Freitag, 4. April 2025

M 2


Sein Problem waren weniger die Drogen und der Alkoholismus, sondern seine Spielsucht. Hier verschwand das Geld, in blinkenden und piepsenden Daddelautomaten. Einmal hat er sechshundert Euro an einem Nachmittag verspielt. In Geldfragen war er beratungsresistent. Als er nach seinem gescheiterten Studium ins Dorf zurückkam, gab ihm sein großer Bruder einen Job in seiner winzigen Werbeagentur. Er musste ihn – Verwandtschaft hin oder her – nach einem halben Jahr feuern, weil er sich auch in diesem Bereich als unzuverlässiger Taugenichts erwiesen hatte. Dann übernahm er am Fußballplatz das Sportheim und schaffte es, die kleine Kneipe an die Wand zu setzen. Viertausend Euro Schulden beim Finanzamt blieben, die er nicht zahlen konnte. Es folgten regelmäßige Besuche des Gerichtsvollziehers. Geschäftlich war er zeit seines Lebens eigentlich unmündig. Er wartete mit der Zahlung der Rundfunkgebühren immer bis zur dritten Mahnung und blechte dann natürlich ein Heidengeld. Auch für die Stromrechnung hatte er keinen Dauerauftrag eingerichtet, so dass ihm gelegentlich der Strom abgestellt wurde. Die glorreiche Idee, bei seiner Bank einen Kredit über dreitausend Euro aufzunehmen und nicht zurückzuzahlen, endete in hohen Kosten und einem Schufa-Eintrag, so dass er seither einen Dispo von null Euro hatte. Irgendwann arbeitete er im Kühlhaus einer Supermarktkette in der Nachtschicht, vier Grad, ein Leben zwischen Butter und Joghurt. Morgens nach Schichtende besoff er sich, selbst am Wochenende ließ er sich immer seltener blicken. Ein Leben als Geist. Suff, Glücksspiel und schwarzgebrannte Filme auf DVD, am liebsten drittklassige Horrorfilme mit Hektolitern Blut und Bergen von menschlichen Innereien.  

Nach der Realschule hatte er eine Lehre als Einzelhandelskaufmann absolviert. Wie wäre sein Leben verlaufen, wenn er einfach in diesem Beruf geblieben wäre? Aber er wollte es der Mehrzahl seiner Freunde nachmachen und studieren. Er holte auf der Handelsschule das Fachabitur nach, ich half ihm bei der abschließenden Hausarbeit, die ihn mit Mühe und Not über die Ziellinie brachte. War das ein Fehler? Damals hatten wir ein Jahr zusammen in einer WG in Bad Kreuznach gelebt. Ich ging anschließend nach Berlin, er nach Duisburg an die Gesamthochschule. Er bekam Bafög, hatte ein Zimmer im Studentenwohnheim, war kostenlos krankenversichert und machte es sich in einem Leben zwischen Computerspielen, Kneipen, Dope und Daddelautomaten bequem. Nach achtzehn Semestern, ohne einen einzigen Schein gemacht zu haben, endete das Experiment. Als er das Wohnheim verlassen musste, lebte er mit seiner sizilianischen Freundin in einer kleinen Wohnung. In der Küche gab es noch nicht einmal eine Spüle, das Geschirr stand in der Badewanne. Damals arbeitete ich schon als promovierter Wissenschaftler in einem Forschungsinstitut und staunte, wie trost- und perspektivlos ein Leben mit Anfang dreißig sein konnte. Alle Menschen, die er kannte, waren längst links und rechts an ihm vorbeigezogen. Seine Freundin hatte einen Studienabschluss und ging schließlich als Lehrerin an eine Schule in der Nähe von Turin.     

Sein Vater war ein stets übel gelaunt und jähzornig. Wenn er das Zimmer betrat, wurde es ungemütlich. Die Musik war immer zu laut und einmal hat er sogar die Kassette aus dem Tapedeck genommen und in den Ofen geschmissen. Er arbeitete als Feuerwehrmann in einer Bundeswehrkaserne und starb mit etwa sechzig an Krebs. Sein Heimatdorf im Hunsrück hatte man eingeebnet, weil es den amerikanischen Jagdbombern bei den Starts und Landungen auf dem nahen Fliegerhorst im Weg gestanden hatte. Wir sind ein einziges Mal dagewesen, die Straßen und die Grundrisse der Häuser, deren Keller man mit Bauschutt aufgefüllt hatte, waren noch zu sehen. Damals fuhr er den lindgrünen VW Käfer, den sein Vater ihm vermacht hatte. Ein halbes Jahr später hatte er im Suff einen Totalschaden und lag einige Wochen im Krankenhaus. Er hatte den Baum schön mittig getroffen, wie er mir bei meinem Besuch erzählte, die Frontscheinwerfer lagen sich nun direkt gegenüber. Seine beiden Brüder waren beruflich erfolgreich, heirateten und gründeten Familien, bauten Häuser und kamen zu bescheidenem Wohlstand. Er selbst blieb immer das schwarze Schaf der Familie.

5 Kommentare:

  1. "War das ein Fehler?" Nö. So gehört sich das als Freund.
    Gruß, ein Freund

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    1. Ja. Schließlich weiß man ja nicht, wohin die Reise geht. Am Anfang und am Ende stand der Supermarkt.

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  2. Unfähig und Pech ist eine fatale Mischung.
    Fähig und Pech ist nicht weit davon entfernt.
    Unfähig und Glück ist viel besser.

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    1. Unfähig und Glück - das könnte das Motto meines Lebens sein. Könnte man noch mit faul und frech ergänzen :o)

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    2. Faul ist o. k. Ohne Faulheit wäre vieles nicht erfunden. (Konrad Zuse: "Ich war einfach nur zu faul zum Rechnen")

      Frech ist auch o. k. Wie soll man(n) wissen, wo die Grenze liegt, wenn man es nicht testet?

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