Mittwoch, 12. November 2025

Die Bücherfalle

 

99 Prozent aller Bewohner dieses Landes sind harmlos oder wenigstens unauffällig. Sie lesen Bücher wie „Sieben Stunden im Café Tibet“ oder „Wenn die Fingernägel Trauer tragen“. Aber es gibt auch toxische Literatur. Dann kommen die Book Hunters ins Spiel. Auch wenn ich dieses Projekt vorläufig allein durchziehe und es keine offizielle Bezeichnung für meine Tätigkeit ist. Aber es klingt gut.

Dienstagmorgen. Es liegt ein Grauschleier über der Stadt. Plötzlich geht das rote Warnlicht an und die kleine Sirene auf meinem Schreibtisch beginnt zu heulen. Jemand hat gerade „19 Tipps für Dschihadisten – Wie der Islam in Deutschland siegt“ in einer Wilmersdorfer Bibliothek ausgeliehen. Die 19 gehört zu den heiligen Zahlen im Islam, wie die 7 und die 99. Ich stürze aus dem Haus und halte ein Taxi an.

„Fahren Sie mich zur Dietrich-Bonhoeffer-Bibliothek“, rufe ich dem Fahrer zu.

Der Mann mit Turban und Rauschebart sieht mich verständnislos an.

„Brandenburgische Straße 2“.

Als ich ankomme, sehe ich gerade noch, wie ein Mann in Kaftan und Sandalen die Bibliothek verlässt. Er hat das Buch in seiner rechten Hand und geht eilig davon.

Die ganze Sache war meine Idee und ich konnte den Chef des Berliner Staatsschutzes davon überzeugen, dieses preiswerte Projekt zur Identifizierung von islamistischen Terroristen zu unterstützen. Zunächst musste ich natürlich den Ratgeber schreiben. Das war gar nicht so einfach. Tipps wie „Sprich mit den Ungläubigen über Allah und den Propheten“, gefolgt von mehrseitigen Koranzitaten, oder „Frag in der nächsten Moschee nach Schusswaffen“ waren ja noch einfach. Unauffälliges Verhalten – nur bei Grün die Straße überqueren, Metallica-Shirts tragen, gelegentlich einen Doppel Whopper essen – konnte ich aufgrund meines kulturellen Hintergrunds auch sehr gut beschreiben. Aber beim Thema Bombenbau musste ich die Leser natürlich in die Irre führen. Andererseits: Plastiksprengstoff aus Lego, Multifunktionsjacken als Sprengstoffgürtel – warum nicht?

Wir verbreiteten die Kunde von diesem Buch über V-Leute in Kreuzberg und Neukölln. Sie hatten es in Shisha-Bars und Dönerbuden dabei und blätterten auffällig darin herum. Wir hatten es in allen öffentlichen Bibliotheken Berlins platziert. Sobald die Signatur bei der Ausleihe eingescannt wurde, ging in meinem Büro der Alarm los. Sicherheitshalber war im Einband noch ein GPS-Tracker, damit ich es orten konnte, wenn ich die Spur verlieren sollte. Ein bundesweit einmaliges Projekt. Der Staatsschutz war sehr stolz darauf.

Ich folge den Mann mit dem Buch unauffällig bis zu seiner Wohnung und schreibe mir die Adresse auf. Er wohnt im Erdgeschoss. Ich sehe, wie er den Kaftan auszieht. Darunter hat er ein weißes Baumwollhemd und eine Jeans an. Dann nimmt er die schwarze Perücke und den falschen Bart ab. Irgendetwas scheint hier nicht zu stimmen. Der Mann ist blond.

Am nächsten Morgen klingelt der Verfassungsschutz an meiner Tür. Man hat mich ab der Bibliothek observiert und findet das Manuskript auf meinem Rechner. Mein Chef muss einiges erklären und ist über den Verlauf der Operation Bücherfalle alles andere als begeistert. Mein neuer Job im Archiv ist nicht ganz so aufregend.

 

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