Sonntag, 14. September 2025

Hauptstadtflüchtlinge

 

9. September 2025, Altglienicke. Es war 8:30 Uhr und wir erwachten in einer neuen Welt. Warum hatte der Wecker nicht geklingelt? Meine Frau war ebenso ratlos wie ich. Aber die digitale Zeitanzeige blieb tot. Wir hatten verschlafen und würden zu spät zur Arbeit kommen. Eigentlich wollte ich um sechs Uhr aufstehen und unser Auto noch ans Ladekabel hängen, bevor wir unsere Tochter um 7:30 Uhr zur Schule gefahren hätten. Die Batterie war fast leer.

Wir gingen ins Kinderzimmer und weckten die Kleine, dann gingen wir hinunter in die Küche. Die Kaffeemaschine funktionierte nicht und im Kühlschrank brannte kein Licht. Ich öffnete das Eisfach. Ein paar feuchte Kartons mit unserer Notfallration TK-Pizzas. Ich schmiss sie in den Mülleimer. Der Herd. Das Licht. Nichts funktionierte. Stromausfall. Wir machten uns noch keine Sorgen. Normalerweise dauerte es nur wenige Stunden. Wir löffelten die Joghurts aus dem Kühlschrank leer und machten uns Wurstbrote. Das Zeug musste ja weg.

Ernsthaft Sorgen machte ich mir, als das Handy kein Netz hatte. Was war passiert? Radio und Fernsehen würden auch nicht funktionieren. Wir waren ratlos. Also beschlossen wir, unsere Tochter zur Schule zu bringen, um dann selbst zur Arbeit zu fahren. Auf einem Schulzeugnis fanden wir die Adresse der Schule und ich hatte noch meinen alten Falk-Plan von Berlin, den ich mir in den neunziger Jahren als Student gekauft hatte.

Auf dem Weg zur Bushaltestelle sahen wir eine Straßenbahn, die mitten auf der Strecke liegengeblieben war. An U- und S-Bahn war also nicht zu denken. Mit dem Bus würde es ein langer Weg nach Charlottenburg werden, wo meine Frau und ich arbeiteten. Immerhin kam der Bus und wir fuhren zur Grundschule. Sie war wegen des Stromausfalls geschlossen, weil es weder Strom noch einen funktionierenden Feueralarm gab.

Also fuhren wir alle drei mit dem Bus in die Innenstadt. Schon der 160er bis Sterndamm war völlig überfüllt, aber wir quetschten uns gerade noch so hinein. Dann ging es mit dem 265er weiter bis zur Sonnenallee in Neukölln. Inzwischen hatten wir wieder Handy-Empfang. Die Fahrt bis zu unseren Büros würde insgesamt zwei Stunden dauern. Wir lasen, dass es einen linksextremistischen Brandanschlag auf zwei Strommasten gegeben hatte und die Reparaturarbeiten bis Donnerstagabend dauern würden. Übersetzt in den Hauptstadtalltag: Für den Rest der Woche ging nichts mehr.

Was sollten wir machen? Meine Frau arbeitete in einem Großraumbüro und ich als Hauptstadtkorrespondent des Wichtelbacher Landboten in einer Online-Redaktion. Unsere Tochter konnten wir nicht zur Arbeit mitnehmen und auch nicht allein zuhause lassen. Wir riefen unsere Vorgesetzten an und schilderten ihnen die Lage. Wir bekamen den Rest der Woche frei, das kostete uns vier Urlaubstage. Ich versprach meiner Redaktion, vom Stromausfall und unserem neuen Alltag per Handy zu berichten und mindestens drei Artikel zu schreiben.

Wir setzten uns in den McDonald’s am Hermannplatz und berieten die Lage. Keiner von uns wollte nach Hause in die Stille und die Dunkelheit nach Sonnenuntergang. Wir hatten bis Sonntagabend Zeit, dann würde alles wieder funktionieren. Meine Frau hatte die rettende Idee und unsere Tochter war sofort begeistert. Wir machen Urlaub! Schon auf dem Bürgersteig waren wir im Ferienmodus und gönnten uns ein Taxi zum Hauptbahnhof. Unterwegs berieten wir, wohin es gehen sollte. Ostsee, Tante Erika in Erfurt, Hamburg?  

Wir fuhren nach Bad Saarow am Scharmützelsee. Wir nahmen uns ein Zimmer in einem Hotel und gingen ins Restaurant „Carpe diem“ (sic!). Am nächsten Morgen kauften wir uns ein paar Klamotten zum Wechseln, Badesachen, Zahnbürsten und einen Kamm. Danach gingen wir in die Saarow Therme, wo wir uns ein paar Stunden entspannten. Fünf schöne Spätsommertage mit Spaziergängen am See, gutem Essen und gemeinsamen Abenden vor der Glotze. Die neue Welt gefiel uns eigentlich ganz gut.

5 Kommentare:

  1. … der nächste linke Ananarchist, der den Lauten macht, bekommt ein knnucklehead breakfast. (aka voll auf die dumme Fresse)
    ein Freund

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  2. Gut gegeben, Bonetti! Aber beim nächsten Mal werden auch die Stromleitungen der Deutschen Bahn sabotiert, dann kannst du das mit dem gemütlichen Aussitzen unserer Weltrevolution auf dem Lande aber so was von vergessen!

    Immer Angriffslustig – Niemals Kriegstüchtig! Kampf den bourgeoisen Regeln der Groß- und Kleinschreibung!

    Einige Dysorthograf:innen

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    1. Aber das ist doch eine Losung... also jetzt nicht das, was der Jäger... egal.
      Außerdem bekommt die Rechts[sic!]chreibung ohnehin nur Beifall von der falschen Seite des Müllhaufens der Geschichte. Daher wird hier auch kein Komma gesetzt. Punkt.

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    2. Verstehe ich nicht. Ich brauche doch auf meinem Landsitz keine Bahn. Der Chauffeur und der Maybach funktionieren immer, schlimmstenfalls rufe ich mir ein Taxi.

      Und über Fragen der Grammatik entscheidet Bonetti Media und nicht pseudokommunistische Rotzlöffel.

      Aber es ist andererseits auch schön, dass die Dienerschaft (aka Unterschicht, aka Arbeiterklasse, aka Almosenempfänger, in Sozi-Deutsch: Bürgergeldabhängige) am Sonntag schon so früh auf ist, um anonym ihre Brotherren anzupöbeln.

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  3. Dünkt mir der essentielle Überlebenstrick für Berlin: Die Karre immer schön volltanken, für den Fall der Fälle, und im Krisenfall zügig abmachen.

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