Freitag, 5. September 2025

Warum ich keine Hörbücher mag


Ich lese gerade „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“ von Haruki Murakami. Am Anfang stehen ein paar Zeilen aus einem berühmten Gedicht von Samuel Taylor Coleridge, allerdings nur in der unzulänglichen deutschen Übersetzung, der nicht nur der Reim, sondern auch der Rhythmus fehlt.

Die Reise im Kopf beginnt. Zunächst erinnere ich mich, noch bevor ich mit dem eigentlichen Roman angefangen habe, an das englische Original. Dann, ein paar Augenblicke später, an den fehlenden Anfang. Es ist eins meiner Lieblingsgedichte, ein funkelndes Geheimnis, im Drogenrausch geschrieben und unvollendet. Das sind die ersten Zeilen:

In Xanadu did Kubla Khan

A stately pleasure-dome decree:

Where Alph, the sacred river, ran

Through caverns measureless to man

Down to a sunless sea.

Als ich das Gedicht im Internet gefunden habe, fällt mir ein, wo und wann ich es zum ersten Mal gelesen habe. In einem DuMont-Reiseführer zum Thema Südengland 1997. In diesem Jahr habe ich mit meiner damaligen Freundin Urlaub an der englischen Südküste gemacht, hauptsächlich in Cornwall und Devon. Ich erinnere mich an Porlock, wo wir ein paar Nächte in einem Bed & Breakfast verbracht haben.

Er war, als er das Gedicht begann, im Flow und hatte sicher ein paar gute Ideen für die weiteren Strophen. Aber dann kam „der Mann von Porlock“, wie es im Reiseführer hieß, ein Geschäftsmann, der unangekündigt an die Haustür von Coleridge klopfte, der zu diesem Zeitpunkt in einem Bauernhaus in der Nähe des Dorfes lebte und krankheitsbedingt absolute Ruhe brauchte. Als er wieder an seinem Schreibtisch saß, war alles vergessen, vorbei. Daher blieb das Gedicht unvollendet.

Ich fotografiere nie auf Reisen. Es kostet Zeit und Energie und verleitet den Reisenden dazu, viel zu schnell einen Haken an den Ort seines Besuchs zu machen. Er ist ja fotografiert und man kann sich zuhause alles noch einmal in Ruhe ansehen. Ich weiß, dass ich keine Bilder habe, also präge ich mir den Ort ein. Vor allem Porlock Weir, ein paar Häuser und Anlegestellen am Meer, habe ich nach fast dreißig Jahren noch gut in Erinnerung. Bei Google Maps schaue ich mir Bilder von Porlock und Porlock Weir an, ich lese den Wikipedia-Eintrag zu Coleridge, schreibe diesen Text und mittlerweile ist etwa eine Stunde vergangen, seit ich den Murakami zum ersten Mal aufgeschlagen habe.

Genau deswegen mag ich keine Hörbücher. Ein Wort genügt. Es schickt mich auf die Reise. Während ich nachdenke, dudelt das Hörbuch weiter und ich müsste erst aufstehen, um es abzuschalten. Ich denke nach, die Assoziationen tragen mich immer weiter weg und ich wüsste noch nicht einmal, zu welcher Stelle des Hörbuchs ich zurückspulen müsste. Bei einem Buch ist das anders. Während ich denke, halte ich es aufgeschlagen in der Hand und lese ein paar Minuten später einfach weiter. Oder, wie in diesem Fall, schlage ich das Buch eine Stunde später wieder auf.  

 

8 Kommentare:

  1. ... bin also nicht der einzige, der das Lesen so unterbrechend mit unterschiedlicher Geschwindigkeit handhabt und mit Hörbüchern eher wenig anfangen kann.
    ein Freund

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  2. Immerhin sind Hörbücher sehr hilfreich für Blinde und Sehschwache. Die müssen dann nicht mühsam herumbraillieren.

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    1. Darum geht es im Text aber nicht.

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    2. Das ist fein beobachtet, würde Loriot jetzt vielleicht sagen, wenn er noch könnte. Aber um den geht es im Text auch nicht. Hm.

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    3. Viele Dinge bleiben im Text unerwähnt, zum Beispiel der Klimawandel oder die Niederlage gegen die Slowakei. Es ist ärgerlich, aber nicht mehr zu ändern. Morgen geht es z.B. um Smartphones und Spaghetti.

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    4. Der Klimawandel wird überbewertet. Das Insektensterben wird unterbewertet.
      Der slowakische Botschafter wurde einbestellt. Wir können auch anders !
      Ich hoffe, zu Spaghetti kommt ein ordentliches Rezept (gerne mit Maronen) und Weinempfehlung.

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  3. Lesen ist etwas, was man in seinem eigenen Rhythmus tun kann. Ich empfinde das als sehr angenehm. Bei Hörbüchern muss ich mich dem Rhythmus des Vorlesenden unterordnen. Das ist weniger angenehm, bei Spannungliteratur sogar ziemlich unerträglich. Da will ich schnell wissen, wie's weitergeht und nicht von irgendwelchen intonierenden Schlaftabletten ausgebremst werden.

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    1. Man kann in einem Buch auch diagonal lesen oder einen guten Satz zweimal, das Hörbuch ist immer linear. Ich habe ein einziges Mal einen skandinavischen Krimi gelesen, da wurde über zwei oder drei Seiten eine öde Autofahrt von A nach B beschrieben. Da blättere ich einfach weiter.

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