Ich
weiß gar nicht mehr, wie wir darauf kamen. Ich saß mit zwei Nachbarinnen auf meinem
Balkon, weil wir es alle nicht mehr in unseren möblierten Glutöfen aushielten. Es
gab eiskalten Weißwein, Wassermelonenscheiben und Erdbeeren. Wir hatten Spaß,
machten alberne Witze und um Mitternacht waren wir betrunken.
„Kann
ich dich mal was fragen?“ Beate klang plötzlich ernst.
„Klar,
nur zu“, ermunterte ich sie. Die Farbe ihrer ungeschminkten Lippen erinnerte
mich an Regenwürmer.
„Bist
du eigentlich schwul?“
„Nein,
aber ich interessiere mich nicht für Frauen. Genauso wenig wie für Männer.
Kennst du das A im LGBT-Kürzel? Das bin ich. Über uns spricht keiner.“
„Und
wenn dich eine Frau verführen würde“, sagte Kerstin. „Würdest du dann nicht
schwach werden?“
„Nein.
Großes Indigenen-Ehrenwort. Wir drei könnten die Nacht in einem Bett verbringen
und es würde nichts passieren. Außer zwischen euch vielleicht.“
Sie
lachten.
Ich
sagte in verschwörerischem Tonfall: „Stellt euch vor, die Nacht bricht über St.
Tropez herein. Wir drei liegen in unserem Hotelbett und lauschen der Brandung.“
Die
Idee gefiel uns. Aus St. Tropez wurde Cottbus.
Sicherheitshalber
– und um kein Aufsehen beim Hotelpersonal zu erregen – nahmen wir ein
Doppelzimmer für die Damen und direkt nebenan ein Einzelzimmer für mich. In der
ersten Nacht schliefen wir zu dritt im Doppelzimmer, ich in der Mitte. Den
Aussagen meiner Reisegefährtinnen zufolge habe ich fürchterlich geschnarcht, so
dass sie die ganze Nacht nicht schlafen konnten. Am nächsten Tag waren sie
total gerädert.
In der
zweiten Nacht schliefen sie in ihrem Zimmer und ich in meinem. Aus
irgendwelchen fraueninternen Gründen zerstritten sie sich aber und sprachen
kein Wort mehr miteinander.
In der
dritten Nacht schlief Beate im Einzelzimmer und ich mit Kerstin im Doppelbett.
Irgendwann fand ich mich in der Löffelchenfalle wieder. Es fühlte sich eher wie
Esslöffel an oder wie Suppenkelle.
In der
vierten Nacht schlief ich mit Beate im Doppelbett. Besser gesagt, ich wollte
schlafen. Stattdessen musste ich mir das vor Selbstmitleid triefende Geflenne
über ihre gescheiterte Beziehung mit Holgi anhören.
Am
nächsten Morgen reisten wir ab.
Immerhin
grüßen wir uns noch, wenn wir uns im Hausflur sehen.
"Die Farbe ihrer ungeschminkten Lippen erinnerte mich an Regenwürmer"
AntwortenLöschenObwohl man sich an den "Sound" natürlich gewöhnt hat — der Typ toppt es immer noch zuverlässig zum Niederknien.
ein schwer beeindruckter Freund
Woher nehmen Sie nur immer diese Ideen?
AntwortenLöschenKeine Ahnung, ich habe ja noch nicht mal einen Balkon ;o)
LöschenAber am 12. August, als ich den Text geschrieben habe, gab es noch tropische Nächte in Berlin.