Samstag, 5. April 2025

M 3

 

Eigentlich war er immer pleite, meistens schon in der Mitte des Monats. Dann ging er zum Mittagessen zu seiner Mutter, die ihm auch ein paar Lebensmittel mitgab. Es gab niemanden, den er nicht anschnorrte. Ich habe ihm sehr oft Geld geliehen, eigentlich hatte er über Jahrzehnte ein überzogenes Konto bei mir. In der Spitze waren es 250 Euro. Mal zahlte er fünfzig Euro zurück, nur um sich eine Stunde später wieder zwanzig Euro zu leihen, weil er die Zeche in der Dorfkneipe nicht zahlen konnte. Wenn wir einen Abend zu zweit mit Videos und Musik verbrachten, wartete er immer, bis wir beide blau genug waren, um mich um einen Zehner anzuhauen. Er hoffte wohl, dass ich mich am nächsten Tag nicht mehr daran erinnern würde. Natürlich erinnerte ich mich daran, aber ich verdiente damals viel mehr als er und ließ ihm das kleine Almosen. Wenn ich ihm in jungen Jahren Geld lieh, strahlte er immer und sagte „Du bist mein bester Freund.“ Später hörte man noch nicht mal ein Danke.

Der absurdeste Versuch, endlich mal an einen Haufen Geld zu kommen, war sein Vorschlag, gemeinsam einen Kredit über 15.000 Euro aufzunehmen. Jeder von uns bekäme dann 7.500 Euro. Wegen seines Schufa-Eintrags solle aber nur ich den Antrag unterschreiben. Win-win, wir hätten beide die Taschen voller Kohle. Ich erklärte ihm, dass wir das Geld doch mit Zinsen zurückzahlen müssten. Ich glaube, er hat es gar nicht begriffen. Einmal hatte er sich am Monatsanfang, als endlich sein Lohn auf dem Konto war, für hundert Euro Rubbellose an der Tankstelle gekauft. Freudestrahlend erzählte er mir später, er habe 37 Euro gewonnen. Nein, erklärte ich ihm, du hast 63 Euro verloren. Bei Schichtende, morgens um sieben, fuhr er gerne zur Aral-Tankstelle, die auf dem Heimweg lag, und kaufte sich drei völlig überteuerte „Jackie-Döschen“. Die erste Dose trank er in seinem Wagen direkt an der Tanke, die er liebevoll „die blaue Lagune“ nannte.  

Im Laufe der Jahre wurde er seinem Vater immer ähnlicher. Verbittert und schlecht gelaunt, immer zum Streit oder zu kleinen Sticheleien aufgelegt. Es machte ihm Spaß, andere zu ärgern und ihnen den Tag zu versauen. Jeder, den er kannte, hatte es zu was gebracht, lebte im eigenen Haus oder in einer Eigentumswohnung. Er war einer der wenigen Mieter im Dorf. Er fing an, AfD zu wählen. Ich fragte ihn, warum er das machen würde. „Aus reiner Boshaftigkeit“, antwortete er und grinste. Er hat sich nie für Politik interessiert.

Überhaupt hatte er keine Interessen oder Hobbys. Er hat selbst als Kind nichts gesammelt und die wenigen Bücher in seiner Wohnung waren alle aus seiner Jugendzeit. Eine Weile hatte er die Titanic gelesen, aber mit einer Zeitung hat ihn kein Mensch je gesehen. Auch Reisen war für ihn kein großes Thema. Wir sind einmal zusammen nach Holland gefahren, haben uns in einem Coffee Shop in Maastricht für hundert Mark Haschisch gekauft und fuhren am nächsten Tag ans Meer. Die Nächte verbrachten wir im Auto, wir ernährten uns von Chips, Bier und Süßigkeiten aus diversen Supermärkten. Im letzten Riesenjoint war bestimmt ein Gramm Dope, völlig bekifft fuhren wir zur Grenze, wo die Zollbeamten unseren Wagen ausgiebig inspizierten. Einmal war er mit seiner Freundin an Weihnachten bei ihren Eltern auf Sizilien. Als Student hatte er mal einen Job im Nachtzug von Kopenhagen nach Rom und zurück, hat sich aber beide Städte nie angesehen.

Zwei Wochen nach seinem Tod hat man die Leiche gefunden. Die Nachbarn hatten den ekelerregenden Geruch schließlich bemerkt. Am Ende hatte er zu niemandem mehr Kontakt.

 

10 Kommentare:

  1. Der klassische Mann ohne Eigenschaften, mal abgesehen von seiner Boshaftigkeit, die ich einigermaßen nachvollziehen kann. Möge er in Frieden ruhen.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das Ende habe ich nur aus dramaturgischen Gründen eingebaut. Keine Ahnung, ob er noch lebt. Aber so wird er einmal enden.

      Löschen
    2. Wenn er noch leben sollte, dann wärs ihm umso mehr zu wünschen, das Ruhen in Frieden.

      Löschen
  2. Hoffentlich kommt jetzt eine achtteilige Serie über den perversen Barkeeper. Ich bleibe mal dran......

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Die Rechte habe ich schon an Netflix verkauft :o)

      Aber nächste Woche kommt noch M 4.

      Löschen
  3. Gut, dann habe ich Programm. Thanx.

    AntwortenLöschen
  4. Als Leiche stinken wir alle oder wollt ihr im Kuehlfach frieren?
    Bonetti wird natürlich im Rumfass konserviert, wie Admiral Nelson.

    Ansonsten kann ein Sondermann-Liebhaber kein schlechter Mensch sein :)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Meine Asche wird zu einem Diamant gepresst und im Edelsteinmuseum in Idar-Oberstein ausgestellt.

      Löschen
    2. Da fühlt man sich doch nicht wohl als Diamant, neben Achat, Lapislazuli und Amethyst.
      Nicht Deine Liga ;)

      Löschen
    3. Leider hat der Louvre schon abgesagt ...

      Löschen