Freitag, 8. März 2024

Aus dem Leben eines Toten

 

Ich bin seit zehn Jahren tot. Das ist der beste Weg, um nicht gesucht zu werden. Alles begann mit einer Geldübergabe. Ich sollte das Kokain in einem Hotelzimmer in Rostock abholen. Den Koffer mit einer Million Euro in bar hatte ich auf dem Beifahrersitz.

Aber ich fuhr damals nicht ins Hotel, sondern ließ den Wagen in einer Tiefgarage stehen. Dann rief ich mir ein Taxi und fuhr zum Hafen. Ich nahm die Fähre nach Trelleborg und legte beim Kauf des Tickets brav meinen Ausweis vor. Am Morgen hatte ich Abschiedsbriefe an meine Eltern und zwei gute Freunde verschickt. Ich kündigte meinen Selbstmord an. Ich wollte mitten auf der Ostsee von der Fähre springen.

Niemand findet eine Leiche auf hoher See. Vor allem, wenn es gar keine Leiche gibt. In Trelleborg nahm ich den Bus nach Malmö und den Zug nach Kopenhagen. Dort verstaute ich den Geldkoffer in einem Schließfach am Hauptbahnhof und verbrachte die Nacht auf einer Bank im nahegelegenen Botanisk Have. Am nächsten Morgen fuhr ich mit dem Zug nach Hamburg, von dort nach Köln und dann weiter nach Nürnberg. Wichtig: Immer bar am Fahrkartenautomaten zahlen, kein Kontakt zu Leuten, die einen später identifizieren können.  

Ohnehin darf man keine Datenspur hinterlassen. Kein Handy, kein eigener PC, keine Mail-Accounts, keine Bankkonten, keine Kreditkarten. Meine bürokratische und digitale Identität habe ich in einem Mülleimer am Hamburg-Wellingsbüttel entsorgt, wo es keine Überwachungskameras gibt. Bargeld besaß ich genug.

Um unterzutauchen, braucht man eine Stadt, die nicht zu groß, aber auch nicht zu klein sein darf. Kein touristischer Hotspot, keine Kameras, die für die Gesichtserkennung genutzt werden können. Ich entschied mich für Forchheim. Viele Biergärten und Wirtshäuser, gutes Essen und gutes Bier. Ich sage nur: Kellerwald.

Ich suchte mir eine kleine Pension, die keinen Ausweis verlangt. Man trägt sich einfach mit einem Phantasienamen, in meinem Fall Gerhard Dobler, auf dem Meldezettel ein und zahlt jede Woche pünktlich in bar. Die Wirtsleute freut Bargeld immer, denn der Geldfluss ist nicht zurückzuverfolgen. Win-win.

Natürlich darf man keinen Kontakt mehr zu Freunden und Verwandten haben. Ich habe mir einen Bart wachsen lassen, die Haare sind getönt. Man erfindet einfach eine neue Identität, falls die Leute fragen. Ich schreibe Kriminalromane, erzähle ich immer. Ich brauche ein halbes Jahr Ruhe. Dann ziehe ich wieder weiter. Bisher hat mich niemand gefunden.

4 Kommentare:

  1. ... warum machst du aus den ganzen kurzen Sachen nicht ein (längeres) Buch?

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    1. Davon gibt's ein halbes Dutzend als E-Book bei Amazon. Einfach unter "Matthias Eberling" nachschauen.

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  2. Und dann immer alleine sein ?
    Ein furchtbares Leben

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    1. Warum sollte man in einem neuen Leben keine neuen Leute kennenlernen? Merkwürdige Vorstellung.

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