Sonntag, 10. März 2024

Ein kurzer Blick auf den Rest der zwanziger Jahre

 

Am Stammtisch gehen die Weltuntergangspropheten ja gerne all-in. Bereuet, das Ende ist nahe. Jetzt raunen sie genüsslich vom Angriff Russlands auf den Westen, auf die verhasste Demokratie, den leidigen Wohlstand und den grässlichen Rechtsstaat. EU und NATO gehen endlich unter. Leider muss dazu erst einmal die Ukraine besiegt werden und in den letzten zwei Jahren gab es keine nennenswerten Geländegewinne durch Putins Truppen. Wir sehen jeden Tag die gleiche Landkarte.

Außerdem stellt sich natürlich die Frage, wer die Verbündeten Russlands sein sollen. Der lächerliche Vasallenstaat Belarus, Kim Jong-Uns Armee der hungernden Sklaven? Der Stammtisch hofft auf China, aber Xi wird gegen Europa und Amerika keinen Krieg führen. Warum sollte er auf seine besten Kunden schießen? Schließlich soll der Westen noch stärker als Absatzmarkt für Chinas Exportwirtschaft dienen.

China hat in Europa keine territorialen Interessen und hat auch keine gemeinsamen Grenzen mit dem Westen, an denen man aufmarschieren könnte. Xis Imperium ist eine globale Wirtschaftsmacht, die andere Möglichkeiten hat, Amerika und Europa zu schwächen und eine stärkere Rolle in der Weltpolitik einzunehmen. Zwischen China und Russland gibt es auch kein Militärbündnis oder Beistandspakt im Kriegsfall.

Diese ökonomischen Wellen kennen wir schon aus der Vergangenheit: In den siebziger Jahren kamen die Japaner mit ihren Autos und Hightech-Produkten, danach die „Tigerstaaten“ Hongkong, Südkorea, Taiwan und Singapur, jetzt die Chinesen. Man muss kein Prophet sein, um den Abstieg des „Exportweltmeisters“ Deutschland auf dem Weltmarkt zu erkennen.

Zur Konkurrenz kommt der demographische Wandel. Die Zahl der Rentner steigt, der medizinische Fortschritt lässt sie länger leben. Die Kosten der Sozialversicherungen steigen, der Bedarf an Pflegekräften nimmt auch zu. Die Zahl der Arbeitnehmer wird abnehmen, ihre Sozialabgaben werden steigen, was zu abnehmender Kaufkraft führt – bei gleichzeitig wachsendem Fachkräftemangel. Auch ohne Krieg werden die Zeiten nicht leichter.

Zurück zur Ausgangsfrage: Wird Putin den Dritten Weltkrieg wagen? Dazu muss man sich in den Diktator hineinversetzen. Die russische Erzählung, die wir von ihm und seinen Claqueuren im In- und Ausland seit vielen Jahren zu hören bekommen, handelt von der großen Kränkung. Nach dem Kalten Krieg wollte man freundschaftliche Verbindungen mit dem Westen, wurde aber nicht als gleichberechtigte Nation behandelt, sondern wie ein geschwächter Feind. Russland wurde schmählich betrogen, z.B. mit der EU- und NATO-Erweiterung nach Osten. Dieser Strategiewechsel begann mit Putins inszeniertem Wutausbruch bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2007.

Putin war KGB-Offizier. Er sieht die Welt durch die Brille des Geheimdienstes. Überall lauern die Feinde, überall sieht er Gefahren und Verschwörungen. Die Welt teilt sich für ihn auf in wenige Puppenspieler und viele Marionetten. DDR 1953, Ungarn 1956, CSSR 1968, Polen 1980, der Untergang des sozialistischen Imperiums 1989/90 und natürlich auch die prowestlichen Proteste auf dem Maidan 2013/14 – alles vom Ausland gesteuert. Das Volk ist grundsätzlich willenlos, es gewinnt der bessere Manipulator. „Spez-Operazija“, Spezialeinsatz bzw. Spezialoperation, ist übrigens ein Begriff aus der Welt des KGB.

Mit Prognosen ist es natürlich immer schwierig. Denn plötzliche Einschläge wie 9/11, Lehman Brothers, Griechenland, Corona und den Ukrainekrieg hat niemand auf dem Zettel. Vielleicht landen morgen russische Fallschirmjäger in Wichtelbach und besetzen das Feuerwehrhaus? Unterstützt von Huthi-Rebellen und syrischer Infanterie?

6 Kommentare:

  1. Beim Weltkrieg-Wagen gilt wohl, ganz ähnlich wie bei den meisten Schulhofprügeleien: der Dümmere fängt an. Wer das sein wird, wird sich im Falles des Falles zeigen. Wenn ich mir das intellektuelle Potenzial von Frau Baerbock, Herrn Hofreiter und so einigen anderen hiesigen Heimatkrieger*innen so anschaue, hab ich aber immerhin so eine Ahnung, was deren Bereitschaft zu Wagnissen angeht. Rauchen bzw. strahlen die Trümmer allerdings erst mal von hier bis zum Ural, dann spielt es auch keine Rolle mehr, wer einst die größere Blödmänn*in gewesen ist, oder? Dann ist nämlich nicht nur das Reich des Bösen ruiniert.
    PS. Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich finde den Herrn Putin, der ja auch bloß ein Heimatkrieger ist, überhaupt nicht nett und hätte ihn nur äußerst ungern als meinen Oberbefehlshaber. Ich meine aber, dass er vielleicht doch die eine oder andere Latte mehr am mentalen Zaun hat als z.B. die beiden oben genannten Mündungsknallchargen, mit Verlaub.

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    1. Baerbock kann niemandem den Krieg erklären und Hofreiter ist nicht nicht einmal Mitglied der Regierung. Genau solche Äußerungen wie Ihre meine ich mit "Stammtisch". Die Bundeswehr ist im übrigen gar nicht kriegstauglich.

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    2. Über beides bin ich froh: dass der schlichte Herr Hofreiter bloß ein schlichtes MdB ist und dass die Frau Baerbock - wenigstens de jure - niemandem den Krieg erklären kann. Froh bin ich übrigens auch, dass die Bundeswehr grad nicht so recht kriegstauglich ist. Ich bin's nämlich auch nicht, und will's auch gar nicht werden, ich alter Lumpenpazifist. Froh zu sein bedarf es wenig, wie man sieht. In diesem Sinne, und nichts für ungut, einen schönen Gruß von einem digitalen Stammtischchen ans andere!

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    3. Der Begriff des "Lumpen-Pazifisten" wurde von Sascha Lobo im April 2022 in die Debatte eingeführt und dient allen Putinverstehern und Antiamerikanisten seither als Ironisches Deckmäntelchen. Wer es nötig hat ...

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    4. Ja, stimmt, der lustige SPON-Dampfplauderer mit dem Möchtegern-Iro hat sich damals diesen Begriff ausgedacht. Mit welchem seitdem - ganz unironisch gemeint - auch Leute versehen werden, die einfach nur meinen, dass das massenhafte elende Krepieren, gleich ob es für die Wahrung territorialer Integritäten von gestern geschieht oder für die Durchsetzung imperialer Schnapsideen von vorgestern, irgendwie zu einem Ende kommen sollte, und zwar bevor die letzte Granate abgefeuert ist. Also zieh ich mir das Mäntelchen eben an, ganz unironisch. Dass die hiesigen Anbeter des argen Kreml-Sauron es sich gelegentlich auch gern anziehen, oder Leute, die das friedliebende Auenland auf der anderen Seite des Atlantik nicht sonderlich schätzen, find ich zwar unschön, aber Haute Couture kann ich mir halt nicht leisten.
      Ach, und ich würde schon ganz gern wissen, wer sich den Begriff des "Putin-Verstehers"
      ausgedacht hat. Das wäre mal eine neue Erkenntnis für mich.

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  2. Ich verstehe auch nicht, warum man uns immer mit irgendwelchen Katastrophenmeldungen Angst macht. Wollten die Russen in den Westen müssten die erst mal durch Polen.
    Die haben mit den Russen noch eine Rechnung auf.
    Ungarn, Tschechien, Slovakei dito. Der Rest auch.
    In der Bundeswehr gibt es viele Pfeifen, aber nicht nur.
    Wie sagte Netzer mal zu Delling: "Man muß uns erst mal schlagen"
    Dann NATO Austritt der USA. Nur zu.
    Endlich keine Atomwaffen mehr auf deutschem Boden und damit kein Ziel mehr.
    Rammstein dicht machen. Und die ganzen anderen Stützpunkte weiß der Teufel wo.
    Es gibt viele in Deutschland, alleine im Großraum Stuttgart 3 an der Zahl.
    Das wird nie passieren.

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