Donnerstag, 14. August 2025

Who the fuck gives a shit


Ich bin der Regierende Bürgermeister von Berlin. Ich kann es immer noch nicht fassen. Und das kam so:

Einmal im Jahr, am 10. August, treffen sich alle Berliner, die Interesse an der Wahl zum Bürgermeister haben, auf dem Tempelhofer Feld. Meistens kommen etwa dreißig bis vierzig Leute zusammen. Der Bürgermeister, der im vergangenen Jahr gewählt wurde, hält eine kurze Rede, in der er eine Bilanz seiner Amtszeit zieht. Dann fragt er, wer Bürgermeister werden möchte. Doch in diesem Jahr hatte keiner Lust. Also stellte ich mich zur Wahl. Der Bürgermeister fragte die Versammelten, ob sie mich wählen wollen. Etwa die Hälfte hob den Arm und so war ich gewählt. Er übergab mir die Krone aus Pappe, auf der jemand mit Edding „Bürgermeister“ geschrieben hatte. Als Bürgermeister hat man eigentlich nicht viel zu tun. Es gibt keinen Etat und keine Senatsverwaltung. Es ist ein rein repräsentativer Job.

Die gesamte Bevölkerung der Stadt besteht vielleicht aus ein paar hundert Leuten. Keiner weiß es so genau, denn sie leben über das gesamte Stadtgebiet verstreut. Vor sieben Jahren brach eine Seuche aus. Niemand kennt den Patient 0, keiner weiß, wo sie zuerst auftrat. Manche sagen, es sei im Regierungsviertel gewesen. Diese Krankheit betrifft das Gehirn, das unaufhörlich schrumpft. Zunächst verblöden die Leute, dann verlernen sie das Gehen und schließlich versagen die lebenswichtigen Funktionen. Am Ende ist das Gehirn auf Walnussgröße geschrumpft.

Wir Überlebenden sind immun, dürfen die Stadt aber nicht verlassen. Als die Seuche ausbrach, wurde Berlin abgeriegelt und unter Quarantäne gestellt. Inzwischen hat man einen fünf Meter hohen, elektrisch geladenen Zaun um die Stadt gebaut, der permanent überwacht wird. Man kann also keinen Tunnel graben oder mit einem Fesselballon fliehen. Ein paar tausend Idioten, die in den ersten Tagen nach Ausbruch der Seuche noch die Stadt verlassen konnten, wurden isoliert und sind längst tot. Die Welt hat Berlin vergessen.

Wir haben genug zu essen. Die Vorratshäuser sind immer noch voller Konserven, die einmal für die Versorgung einer Millionenstadt gedacht waren. Mit Samen aus den Gartencentern hat man Gemüsefelder angelegt. Als es anfangs noch frisches Obst gab, haben ein paar kluge Köpfe die Samen eingepflanzt, so dass es jetzt Apfel-, Birnen-, Pflaumen- und Avocadobäume gibt. Auch die Kartoffeln, die man eingegraben hat, vermehren sich prächtig. Da sich die Natur die Stadt zurückholt, gibt es auch jede Menge Kaninchen und Tauben, die man jagen kann. Wasser gibt es an den Straßenbrunnen, die einmal für den Kriegsfall angelegt wurden.

Leider gibt es keinen Strom. Also kein Licht, kein Handy, kein Internet, Fernsehen oder Radio. Waschmaschinen und Spülmaschinen funktionieren auch nicht, aber der Vorrat an Klamotten, Geschirr und Besteck ist unerschöpflich. Alle paar Tage wechselt man die Unterwäsche und die Teller und besorgt sich was Neues. Wir sind also eine Wegwerfgesellschaft geblieben. Aber jeder von uns hat eine Villa oder eine riesige Altbauwohnung. Keiner arbeitet, keine Hierarchien, keine Deadlines. Alle sind entspannt.

Es gibt ganze Bibliotheken voller Bücher, so viel kann ich gar nicht lesen. Mit dem Schund, von dem es genug gibt, machen wir uns Feuer, über dem wir unsere Mahlzeiten kochen. Aus den Musikfachgeschäften haben die Leute Gitarren, Trommeln und Blasinstrumente geholt. Wir singen und musizieren zusammen wie in der guten alten Zeit. Ansonsten herrscht Stille, es gibt keine funktionierenden Autos mehr, wir gehen zu Fuß oder fahren mit dem Rad.

Ich habe mir für meine Amtszeit eigentlich nichts vorgenommen, aber ich will freundlich zu allen sein. Das wäre doch für den Anfang nicht schlecht.

2 Kommentare:

  1. Walnussgröße? Zu groß. Die Stadt der Verrückten lässt sich am besten komplett hirnlos regieren. Und das ist auch gut so!

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  2. Ein wunderschönes Märchen ...

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