Montag, 5. Dezember 2022

Ein Besuch bei Andy Bonetti

 

Ich versuche schon seit Jahren, ein Interview mit dem berühmten Andy Bonetti zu bekommen. Bekanntlich ist der große Meister ein scheuer und bescheidener Mensch, der sich nicht in den Mittelpunkt stellen möchte.

Heute ist es soweit. Ich gebe die Adresse ins Navi ein und fahre los. Es geht in ein kleines Dorf in der Nähe von Berlin. Es wundert mich, dass der Medientycoon die Konzernzentrale außerhalb der Stadt gebaut hat. Aber das Silicon Valley ist ja bekanntlich auch nicht in der Innenstadt von Los Angeles entstanden.

Als ich schließlich am Ziel ankomme, kann ich es nicht fassen. Ich überprüfe noch einmal die Adresse. Aber sie stimmt. Vor mir steht ein kleines Einfamilienhaus, das von wildem Gestrüpp umgeben ist. Und gehe zur Haustür und klingele. Es dauert eine Weile, bis die Tür geöffnet wird.

Vor mir steht eine uralte Frau, die sich auf einen Stock stützen muss.

„Wer sind Sie?“, fragt sie mürrisch.

 „Mein Name ist Hudson Haselreiter”, antworte ich. „Ich bin mit Andy Bonetti verabredet.“

Sie dreht sich um und ruft: „Andreas, du hast Besuch.“

Ich trete ein und höre, wie eine Kinderstimme aus dem Keller ruft: „Er kann runterkommen.“

Ich gehe die Treppe hinunter und betrete einen düsteren Kellerraum, der nur von einer Glühbirne beleuchtet wird. Drei Tische sind zu einem U zusammengestellt, auf ihm befinden sich drei große Monitore und ein Notebook. Die obligatorischen leeren Pizzakartons und Bierflaschen fehlen allerdings. Bonetti erhebt sich aus einem riesigen schwarzen Drehsessel. Er trägt ein orange-schwarz-gemustertes Dashiki-Hemd, khakifarbene Bermudashorts und Filzpantoffeln.

Der zwei Meter hohe Fleischberg reicht mir seine gewaltige Pranke. Sein Händedruck ist weich, warm und ein wenig feucht.

„Willkommen bei Bonetti Media.“

Ich bin verblüfft. „Ich hätte mir das Unternehmen größer vorgestellt. Wo sind Ihre Mitarbeiter? Wo ist Heinz Pralinski?“

„Den habe ich mir nur ausgedacht. Ich arbeite ganz allein.“

„Wozu dann die vielen Monitore?“

„Auf einem zocke ich, auf einem surfe ich durchs Netz und auf einem sehe ich Fernsehen. Auf dem Notebook schreibe ich meine Texte.“

„Sie wohnen noch bei Ihrer Mutter? Und was ist mit der Altbauwohnung in Wilmersdorf?“

„Die gibt es nicht. Drei- bis viermal im Jahr fahre ich mit der S-Bahn in die Stadt. Das ist alles.“

„Aber Sie müssten mit Ihrem Unternehmen doch Millionen verdienen.“

„Keine Kopeke. Meine Mutter bezahlt die Einkäufe und die Nebenkosten. Sie kocht auch für mich. Wollen Sie eine Cola?“

Die Story wird mir in der Redaktion keiner abkaufen.  




1 Kommentar:

  1. Mit der Story würde ich einen auf Relotius machen. Dann sind Auszeichnungen in Sicht.

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