Freitag, 22. August 2025

Tropische Nächte


Ich weiß gar nicht mehr, wie wir darauf kamen. Ich saß mit zwei Nachbarinnen auf meinem Balkon, weil wir es alle nicht mehr in unseren möblierten Glutöfen aushielten. Es gab eiskalten Weißwein, Wassermelonenscheiben und Erdbeeren. Wir hatten Spaß, machten alberne Witze und um Mitternacht waren wir betrunken.

„Kann ich dich mal was fragen?“ Beate klang plötzlich ernst.

„Klar, nur zu“, ermunterte ich sie. Die Farbe ihrer ungeschminkten Lippen erinnerte mich an Regenwürmer.

„Bist du eigentlich schwul?“

„Nein, aber ich interessiere mich nicht für Frauen. Genauso wenig wie für Männer. Kennst du das A im LGBT-Kürzel? Das bin ich. Über uns spricht keiner.“

„Und wenn dich eine Frau verführen würde“, sagte Kerstin. „Würdest du dann nicht schwach werden?“

„Nein. Großes Indigenen-Ehrenwort. Wir drei könnten die Nacht in einem Bett verbringen und es würde nichts passieren. Außer zwischen euch vielleicht.“

Sie lachten.

Ich sagte in verschwörerischem Tonfall: „Stellt euch vor, die Nacht bricht über St. Tropez herein. Wir drei liegen in unserem Hotelbett und lauschen der Brandung.“

Die Idee gefiel uns. Aus St. Tropez wurde Cottbus.

Sicherheitshalber – und um kein Aufsehen beim Hotelpersonal zu erregen – nahmen wir ein Doppelzimmer für die Damen und direkt nebenan ein Einzelzimmer für mich. In der ersten Nacht schliefen wir zu dritt im Doppelzimmer, ich in der Mitte. Den Aussagen meiner Reisegefährtinnen zufolge habe ich fürchterlich geschnarcht, so dass sie die ganze Nacht nicht schlafen konnten. Am nächsten Tag waren sie total gerädert.

In der zweiten Nacht schliefen sie in ihrem Zimmer und ich in meinem. Aus irgendwelchen fraueninternen Gründen zerstritten sie sich aber und sprachen kein Wort mehr miteinander.

In der dritten Nacht schlief Beate im Einzelzimmer und ich mit Kerstin im Doppelbett. Irgendwann fand ich mich in der Löffelchenfalle wieder. Es fühlte sich eher wie Esslöffel an oder wie Suppenkelle.

In der vierten Nacht schlief ich mit Beate im Doppelbett. Besser gesagt, ich wollte schlafen. Stattdessen musste ich mir das vor Selbstmitleid triefende Geflenne über ihre gescheiterte Beziehung mit Holgi anhören.

Am nächsten Morgen reisten wir ab.

Immerhin grüßen wir uns noch, wenn wir uns im Hausflur sehen.

 

3 Kommentare:

  1. "Die Farbe ihrer ungeschminkten Lippen erinnerte mich an Regenwürmer"

    Obwohl man sich an den "Sound" natürlich gewöhnt hat — der Typ toppt es immer noch zuverlässig zum Niederknien.

    ein schwer beeindruckter Freund

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  2. Woher nehmen Sie nur immer diese Ideen?

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    1. Keine Ahnung, ich habe ja noch nicht mal einen Balkon ;o)

      Aber am 12. August, als ich den Text geschrieben habe, gab es noch tropische Nächte in Berlin.

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