„Man darf ihn nicht wie einen Schriftsteller
sprechen lassen, der pausenlos literarische Sätze von sich gibt.“ (Reiner
Stach)
Zum
hundertsten Todestag von Franz Kafka in diesem Jahr, genauer gesagt am 3. Juni,
hat die ARD eine opulente sechsteilige Reihe gedreht. Nichts von der Stange,
wie bei vielen Fernsehproduktionen in Deutschland üblich, auch nicht einfach
chronologisch, sondern mit thematischen Schwerpunkten und vielen Sprüngen
zwischen den Zeitebenen und Perspektiven. Auch die ambivalente Rolle von Max
Brod, der das Werk im Alleingang der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat,
anstatt die Manuskripte Fachwissenschaftlern und Verlegern zu übergeben, wird angesprochen.
Dennoch
bleibt die Figur des berühmten Prager Schriftstellers sehr künstlich, manieriert
und befremdlich. Er spricht die ganze Zeit nur in druckreifen Zitaten und nicht
wie ein Mensch, der in seinem Alltag, wie wir alle übrigens, eine Menge
belanglose Oberflächlichkeiten von sich gibt. Da hat mir die dreibändige
Biographie von Reiner Stach, die ich jedem nur ans Herz legen kann, auch wenn
sie etwa zweitausend Seiten umfasst, sehr viel besser gefallen.
Ich
habe Anfang der achtziger Jahre angefangen, mich mit Kafka zu beschäftigen.
Alle Romane mehrfach gelesen, alles andere inklusive der Tagebücher und Briefe.
Mein Abiturarbeit 1985 im Deutsch-Leistungskurs habe ich über Kafka
geschrieben. Daher kann ich nicht beurteilen, wie die Serie auf Zuschauer
wirkt, die nie etwas von ihm oder über ihn gelesen haben. Ich stelle es mir
schwierig vor, in diese rätselhafte Welt der Prager Bohème einzutauchen.
Ich
muss in diesem Zusammenhang an einen Schulfreund denken, der ebenso begeistert
war wie ich. 1986/87 waren wir dreimal in Prag, haben noch den morbiden Verfall
dieser Stadt gesehen, der so gut zu Kafkas Werk passt. Gerade habe ich von
einer Freundin, mit der ich 1994 in Prag war, eine Ansichtskarte bekommen. Sie
schreibt die Stadt habe sich doch sehr verändert. Ich war zum achten und
letzten Mal 2010 dort, da war die Stadt schon so bunt und amerikanisch wie
Disneyland.
Besagter
Freund wurde vor knapp zwanzig Jahren von Suhrkamp beauftragt, eine
Kafka-Biographie zu schreiben. Zur selben Zeit schrieb ich meine Gandhi-Biographie für die gleiche Reihe. Der Verlag hat sich geweigert, sein Manuskript zu veröffentlichen. Über die Gründe wollte er nie sprechen. Er hat danach
nie wieder versucht, ein Buch zu schreiben. Eine Tragödie von kafkaesken
Dimensionen.
Zum
„Kafkafranzl“ (Eckard Henscheid) hat jeder, der sich für Literatur
interessiert, eine klare Meinung. Entweder ist man fasziniert oder entsetzt.
Seine Schriften bieten ein weites Feld für Interpretationen. Für die einen
überwiegt der psychologische und autobiographische Aspekt, für die anderen die
Gesellschaftskritik (das isolierte Subjekt, das von einer anonymen
Bürokratiemaschine zermalmt wird), man kann es satirisch lesen und als blanken
Horror verstehen (v.a. Verwandlung, Strafkolonie).
Sein
Leben ist voller rätselhafter und verstörender Elemente: der Vater ist ein cholerischer
Despot, trotz abgeschlossenem Studium und Festanstellung lebt er in seinem Kinderzimmer,
dem „Hauptquartier des Lärms“, so dass er nur nachts zum Schreiben kommt, als
Jude und Vegetarier ein ewiger Außenseiter, seine Unfähigkeit zur
Selbstvermarktung (im Internetzeitalter wäre er untergegangen), er überhäuft
eine Frau, die er nur einmal getroffen hat, mit hunderten von Briefen (ein
literarischer Stalker), hat aber erst am Ende, als er schon todkrank ist, eine
Freundin. Vielleicht ist es das alles, neben der unbestrittenen Qualität seiner
Werke, was ihn zu einem Schriftsteller macht, der bis heute unvergessen ist.
Für
mich ist Kafka wie LSD. Seine Texte verstärken die Gefühle und Gedanken. Ängstliche
Menschen bekommen Angst, lustige Menschen fangen an zu lachen, nachdenkliche
Menschen werden zu neuen Überlegungen angeregt, Philosophen beginnen zu philosophieren.
Es lässt mich nicht los, aus diesen unruhigen Träumen erwacht man nicht mehr.
Auch wenn inzwischen Jahre vergehen, bis ich wieder zu seinen Büchern greife.
ich hoffe doch sehr, dass alles schön in sepia gehalten ist oder war. wie nennt man das heute, mockumentary? irgendwas in der richtung? der arme kafka. verwurstet wie ernst, borges, canetti und all die anderen, die man so gar nicht rafft und dafür um so mehr durch die kulturlandschaft der "moderne" schleifte - ein jegliches zu seiner zeit und an seinem oat. wann kommt das musical zum schloss?
AntwortenLöschenMusical? Das ist eine großartige Idee. Ein tanzender Landvermesser - und die Gehilfen sind die Backgroundsänger.
LöschenIch habe es wirklich versucht und alle sechs Teile gesehen, aber ganz ehrlich: Ich kam nicht klar. Vielleicht bin ich zu verkopft - ich kann mir gut vorstellen, dass es für jüngere besser funktioniert -, und ich hatte teilweise das Gefühl, ich sehe da Comedy oder Karikatur. Was ich mich gefragt habe ist, an wen sich das richtet.
AntwortenLöschenIch hatte mich schon gewundert, was du wohl dazu sagst und es überrascht mich nicht, dass du ihm auch eine gewisse Künstlichkeit attestierst.
Da hast du recht. Es wirkte sehr bemüht. Es gab mal eine Karikatur in der zitty, da sagt einer "Mein Name ist Paul und ich habe Kunst". So wirkte es auf mich auch. Aber als alter Kafka-Fan habe ich die Miniserie an zwei Abenden durchgezogen.
LöschenIch habe drei Vor- bzw. Nachmittage a zwei Folgen gebraucht und immer gehofft, ich kann doch noch irgendwie reinkommen. War leider nicht so. Es ist vemutlich nicht schlecht gemacht, es passt nur einfach nicht für mich. Nicht mal als Unterhaltung. Die Zielgruppe ist wer anders. Auf mich wirkte es teilweise wie etwas, das in Kurzfilmen auf Istagram laufen soll.
LöschenPuh, Kafka, schwieriges Thema für mich. Ich hatte immer das Gefühl, wenn man sich mit Literatur des 20. Jhs. befasst, kommt man an Kafka nicht vorbei. So wie an Bach im Bereich 'klassische' Musik. Im Deutschunterricht haben wir ein paar Erzählungen gelesen, als Student habe ich 'Amerika' und 'Das Schloß' versucht, mich aber dann anderem zugewandt. Hat sich mir nie wirklich erschlossen. Die Serie habe ich noch nicht geguckt, aber vielleicht erleichtert sie ja den Zugang, wenn man sich vorstellt, dass Kafka halt auch durchaus humorbegabt war.
AntwortenLöschenLeider kommt der komische Kafka in der Serie nicht vor. Der Hauptdarsteller verfällt gelegentlich in ein meckerndes Lachen, das mir wirklich auf den Nerv geht. Vielleicht versuchst du es lieber mit Paul Auster oder Philip Roth ;o)
LöschenIch hab mir bisher zwei Folgen reingezogen, ich fand's bisher nicht schlecht, aber auch nicht wirklich gut, nicht uncharmant skurril. Kehlmann ist - wie schon in "Lichtspiel" - ein wenig zu stolz auf seine Kunstfertigkeit als Autor und haut damit zu sehr auf die Kacke, das stört mich doch.
AntwortenLöschenIch empfehle stattdessen Henscheids geniale, brüllkomische Erzählung "Kafka verfilmt seinen Landarzt".
Gehört die Erzählung zu "Roßmann, Roßmann" vom Haffmans Verlag? Das habe ich, wie fast alles von Henscheid. Ich bin sogar vor einigen Jahren extra zu seinem Haus in Amberg gepilgert, hatte aber nicht den Mut zu klingeln ;o)))
LöschenJa, in "Roßmann, Roßmann" ist die drin. Und Scheu vor Henscheid ist unangebracht, mein Bruder hat ihm mal einen Fanbrief geschrieben, er hat geantwortet und daraus ist eine Freundschaft entstanden, die beiden haben sich dann öfters getroffen.
LöschenIch habe ihm auch mal geschrieben und ihm Material zu einem Thema geschickt, an dem er gearbeitet hat. Er hat sehr nett geantwortet. Aber ich will solche Leute nicht unaufgefordert belästigen. Einfach so klingeln? Ich bring's nicht. Da schlägt die alte Erziehung durch ;o)
LöschenBist du dir sicher, dass du nix verpasst? Mein Bruder ist in seinem Rollstuhl von Eckard Henscheid durch Amberg geschoben worden, am ANO-Teppichladen vorbei!
LöschenDen gibt's wirklich? Gänsehaut. Für mich ein magischer Ort. Sechsämtertropfen o muerte!
LöschenNatürlich gab's den wirklich, hieß allerdings ARO (https://de.wikipedia.org/wiki/ARO_Heimtextilien). Und es war tatsächlich noch doller: So 1977, während des Münchner Rumstudierens, hab ich mich mit anderen Henscheid-Fans regelmäßig im Atzinger getroffen, wo wir dann Weißbier, Sechsämter und gelegentlich etwas Gulaschsuppe zu uns nahmen und die Sprüche aus "Geht in Ordnung..." und den "Vollidioten" kloppten. Plötzlich fragte uns einer vom Nebentisch: "Seid ihr auch aus Amberg?" Wirr verneinten verwirrt und fragten, warum. "Na, weil ihr die ganzen Amberger kennt." Es stellte sich dann heraus, dass Henscheid die ganzen Leobolds, Duschkes, Moggers und Binklmayers nicht erfunden, sondern nur leicht verfremdet der Amberger Realität entlehnt hatte.
LöschenHerrlich. Die Trilogie des laufenden Schwachsinns habe ich zweimal gelesen. Das war damals Kult und ich war Stammkunde bei Zweitausendeins.
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