Feiertage?
Ich bin so froh, diesen Familienhorror endlich hinter mir zu haben. Ich könnte
jetzt seitenweise Geschichten erzählen, beschränke mich aber auf die drei
schlimmsten in Kurzform, da ich Sie mit meinen Erinnerungen nicht deprimieren
möchte.
Seit
die neue Frau meines Vaters 1992 in sein Haus gezogen war, wurde das Weihnachtsfest
in großer Runde mit acht oder neun Personen begangen. Da diese Frau am 23.
Dezember Geburtstag hatte und jedes Jahr darauf bestand, dass dieser Tag auch
gebührend begangen wird, waren es immer vier Tage am Stück in derselben
Besetzung.
Fall
1: Angeblich reicht am 1. Weihnachtsfeiertag ihre Pute nicht für alle und eine
halbe Stunde vor dem Essen brüllt die Frau wie eine abgestochene Sau „ES REICHT
NICHT!!!“ Immer und immer wieder. Ein hysterischer Anfall; sie beginnt,
Koteletts zu braten. Als alle am Tisch sitzen, drückt sie sich mit dem Rücken
an die Esszimmerwand, anstatt sich zu uns zu setzen, und beobachtet uns
schweigend und mit weit aufgerissenen Augen. Wir nehmen alle ein paar
Alibibissen, loben die Mahlzeit und verdrücken uns schnell ins Wohnzimmer.
Natürlich hat die Pute auf diese Weise locker gereicht.
Fall
2: Mein Neffe, vier Jahre alt, rennt um den Tisch herum. Mein Vater will ihn
aufhalten, Tränen, Geschrei. Meine Schwester verlässt das Haus mit ihrem Kind
und schreit noch an der Tür: „Dieses Haus betreten wir nie mehr!“ Und der
Kleine kräht noch hinterher „Nie mehr!“ Meine Schwester knallt die Haustür zu,
Totenstille.
Fall
3: Im Untergeschoss, direkt neben meinem Schlafzimmer, fängt mein Vater an
Heiligabend um fünf Uhr morgens an, in seiner Werkstatt zu hämmern und anderen
Lärm zu veranstalten. Ich werde natürlich wach. Beim Frühstück weise ich ihn
höflich darauf hin, dass man diese Arbeit auch später erledigen könne. Er
brüllt mich an, ich solle sofort das Haus verlassen. Seine Frau fährt mich zum
Binger Bahnhof, den Abend verbringe ich allein in Berlin.
Ich
erspare Ihnen weitere Details, die ganzen Streitigkeiten, Schreianfälle,
Beleidigungen und Tränen. Als ich einmal mit meiner Schwester ein Spielzeug für
die Kinder zusammengebaut habe, stand unser Vater neben uns und sagte: „Ihr
seid die größten Idioten, die ich je gesehen habe.“ Natürlich hat sich nie
jemand für sein Verhalten entschuldigt und beim nächsten Geburtstag (Vater,
Februar) und an Ostern saßen alle wieder zusammen. In ohnmächtiger Erwartung
der nächsten Katastrophe.
Es ist
vorbei. Am Ostersonntag sehe ich mir den Formel 1-Grand Prix an, genieße die
köstliche Pizza von Portofino, trinke badischen Wein und gelegentlich ein
Gläschen Grasovka. Ruhe. Niemand ruft an, niemand will etwas von mir. Die
Geister der Vergangenheit sind für immer verschwunden.
Auweia — solche Dinge bekommt man seelisch meistens nicht mehr "geradegebogen".
AntwortenLöschenGruß, ein Freund
In der anderen Waagschale liegen viele schöne Erinnerungen. Die Feiertage, v.a. Weihnachten, waren nur eine Ausnahme. In manchen Jahren bin ich über die Feiertage auch einfach in Berlin geblieben und habe mir den Zirkus erspart.
LöschenIch fühle mit Ihnen. Und zu lesen, was so abging bei Ihnen, erinnert mich wieder an meine eigene Kindheit. Eine zeitlang fragt man sich später als Erwachsener, wie es auch anders hätte sein können. Weshalb nicht. Weshalb ausgerechnet BEI MIR nicht.
AntwortenLöschenUnd nun? Empfinde ich gleich wie Sie. Alle alten Geister sind weg. Tot und begraben.
Feiertage sind nun wunderbar, weil ruhig.
Inzwischen sind die Feiertage für mich ganz normale Tage. Ich mache nichts Besonderes und für Dekorationen bzw. Event-Süßigkeiten (Osterhase & Co.) verschwende ich kein Geld. Manche Feiertage bemerke ich erst, wenn ich vor dem geschlossenen Supermarkt stehe.
LöschenDu musst aber zugeben, dass zusätzlich Koteletts zu braten, keine schlechte Idee sind :)
AntwortenLöschenDieser Gedanke trifft mich in einem Augenblick der Schwäche. Es ist 11:35 Uhr, ich habe noch nicht mal gefrühstückt und jetzt will ich Koteletts, aber die Metzger haben zu. Im Kühlschrank sind nur zwei Flaschen Bier, im Eisfach ein Wagner-Flammkuchen und Frühlingsrollen.
LöschenNOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOO!!!!!!!!!
Du Armer! Wie heißt es so schön? " Das kommt in den besten Familien vor "? Unsere Mutter hat das Konstrukt " heile Familie " in Feldwebel - Manier zusammengehalten. Als sie vor einigen Jahren verstarb, brach die ganze Schose in sich zusammen. Nun lebt der Rest der Familie - ohne jedweden Kontakt untereinander und auch völlig zerstritten - in ganz Deutschland verteilt weiter. Dann und wann vermisse ich diese damaligen Pflichtbesuche zu Ostern, Pfingsten, Weihnachten und den Geburtstagen dennoch. Wohl gerade deswegen? Kopf hoch, es geht weiter und schöne Restostern.
AntwortenLöschenWie ich eingangs schrieb, bin ich ich froh, dass alles hinter mir zu haben. Mit meinen Eltern habe ich mich immer gut verstanden, die zweite Frau meines Vaters ist mir in den 32 Jahren, die wir uns kannten, immer fremd geblieben. Wir haben uns bei seiner Beerdigung zum letzten Mal gesehen. Gut so. Kopf ist oben und bleibt auch da ;o)
LöschenDiese Augenblicke der Schwäche dauern ja bei Dir 24 h, aber wenn Du bei einem Likörchen einen Rosenkranz betest, sei Dir vergeben :)
AntwortenLöschenDer große Bonetti ist Gottes Sohn, auch wenn er regelmäßig der Todsünde Völlerei frönt, würde Franziskus sagen.