Holgi
war die gute Seele des Hauses. Er hatte immer ein offenes Ohr für seine
Nachbarn, goss ihre Pflanzen, wenn sie in Urlaub fuhren, und im Augenblick
stapelten sich ein halbes Dutzend Pakete neben seiner Wohnungstür. Darunter
eines für Amir Mohammadi, der direkt neben ihm wohnte. Das Paket wog bestimmt
zehn Kilogramm. Ironischerweise war der junge Afghane tagsüber nie da, weil er
für einen Paketdienst arbeitete. Seine Pakete wurden aber immer von der
Konkurrenz gebracht. Holgi dachte sich nichts dabei. Diese Pakete kamen einmal
im Monat aus Pakistan, vielleicht wollte er nicht, dass seine Kollegen dumme
Fragen stellten.
Es
klingelte. Holgi legte den Kriminalroman zur Seite und ging zur Tür. Als er sie
öffnete, standen zwei Männer in dunklen Anzügen und kurzen Haaren, Typ
Schrankwand und einen Kopf größer als er, vor ihm. Die Jacketts sahen so aus,
als würden sie im Bereich der Oberarme gleich aufplatzen.
„Wollen
Paket abcholen. Bin Amir Mohammadi“, sagte einer der beiden mit starkem
russischem Akzent.
„Kenne
ich nicht“, antwortete Holgi.
Die
Männer schwiegen, aber Holgi konnte hören, was dieses Schweigen bedeutete: „Junge,
mach uns keinen Ärger, sonst wird es hässlich.“
Holgi
machte erschrocken die Tür zu. Wer war das? Da donnerten schon die Fäuste der
Russen an seine Tür. Hastig nahm er ein Paket mit Büchern, das er seiner
Nachbarin in den Harz nachschicken sollte, und öffnete die Tür.
„Hier,
bitte.“
Ohne
das Paket näher anzuschauen, zogen die Russen wieder ab.
Holgi
wartete zehn Minuten, dann ging er zu Amir hinüber. Die Wohnungstür stand
offen. Im Flur lag sein Nachbar in einer Blutlache, offenbar erstochen. Holgi
ging mit dem Paket ein Stockwerk höher und schloss die Tür der Nachbarin auf,
die verreist war. Hier würden ihn die Russen nicht finden. Er setzte sich aufs
Sofa und legte das Paket auf den Wohnzimmertisch. Es half nichts. Er musste es
öffnen. Haschisch. Zehn Kilo Haschisch.
Sollte
er die Polizei rufen? Auf jeden Fall. Schon wegen Amirs Leiche. Es ging um
Mord. Aber das Dope? Eine Viertelstunde später wimmelte es im Stockwerk unter
ihm vor Kriminalbeamten, Polizisten und Leuten von der Spurensicherung. Sie
gingen auch durchs Haus und klingelten an jeder Tür. Holgi machte nicht auf. Er
beschloss, auf dem Sofa zu übernachten.
Am
nächsten Tag rief er nachmittags Benny und Lukas an. Eine halbe Stunde später waren
sie bei ihm. Sie hatten Süßigkeiten, Knabberkram, drei Flaschen Wein und ihre
große Bong dabei. Die Kifferparty dauerte bis Mitternacht. Als sie gingen, gab
Holgi ihnen zwei Kilogramm Haschisch mit. Die beiden verkauften den Shit am
nächsten Tag an ihren Dealer. Unverschnittener schwarzer Afghane. Bester Stoff.
Sie bekamen zehntausend Euro. Eine Woche später hatten sie neun Kilo verkauft
und 45.000 Euro eingenommen, die sie brüderlich durch drei teilten. Ein Kilo
behielten sie als Eigenbedarf und Benny versteckte es im Haus seiner Eltern.
Der
Polizei hatte Holgi eine Beschreibung der beiden Russen gegeben und gesagt, sie
hätten bei Amir etwas gesucht, aber nicht gefunden. Deswegen hätten sie auch
bei ihm geklingelt und sich nach einem Paket erkundigt, das angeblich bei ihm
abgegeben worden sei. Möglicherweise würden sie in den nächsten Tagen
wiederkommen. Tatsächlich kamen sie schon am nächsten Tag und wurden von
Beamten in Zivil festgenommen, die das Haus observiert hatten. Einer der beiden
hatte sogar noch die Tatwaffe dabei. Holgi erfuhr davon über die Internet-Seite
einer Tageszeitung.
Es war
Winter und die drei Freunde beschlossen, erstmal einen langen Urlaub auf Bali
zu machen. Holgi gab dem buddhistischen Mönch im Dachgeschoss den
Wohnungsschlüssel der Nachbarin und bat ihn, die Blumen zu gießen. Außerdem
möge er bitte eine spirituelle Reinigung des Hauses vornehmen, um es von seinem
schlechten Karma nach dem Mordfall zu befreien. Holgi hat nach seiner Rückkehr
nie mehr ein Paket für seine Nachbarn entgegengenommen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen