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Prozent aller Bewohner dieses Landes sind harmlos oder wenigstens unauffällig.
Sie lesen Bücher wie „Sieben Stunden im Café Tibet“ oder „Wenn die Fingernägel
Trauer tragen“. Aber es gibt auch toxische Literatur. Dann kommen die Book
Hunters ins Spiel. Auch wenn ich dieses Projekt vorläufig allein durchziehe und
es keine offizielle Bezeichnung für meine Tätigkeit ist. Aber es klingt gut.
Dienstagmorgen.
Es liegt ein Grauschleier über der Stadt. Plötzlich geht das rote Warnlicht an
und die kleine Sirene auf meinem Schreibtisch beginnt zu heulen. Jemand hat gerade
„19 Tipps für Dschihadisten – Wie der Islam in Deutschland siegt“ in einer
Wilmersdorfer Bibliothek ausgeliehen. Die 19 gehört zu den heiligen Zahlen im
Islam, wie die 7 und die 99. Ich stürze aus dem Haus und halte ein Taxi an.
„Fahren
Sie mich zur Dietrich-Bonhoeffer-Bibliothek“, rufe ich dem Fahrer zu.
Der
Mann mit Turban und Rauschebart sieht mich verständnislos an.
„Brandenburgische
Straße 2“.
Als
ich ankomme, sehe ich gerade noch, wie ein Mann in Kaftan und Sandalen die
Bibliothek verlässt. Er hat das Buch in seiner rechten Hand und geht eilig
davon.
Die
ganze Sache war meine Idee und ich konnte den Chef des Berliner Staatsschutzes
davon überzeugen, dieses preiswerte Projekt zur Identifizierung von
islamistischen Terroristen zu unterstützen. Zunächst musste ich natürlich den
Ratgeber schreiben. Das war gar nicht so einfach. Tipps wie „Sprich mit den
Ungläubigen über Allah und den Propheten“, gefolgt von mehrseitigen Koranzitaten,
oder „Frag in der nächsten Moschee nach Schusswaffen“ waren ja noch einfach.
Unauffälliges Verhalten – nur bei Grün die Straße überqueren, Metallica-Shirts
tragen, gelegentlich einen Doppel Whopper essen – konnte ich aufgrund meines
kulturellen Hintergrunds auch sehr gut beschreiben. Aber beim Thema Bombenbau
musste ich die Leser natürlich in die Irre führen. Andererseits: Plastiksprengstoff
aus Lego, Multifunktionsjacken als Sprengstoffgürtel – warum nicht?
Wir
verbreiteten die Kunde von diesem Buch über V-Leute in Kreuzberg und Neukölln. Sie
hatten es in Shisha-Bars und Dönerbuden dabei und blätterten auffällig darin
herum. Wir hatten es in allen öffentlichen Bibliotheken Berlins platziert.
Sobald die Signatur bei der Ausleihe eingescannt wurde, ging in meinem Büro der
Alarm los. Sicherheitshalber war im Einband noch ein GPS-Tracker, damit ich es
orten konnte, wenn ich die Spur verlieren sollte. Ein bundesweit einmaliges
Projekt. Der Staatsschutz war sehr stolz darauf.
Ich
folge den Mann mit dem Buch unauffällig bis zu seiner Wohnung und schreibe mir
die Adresse auf. Er wohnt im Erdgeschoss. Ich sehe, wie er den Kaftan auszieht.
Darunter hat er ein weißes Baumwollhemd und eine Jeans an. Dann nimmt er die
schwarze Perücke und den falschen Bart ab. Irgendetwas scheint hier nicht zu
stimmen. Der Mann ist blond.
Am
nächsten Morgen klingelt der Verfassungsschutz an meiner Tür. Man hat mich ab
der Bibliothek observiert und findet das Manuskript auf meinem Rechner. Mein
Chef muss einiges erklären und ist über den Verlauf der Operation Bücherfalle
alles andere als begeistert. Mein neuer Job im Archiv ist nicht ganz so
aufregend.
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