Sonntag, 3. März 2024

Eine sentimentale Reise 2


Es muss spät in der Nacht gewesen sein, als wir beschlossen, in Stefans Wohnung weiterzumachen. Ich rief meinen Bruder an und sagte ihm, ich würde vermutlich in dieser Nacht nicht bei ihm schlafen.

Die Wohnung war nicht weit entfernt in einem fünfstöckigen Haus in der Innenstadt. Unterwegs versuchten wir, wie in alten Zeiten die Laternen auszutreten, aber wir hatten leichte Auge-Fuß-Koordinationsprobleme und fielen gelegentlich auf die Schnauze.

Seine Zwei-Zimmer-Wohnung bestand in weiten Teilen aus leeren Flaschen, Mülltüten und Kartons mit Groschenheften, hauptsächlich Perry Rhodan, John Sinclair und Jerry Cotton. Wir setzten uns an den gekachelten Wohnzimmertisch und machten mit Wodka weiter.    

Als ich am nächsten Vormittag aufwachte, konnte ich kaum die Augen aufmachen. Das Erste, was ich sah, war das pausbäckige Mondgesicht von Stefan, der in einem blauen Bademantel und Adiletten vor mir stand.

„Dein Konterbier“, sagte er nur und drückte mir ein Stubbi Bitburger in die Hand.

Ich trank es noch im Liegen und fühlte gleich, dass es mir besser ging.

Das Frühstück nahmen wir in der kleinen Küche ein. Ein schmaler Tisch, zwei Holzstühle und überraschend wenig Geschirr in der Spüle.

Stefan bemerkte meinen ungläubigen Blick und erklärte: „Ich ernähre mich hauptsächlich von TK-Gerichten, Döner und Currywurst.“

Er sagte das mit einem rätselhaften Stolz, so als sei es ihm gelungen, der lästigen Hausarbeit ein weiteres Schnippchen zu schlagen. Den Müll brachte er nur einmal im Monat hinunter, wenn die Tonnen gerade geleert worden waren. Mülltrennung praktizierte er nicht.

Das Frühstück bestand aus einer Kanne starkem Kaffee, Mett, Zwiebeln und Brötchen und einem halben Ring Fleischwurst mit Senf. Solchermaßen gestärkt und geradezu auf Superheldenlevel gebeamt, verlegten wir den Ort unserer Aktivität wieder ins Wohnzimmer.

Stefan hatte immer noch seine alte Anlage von Technics, die offenbar noch tadellos funktionierte. Damals haben die Japaner noch HiFi für die Ewigkeit gebaut. Wir hörten Manfred Mann, Rainbow und Peter Maffay.

Mein Gastgeber trug freudestrahlend eine Flasche Obstler und zwei winzige Gläser herein. „Von meinem Onkel Erich selbst gebrannt. Nur Obst aus der Region.“

Der Rest des zweiten Tages liegt etwas im Dunkeln. Ich erinnere mich an eine Pizza von der Größe eines Fahrradreifens, die ein Lieferfahrer vorbeibrachte. Viele Stubbis, laute Musik und später irgendwelche Bruce-Lee-Filme auf Betamax. Das letzte Bild: Stefan im Sessel, mit der Ruhe einer Schlammkröte an der kleinen Bierflasche saugend, ohne den Blick vom Bildschirm zu lassen.

Fortsetzung folgt

8 Kommentare:

  1. Was für eine seltsam anmutende Geschichte, wahrlich wie aus der Zeit gefallen. Erinnert mich an die 80ger, als auch in meinem Umfeld solche Spontaneität noch möglich war - und manch einer auch in ähnlichen Verhältnissen lebte. An einigen Orten bleibt offenbar die Zeit stehen!

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    1. Die Geschichte setzt sich aus Erinnerungen an verschiedene Personen zusammen, angereichert mit Phantasieelementen. Eine der Personen lebt Tatsächlich immer noch in ihrem Kinderzimmer, allerdings ist sie inzwischen allein zuhause.

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  2. Fürs Protokoll: Ich mag kein Bitburger.

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    1. Ich auch nicht. Aber in den 80ern war es noch das beste Bier, das man in Rheinland-Pfalz bekommen konnte.

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    2. Es gibt bis heute keine einzige gute Brauerei in meinem Bundesland. Deswegen bin ich ja auch Weintrinker :o)

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    3. Wir haben in den frühen 80er vor allem Binding getrunken
      In rheinland Pfalz gibt bzw. gab es Königsbacher, was ich immer trinkbar fand, ganz in der Nähe die Fuchs Brauerei in Windesheim, in Mainz die Brauerei zur Sonne (aber tatsächlich ein furchtbares Bier). Dann noch Kirner (trinkbar), Bischoff, Bellheimer und im nördlichen Rhl. Pfalz Nette und Fohr. In dem Kontext Bitburger als das beste zu finden, wäre uns merkwürdig vorgekommen, das hat keiner getrunken und stand auf einer Stufe mit Warsteiner. Aber wir haben auch Konterbier gesagt.

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    4. Königsbacher und Kirner? Ich weigere mich heute noch, diese Plörre zu trinken. Zum Glück ist Königsbacher gerade in die Insolvenz gegangen. Die Fuchs Brauerei im Nachbardorf kenne ich v.a. vom legendären dreitägigen Besäufnis in den 80ern, als man nur einmal ein Glas kaufen musste und dann immer wieder nachgeschenkt bekam. Bitburger schmeckte in meiner Jugend noch, heute würde ich es auch nicht mehr trinken.

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