Mittwoch, 4. Januar 2023

Eins, zwei, viele

 

1945 endete offiziell die Zeit des europäischen Mächtegleichgewichts mit wechselnden Bündnissen. Deutschland und, in geringerem Maße, Italien waren durch die Niederlage im Zweiten Weltkrieg vom Schachbrett genommen worden, die Kolonialreiche von Großbritannien und Frankreich begannen zu zerfallen.

Es begann eine kurze Phase der Unipolarität. Die USA waren ökonomisch und militärisch (Atombombe) die unumstrittene Weltmacht Nr. 1. Sie begriff sich als neue Ordnungsmacht, z.B. in Korea und im Iran Anfang der fünfziger Jahre. Militärdiktaturen (u.a. Südkorea, Griechenland, Spanien, Argentinien, Brasilien, Chile, Paraguay, Bolivien, Peru, Uruguay) ließ man jahrzehntelang gewähren, aber der Kommunismus wurde gnadenlos bekämpft.

Erst als die Sowjetunion Ende der sechziger Jahre die Fähigkeit zum erfolgreichen atomaren Zweitschlag erworben hatte und sich die Niederlage der USA in Vietnam abzeichnete, entstand die Bipolarität, in der meine Generation aufgewachsen ist. Der Kalte Krieg zweier klar definierter Machtblöcke prägte die Zeit bis zum Untergang des Warschauer Pakts und der Sowjetunion.

Es gab zwar noch die Dritte Welt und ihre Bewegung der Blockfreien, aber ihre Interessen waren zu heterogen, um geopolitisch wahrgenommen zu werden. Diese Bewegung umfasste Länder wie das sozialistische Kuba und die islamische Theokratie im Iran, reiche Länder wie Saudi-Arabien und arme Länder wie Sierra Leone, große Länder wie Indien und Zwergstaaten im Pazifik. Ökonomisch änderte sich an den Machtverhältnissen auch nach dem offiziellen Ende des Kolonialismus nichts. Die Industrie war im Norden, der Süden lieferte die Rohstoffe. Der Weltmarktanteil der Dritten Welt sank kontinuierlich. 

In den neunziger Jahren frohlockten Amerikaner wie Francis Fukuyama, die Welt der Unipolarität käme wieder zurück. Inzwischen wissen wir längst, dass wir im Zeitalter der Multipolarität leben. Der Aufstieg Chinas zur ökonomischen und militärischen Weltmacht ist das augenfälligste Beispiel. Aber es gibt noch andere Akteure, die weltpolitisch weniger offensiv auftreten als die USA und China. Andere Atommächte wie Russland, Großbritannien, Frankreich, Indien, Pakistan, Nordkorea und Israel sind militärisch nicht mehr erpressbar.

Die EU ist ökonomisch ein Big Player, auch wenn sie militärisch in der NATO von den USA dominiert wird. Das zeigt sich immer wieder in harten Auseinandersetzungen um Zölle oder Produktstandards. Die weltweiten Devisenreserven sind zu sechzig Prozent in Dollar angelegt und zu zwanzig Prozent in Euro. Dazu kommen Rohstoffkartelle wie die OPEC und internationale Großkonzerne, die alle ihren Sitz in den Industrieländern haben (USA, Westeuropa, Ostasien). Gerade in der globalisierten Ökonomie zeigt sich die neue Multipolarität am deutlichsten. Die Macht ist auf mehrere Zentren verteilt, die machtlose Peripherie wird weiterhin als Rohstofflieferant und billige Produktionsstätte ausgebeutet.     

 

2 Kommentare:

  1. ... sehr klar analysiert. Es wäre jetzt nur schön, wenn die unipolaren Player nicht dem Kapitalismus und dem unbegrenzeten Wachstum frönen würden, sondern solchen Begriffen wie "Gleichheit, Brüderlichkeit, "sauberes Wasser für alle" etc. Aber das dauert noch bis zur "Indipendence Day Schlusssequenz" ...

    Gruß
    Jens

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das werden wir nicht mehr erleben. Selbst das "kommunistische" China, derzeit Nr. 2 der Wirtschaftsmächte, ist auf Gedeih und Verderb der Wachstumsideologie ausgeliefert, um seine riesige Volkswirtschaft am Laufen zu halten. Deswegen gibt es längst chinesische Fabriken in Vietnam, Bangladesch oder Äthiopien, wo das Billiglohnland China noch billigere Arbeitskräfte ausbeutet.

      Löschen