Ilse, Ilse, keiner willse. Ein alter Spruch, ich
weiß. Hätte ich nur auf ihn gehört.
Ilse
war das komplette Gegenteil von mir. Sie hatte einen Plan, ihr Leben hatte
Struktur. Sie hatte eine klare Meinung zu jedem Thema, einen geregelten
Tagesablauf und eine Stelle als Sachbearbeiterin in der Stadtverwaltung. Ich
hingegen war Künstler, manchmal schon morgens angetrunken und völlig verpeilt.
Ich töpferte japanische Teetassen, die ich an einen japanischen Teetassenladen
in Düsseldorf lieferte, wo sie als angebliche Originale verkauft wurden.
Wie
alle Liebenden fuhren Ilse und ich nach Paris. Dort nahm die Tragödie, das
namenlose Elend, seinen Lauf. Wir kamen mit dem Nachtzug um sieben Uhr morgens
an, weil wir auf diese Weise eine Übernachtung sparten. Der Sinn dieser
Maßnahme hat sich mir nie erschlossen, weil wir die ersten acht Stunden die
Champs-Elysees, den Triumphbogen und andere Sehenswürdigkeiten mit dem
Rollkoffer besichtigen mussten.
Nachdem
wir in einem mehr als fragwürdigen Hostel im 21. Arrondissement eingecheckt
hatten, gingen wir essen. Ilse hatte in einer Bahnhofsbuchhandlung in einem
Feinschmeckerjournal herumgeblättert und das „Le Bleu Merveille“ gefunden. Wir
aßen Boudin Noir, ein Gericht, das sich als ordinäre Blutwurst herausstellte.
Danach teilten wir uns ein Choucroute, eine elsässische Sauerkrautplatte mit
Kassler und Wurst. Dafür muss ich als Deutscher nicht nach Paris fahren!
Am
nächsten Morgen weckte mich Ilse um halb sieben. Punkt sieben öffnete der
Frühstücksraum und wir waren am unreichlich gedeckten Buffet in der Pole
Position. Neben Ilses Teller lagen ihr Reiseführer, ein Notizblock und drei
Kugelschreiber. Sie hatte einen Plan für diesen Tag. Ich sah eine lange Reihe
von Uhrzeiten und Orten. Wie schön, dachte ich.
Kurze
Zeit später standen wir vor dem Eiffelturm.
„Mach
ein Foto von mir!“
Ich
knipste sie vor dem Eiffelturm. Ich nenne solche Fotografien immer
„Beweisbilder“.
„Sollten
wir nicht auf den Turm gehen und uns die Stadt von oben anschauen?“
„Wozu?
Wir sind doch in der Stadt.“ Sie schüttelte den Kopf.
Louvre.
Ich war noch im ersten Raum und wollte Ilse gerade auf die Schönheit eines
impressionistischen Gemäldes hinweisen. Sie war verschwunden. Ich schaute in
den nächsten Raum. Dort rannte sie, ohne nach links und rechts zu schauen,
bereits in den dritten Raum. Als ich nach einer Stunde zum Ausgang kam, sah sie
mich vorwurfsvoll an.
„Wo
bist du gewesen?“
„Die
Mona Lisa …“
„Eine
Kopie hinter Sicherheitsglas, belagert von hundert Japanern und Chinesen.“
So
ging es weiter. Ich sah Ilse den ganzen Tag nur von hinten, während sie von
einer Sehenswürdigkeit zur nächsten eilte. Montparnasse, Präsidentenpalast, Sacré-Cœur
im Laufschritt. Coffee to go und ein Croissant.
„Mach
ein Foto“, sagte sie immer wieder. „Zuhause können wir uns alles in Ruhe
anschauen.“
Dreißig
Stunden Paris, davon sechs Stunden Schlaf. Dann ging es zurück nach Hause. Ich
war froh, als ich am Montagmorgen wieder in meiner Werkstatt war.
Hab ich gerne gelesen, ein gutes Beispiel für "Gegensätze ziehen sich an"! Das Ende allerdings irritiert: Ins Büro? Der verpeilte Künstler? :-)
AntwortenLöschenDanke. Hab's geändert. Das kommt davon, wenn man den zweiten Teil am nächsten Tag schreibt und den Anfang vergessen hat :o)))
LöschenWo ist denn mein Kommentar hin? Gemeldet wurde "wird veröffentlicht", aber es heißt noch immer "0 Kommentare".
AntwortenLöschenDie Kommentare müssen erst freigeschaltet werden. Ich war gerade zwei Stunden auf dem Balkon und habe gelesen. Kommt nicht wieder vor ;o)
LöschenWie es wirklich war! Comment cela s'est réellement passé!
AntwortenLöschenAnkunft in Paris am Gare du Pastis um 6.03 Uhr.
Während ich eben mal schnell zur Toilette in den Bahnhof-Chiottes verschwand, soff mein gelieber Bonetti am nächstgelegenen Bistrostrand mal eben eine Liter-Flasche "Pastis de Marseille". Auf Ex!
Frisch aufgetakelt zurück bei meinem Schnuckilein, guckte dieser schon rosarot und himmelblau verliebt in den Ciel von Paris und sang ein Loblied auf das "Bière Du Moment". Nur das es "etwas dickflüssig" wäre ... und behauptete, ICH wäre der Spatz von Paris.
Dann fiel er einfach stocksteif um.
"Oh, là, là! Le monsieur est complètement bourré" hörte ich die fachkundigen Diagnose des herbei geeilten Kellners, welcher die leere Flasche Ricard begutachtete.
"Pour le faire dessoûler, muss man den Pastis gehörig mit Wasser verdünnen!"
Gesagt getan, schöpfte mein Retter in der Liebesnot, Mussjöh Enrieh, einen Eimer Wasser aus der nahegelegenen Seine, und goß die ernüchternde Brühe - "À votre santé! Welcome to Paris!" singend, über meinen stockbesoffenen petit coq de Paris.
"Sacre Bleu" krähte dieser unvermittelt lautstark in den zarten Morgenhimmel, worauf alle Amants in den umliegenden "Hôtels de l'heure bleu" erschreckt nach ihren Unterhosen griffen und über die Feuertreppen im Pariser Morgennebel verschwanden.
Mon fiancé klappte sich nun mit einem gewaltigen Rülpser gleich einem Opinel N° 09 zusammen.
Und verblieb in dieser starren Haltung.
Praktisch, so konnte ich mein geliebtes Vögelchen mit Hilfe von Mussjöh Enrieh einfach in den Rollkoffer verklappen, wobei rein zufällig Bonettis prall gefüllte Brieftasche in Enriehs schlanke Fingerchen fiel.
Au revoir, mon bien-aimé Bonetti. Nous sommes en route pour Marseille.
Und wenn der Koffer nicht von selber wieder aufgeklappt ist, rülpst mein heißgeliebter Bonetti immer noch unter der Brücke "Henri Bardouin". Direkt hinterm Gare du Pastis ...
Isch schwöre, sur la tête de Monsieure Pommes Frites que je ne vous dis que la vérité!
Du weißt zu viel. Aber dass du mir mit Edding CONNARD auf die Stirn geschrieben hast, nehme ich dir echt übel.
LöschenMeine Frau, die Ilsebill, will nicht so, wie ich wohl will.
AntwortenLöschenSchönes Märchen, das wir Singles immer wieder gerne lesen.
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