Montag, 21. April 2025

Ostergedanken

 

Feiertage? Ich bin so froh, diesen Familienhorror endlich hinter mir zu haben. Ich könnte jetzt seitenweise Geschichten erzählen, beschränke mich aber auf die drei schlimmsten in Kurzform, da ich Sie mit meinen Erinnerungen nicht deprimieren möchte.

Seit die neue Frau meines Vaters 1992 in sein Haus gezogen war, wurde das Weihnachtsfest in großer Runde mit acht oder neun Personen begangen. Da diese Frau am 23. Dezember Geburtstag hatte und jedes Jahr darauf bestand, dass dieser Tag auch gebührend begangen wird, waren es immer vier Tage am Stück in derselben Besetzung.

Fall 1: Angeblich reicht am 1. Weihnachtsfeiertag ihre Pute nicht für alle und eine halbe Stunde vor dem Essen brüllt die Frau wie eine abgestochene Sau „ES REICHT NICHT!!!“ Immer und immer wieder. Ein hysterischer Anfall; sie beginnt, Koteletts zu braten. Als alle am Tisch sitzen, drückt sie sich mit dem Rücken an die Esszimmerwand, anstatt sich zu uns zu setzen, und beobachtet uns schweigend und mit weit aufgerissenen Augen. Wir nehmen alle ein paar Alibibissen, loben die Mahlzeit und verdrücken uns schnell ins Wohnzimmer. Natürlich hat die Pute auf diese Weise locker gereicht.

Fall 2: Mein Neffe, vier Jahre alt, rennt um den Tisch herum. Mein Vater will ihn aufhalten, Tränen, Geschrei. Meine Schwester verlässt das Haus mit ihrem Kind und schreit noch an der Tür: „Dieses Haus betreten wir nie mehr!“ Und der Kleine kräht noch hinterher „Nie mehr!“ Meine Schwester knallt die Haustür zu, Totenstille.

Fall 3: Im Untergeschoss, direkt neben meinem Schlafzimmer, fängt mein Vater an Heiligabend um fünf Uhr morgens an, in seiner Werkstatt zu hämmern und anderen Lärm zu veranstalten. Ich werde natürlich wach. Beim Frühstück weise ich ihn höflich darauf hin, dass man diese Arbeit auch später erledigen könne. Er brüllt mich an, ich solle sofort das Haus verlassen. Seine Frau fährt mich zum Binger Bahnhof, den Abend verbringe ich allein in Berlin.

Ich erspare Ihnen weitere Details, die ganzen Streitigkeiten, Schreianfälle, Beleidigungen und Tränen. Als ich einmal mit meiner Schwester ein Spielzeug für die Kinder zusammengebaut habe, stand unser Vater neben uns und sagte: „Ihr seid die größten Idioten, die ich je gesehen habe.“ Natürlich hat sich nie jemand für sein Verhalten entschuldigt und beim nächsten Geburtstag (Vater, Februar) und an Ostern saßen alle wieder zusammen. In ohnmächtiger Erwartung der nächsten Katastrophe.

Es ist vorbei. Am Ostersonntag sehe ich mir den Formel 1-Grand Prix an, genieße die köstliche Pizza von Portofino, trinke badischen Wein und gelegentlich ein Gläschen Grasovka. Ruhe. Niemand ruft an, niemand will etwas von mir. Die Geister der Vergangenheit sind für immer verschwunden.

9 Kommentare:

  1. Auweia — solche Dinge bekommt man seelisch meistens nicht mehr "geradegebogen".
    Gruß, ein Freund

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. In der anderen Waagschale liegen viele schöne Erinnerungen. Die Feiertage, v.a. Weihnachten, waren nur eine Ausnahme. In manchen Jahren bin ich über die Feiertage auch einfach in Berlin geblieben und habe mir den Zirkus erspart.

      Löschen
  2. Ich fühle mit Ihnen. Und zu lesen, was so abging bei Ihnen, erinnert mich wieder an meine eigene Kindheit. Eine zeitlang fragt man sich später als Erwachsener, wie es auch anders hätte sein können. Weshalb nicht. Weshalb ausgerechnet BEI MIR nicht.

    Und nun? Empfinde ich gleich wie Sie. Alle alten Geister sind weg. Tot und begraben.
    Feiertage sind nun wunderbar, weil ruhig.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Inzwischen sind die Feiertage für mich ganz normale Tage. Ich mache nichts Besonderes und für Dekorationen bzw. Event-Süßigkeiten (Osterhase & Co.) verschwende ich kein Geld. Manche Feiertage bemerke ich erst, wenn ich vor dem geschlossenen Supermarkt stehe.

      Löschen
  3. Du musst aber zugeben, dass zusätzlich Koteletts zu braten, keine schlechte Idee sind :)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Dieser Gedanke trifft mich in einem Augenblick der Schwäche. Es ist 11:35 Uhr, ich habe noch nicht mal gefrühstückt und jetzt will ich Koteletts, aber die Metzger haben zu. Im Kühlschrank sind nur zwei Flaschen Bier, im Eisfach ein Wagner-Flammkuchen und Frühlingsrollen.

      NOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOO!!!!!!!!!

      Löschen
  4. Du Armer! Wie heißt es so schön? " Das kommt in den besten Familien vor "? Unsere Mutter hat das Konstrukt " heile Familie " in Feldwebel - Manier zusammengehalten. Als sie vor einigen Jahren verstarb, brach die ganze Schose in sich zusammen. Nun lebt der Rest der Familie - ohne jedweden Kontakt untereinander und auch völlig zerstritten - in ganz Deutschland verteilt weiter. Dann und wann vermisse ich diese damaligen Pflichtbesuche zu Ostern, Pfingsten, Weihnachten und den Geburtstagen dennoch. Wohl gerade deswegen? Kopf hoch, es geht weiter und schöne Restostern.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Wie ich eingangs schrieb, bin ich ich froh, dass alles hinter mir zu haben. Mit meinen Eltern habe ich mich immer gut verstanden, die zweite Frau meines Vaters ist mir in den 32 Jahren, die wir uns kannten, immer fremd geblieben. Wir haben uns bei seiner Beerdigung zum letzten Mal gesehen. Gut so. Kopf ist oben und bleibt auch da ;o)

      Löschen
  5. Diese Augenblicke der Schwäche dauern ja bei Dir 24 h, aber wenn Du bei einem Likörchen einen Rosenkranz betest, sei Dir vergeben :)
    Der große Bonetti ist Gottes Sohn, auch wenn er regelmäßig der Todsünde Völlerei frönt, würde Franziskus sagen.

    AntwortenLöschen