehe ich, was REWE von einem Texter verlangt. „Entwicklung einer einheitlichen Tonality für jedes Medium, von klassischen Medien bis hin zu user Interfaces.“ Was ist Tonality? Muss sich ein Interface morgens rasieren? „Verfassen von CTAs, Headlines und Shortcopy.“ Da kenne ich nur Headlines, nannte man damals Überschriften. Einer von drei Punkten. „Kreativer Sparringspartner innerhalb von REWE Digital.“ Soll ich mich mit denen prügeln oder was?
Aber es kommt noch besser: Die Bewerber müssen „Erfahrung mit der Anwendung von CI-Richtlinien und Styleguides“ mitbringen. Ich kann das Alphabet inklusive der Umlaute, außerdem bin ich stubenrein und beiße nur schlechte Menschen. Reicht das nicht? Man bietet mir „Top aktuelle Entwicklungshardware (MacBook Pro auf Wunsch)“. Wahnsinn. Ich muss mein Notebook und meinen Bürostuhl nicht selbst mitbringen. „Dynamische Start-up-Atmosphäre“ – in einer Supermarktkette? Und „flache Hierarchien“ – die dennoch sicher zu steil für einen alten Mann sind.
Ich komme zum Schluss, denn die Herztropfen und Ginsengwurzeln rufen: Ich werde auch in diesem Jahr keine Bewerbung schreiben. Und nur noch Mails von Menschen öffnen, die ich persönlich kenne. No country for old men.
P.S.: Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung
Hiermit verpflichtet sich Andy Bonetti (Bonetti Boulevard 1a, Bad Nauheim) gegenüber REWE und Stepstone (Internet, Ortsverein Buxtehude), es bei Meidung von Vertragsstrafen, deren Höhe vom Gläubiger (REWE, Stepstone) nach billigem Ermessen festzusetzen und im Streitfall vom zuständigen Gericht zu überprüfen ist, für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung ab sofort zu unterlassen,
a) zu behaupten, zu verbreiten und/oder behaupten oder verbreiten zu lassen: „REWE ist größenwahnsinnig geworden.“
sowie
b) wörtlich oder sinngemäß zu behaupten, zu verbreiten und/oder behaupten oder verbreiten zu lassen: „Stepstone macht mich depressiv.“
Schweppenhausen, den 19.2.2016
Andy Bonetti
The Wild Swans - Bringing Home The Ashes. https://www.youtube.com/watch?v=X75e-KjTNfw

8 Kommentare:

  1. Das ist ein bisschen wie der "VWLer mit Gynäkologiekenntnissen", der mir ausgeschrieben mal von einer dieser Plattformen ins Postfach gesendet wurde....

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  2. Du, der Rewe sucht nen dressierten Affen der den Werbemüll ohne aufzufallen erledigt.

    Kreativer Sparringspartner -> Du sollst die Schnapsideen des Scheffs toll finden und entwickeln, bei Mißerfolg kriegst du eine reingewürgt
    CI -> corporate identity, also Firmendarstellung
    Styleguide -> Designvorlage
    Macbookpro -> Sollte als Lohn&Gehalt reichen, außerdem kannst dann auch in deiner unbezahlten Freizeit die Panegyrik auf das Lewwerwurstbrot singen.

    Der Rest ist blabla. Flache Hiearchien heißt nur daß in dem Schuppen geduzt wird, du aber dem Scheff nicht ans Bein pinkeln kannst.

    Business as usual. Mach lieber was ganz anderes, lieber nix mit schreiben. Flüchtlingskinder betreuen oder so was...

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  3. Ich habe heute in verschiedenen Meetings von "selbstlernenden Algorithmen" und einem "show room mit living lab" gehört, außerdem war ich bei einem "Meeting in der Prä-Kick-Off-Phase". Noch halte ich die Bagage mit meinem Körpergewicht, schlechter Laune und bösen Blicken in Zaum, aber irgendwann geht das auch nicht mehr.
    No country for old men.

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    1. Dir bleiben ja wenigstens noch die selbstangebauten Tomaten, ich blicke hier auf nichtsnutzige Spatzen, Meisen und einen übergewichtigen Dompfaff, die sich auch noch von mir durchfüttern lassen ...

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  4. Texten ist halt ein totes Pferd. Wie alles wo das Einstiegsinvestment €-Null ist und viele Mitstreiter die Preise verderben.

    Wer aber so schöne Texte schreibt, (im wahrsten Sinne des Wortes) wundervolle Figuren entwickelt und dann auch noch diese seltene Fähigkeiten hat das ganze (nicht nur in ein schönes Layout) umzusetzen dem steht doch die moderne Welt offen.

    Warum alles verschenken? Warum nicht die Romane, Texte und Figuren den Leser veranlassen lassen etwas zurückzugeben? Warum nicht die Möglichkeiten nutzen und ihnen und mir die Möglichkeit geben?

    Ein paar eBooks reichen doch. 5,95 für eine Fortsetzung von diesem und jenem sind doch alles andere als ehrenrührig. Ein 100 Millionen LeserMarkt im deutschsprachigen wartet. Wer sähet darf auch ernten.

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    1. Ich habe in den letzten zwanzig Jahren ein Dutzend Bücher auf den Markt gebracht und damit etwa 3000 Euro verdient. Dazu kommt etwa die gleiche Summe an Ausschüttungen der VG Wort.

      Im Dezember habe ich einen ganzen Roman online gestellt, der dankenswerterweise von einem Kollegen aus Berlin, dem Kiezneurotiker, beworben wurde. Knapp zweihundert Menschen haben diesen Roman gelesen oder zumindest die ersten Kapitel angeklickt. Diese potentiellen Umsatz- und Ertragsgrößen nennt man in der Branche "Nasenwasser".

      Dodefier mache mir die Pann ned heiß, wie man in Rheinhessen sagt.

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    2. Sorry, das wusste ich nicht. Wenn selbst so gute Texte keine Märkte finden ist das ja eine tote Pferdherde.

      Über den Kiezneurotiker bin ich auf diesen Roman gekommen. Das ist der erste Kriminalroman seit Jerry Cotton (bitte um mildernde Umstände, ich war 14 und brauchte den Stoff) von dem ich nicht lassen konnte.

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    3. Wenn ich vom Schreiben leben müsste, wäre ich tatsächlich so tot wie eine Pferdelasagne ;o)

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