Über die Erzählung „Welkende
Pracht“ von Andy Bonetti ist sicherlich schon vieles geschrieben worden. Sie
entstammt dem Band „Bad Nauheimer Novellen“, der 2001 vom Verlag Bunter Vogel
in Gütersloh veröffentlicht wurde. Dieser Novellenzyklus begründete den Ruhm
Bonettis und hat ihm für alle Zeiten einen Platz in der deutschen
Literaturgeschichte gesichert. Die Grundidee, von der die kurze Erzählung von
der ersten bis zur letzten Zeile durchwoben ist, findet sich bereits in „Mein
schönstes Ferienerlebnis“ (siehe: Bonetti, Andy: Frühe Werke – mein Leben in
Geschichten, Mannheim 2012, S. 23-25).
Es ist immer wieder erstaunlich,
über welche scharfe Beobachtungsgabe und intellektuelle Brillanz, über welche
sprachliche und kompositorische Sicherheit der junge Bonetti bereits verfügt.
Die berühmte Eröffnungsszene sei von Hitchcocks „Fenster zum Hof“ inspiriert
gewesen, schreibt Bonetti in seiner Autobiographie „Viva Bad Nauheim“, aber es
ist in dieser Szene auch der Einfluss Strindbergs und Puschkins spürbar.
Scheinbar zufällig blickt der Protagonist, dessen Namen wir nicht erfahren, zum
Fenster hinaus und entwickelt beim Anblick einer verwelkenden Rose eine
gedankliche Assoziationskette, deren zarte Poesie und inhaltliche Klarheit den
hellen Einsichten eines Schopenhauer oder Sokrates in nichts nachstehen. Die
Vergänglichkeit des Lebens zieht sich als thematischer Generalbass durch die
ganze Erzählung und findet in der leeren Pralinenschachtel am Ende ihren
allegorischen Kontrapunkt.
Ursprünglich als Tierfabel
angelegt, gilt „Welkende Pracht“ als Kronjuwel der „Bad Nauheimer Novellen“.
Zum Zeitpunkt der Niederschrift arbeitete Bonetti an einem Kiosk im Bahnhof von
Bad Nauheim, wo er Mettbrötchen und Flaschenbier an Reisende verkaufte. Nachts
widmete er sich in einer kleinen Mansardenwohnung seinem dichterischen Werk.
Bereits in seiner ersten Novelle „Alle Neune“, die das Leben eines einsamen
Kegelspielers zum Gegenstand hat, der von Durchfall und seelischer Erschöpfung
geplagt wird, begegnen wir der Vergänglichkeitsthematik, die den ganzen
Novellenzyklus durchzieht. Das wird vor allem in den beiden Erzählungen „Bunte
Bohnen“ und „Keller ohne Ausgang“ geradezu schmerzhaft deutlich.
Umso bemerkenswerter ist es,
dass er nie den Mut verlor, sondern den Novellenzyklus dennoch zum Abschluss
gebracht hat. Ebenso konnte der junge
Bonetti, als er „Welkende Pracht“ schrieb, noch nicht erkennen, dass er mit
seinen „Bad Nauheimer Novellen“ die moderne Dichtkunst auf eine neue Stufe
heben würde. Kommende Generationen werden es nicht für möglich halten, dass
dieser geniale und zugleich äußerst bescheidene Mensch einmal unter uns gelebt hat.
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