Sonntag, 10. August 2025

Das Paket

 

Holgi war die gute Seele des Hauses. Er hatte immer ein offenes Ohr für seine Nachbarn, goss ihre Pflanzen, wenn sie in Urlaub fuhren, und im Augenblick stapelten sich ein halbes Dutzend Pakete neben seiner Wohnungstür. Darunter eines für Amir Mohammadi, der direkt neben ihm wohnte. Das Paket wog bestimmt zehn Kilogramm. Ironischerweise war der junge Afghane tagsüber nie da, weil er für einen Paketdienst arbeitete. Seine Pakete wurden aber immer von der Konkurrenz gebracht. Holgi dachte sich nichts dabei. Diese Pakete kamen einmal im Monat aus Pakistan, vielleicht wollte er nicht, dass seine Kollegen dumme Fragen stellten.

Es klingelte. Holgi legte den Kriminalroman zur Seite und ging zur Tür. Als er sie öffnete, standen zwei Männer in dunklen Anzügen und kurzen Haaren, Typ Schrankwand und einen Kopf größer als er, vor ihm. Die Jacketts sahen so aus, als würden sie im Bereich der Oberarme gleich aufplatzen.

„Wollen Paket abcholen. Bin Amir Mohammadi“, sagte einer der beiden mit starkem russischem Akzent.

„Kenne ich nicht“, antwortete Holgi.

Die Männer schwiegen, aber Holgi konnte hören, was dieses Schweigen bedeutete: „Junge, mach uns keinen Ärger, sonst wird es hässlich.“

Holgi machte erschrocken die Tür zu. Wer war das? Da donnerten schon die Fäuste der Russen an seine Tür. Hastig nahm er ein Paket mit Büchern, das er seiner Nachbarin in den Harz nachschicken sollte, und öffnete die Tür.

„Hier, bitte.“   

Ohne das Paket näher anzuschauen, zogen die Russen wieder ab.

Holgi wartete zehn Minuten, dann ging er zu Amir hinüber. Die Wohnungstür stand offen. Im Flur lag sein Nachbar in einer Blutlache, offenbar erstochen. Holgi ging mit dem Paket ein Stockwerk höher und schloss die Tür der Nachbarin auf, die verreist war. Hier würden ihn die Russen nicht finden. Er setzte sich aufs Sofa und legte das Paket auf den Wohnzimmertisch. Es half nichts. Er musste es öffnen. Haschisch. Zehn Kilo Haschisch.

Sollte er die Polizei rufen? Auf jeden Fall. Schon wegen Amirs Leiche. Es ging um Mord. Aber das Dope? Eine Viertelstunde später wimmelte es im Stockwerk unter ihm vor Kriminalbeamten, Polizisten und Leuten von der Spurensicherung. Sie gingen auch durchs Haus und klingelten an jeder Tür. Holgi machte nicht auf. Er beschloss, auf dem Sofa zu übernachten.

Am nächsten Tag rief er nachmittags Benny und Lukas an. Eine halbe Stunde später waren sie bei ihm. Sie hatten Süßigkeiten, Knabberkram, drei Flaschen Wein und ihre große Bong dabei. Die Kifferparty dauerte bis Mitternacht. Als sie gingen, gab Holgi ihnen zwei Kilogramm Haschisch mit. Die beiden verkauften den Shit am nächsten Tag an ihren Dealer. Unverschnittener schwarzer Afghane. Bester Stoff. Sie bekamen zehntausend Euro. Eine Woche später hatten sie neun Kilo verkauft und 45.000 Euro eingenommen, die sie brüderlich durch drei teilten. Ein Kilo behielten sie als Eigenbedarf und Benny versteckte es im Haus seiner Eltern.

Der Polizei hatte Holgi eine Beschreibung der beiden Russen gegeben und gesagt, sie hätten bei Amir etwas gesucht, aber nicht gefunden. Deswegen hätten sie auch bei ihm geklingelt und sich nach einem Paket erkundigt, das angeblich bei ihm abgegeben worden sei. Möglicherweise würden sie in den nächsten Tagen wiederkommen. Tatsächlich kamen sie schon am nächsten Tag und wurden von Beamten in Zivil festgenommen, die das Haus observiert hatten. Einer der beiden hatte sogar noch die Tatwaffe dabei. Holgi erfuhr davon über die Internet-Seite einer Tageszeitung.

Es war Winter und die drei Freunde beschlossen, erstmal einen langen Urlaub auf Bali zu machen. Holgi gab dem buddhistischen Mönch im Dachgeschoss den Wohnungsschlüssel der Nachbarin und bat ihn, die Blumen zu gießen. Außerdem möge er bitte eine spirituelle Reinigung des Hauses vornehmen, um es von seinem schlechten Karma nach dem Mordfall zu befreien. Holgi hat nach seiner Rückkehr nie mehr ein Paket für seine Nachbarn entgegengenommen.

 

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