Stadtmauern
hat es in der Geschichte schon viele gegeben, aber nur eine Mauerstadt.
„Berlins
völlige Verwahrlosung“ (Wolf Jobst Siedler), Schmutz, Gewalt, Graffiti,
organisierte Kriminalität. Ich lese gerade ein Buch aus den Neunzigern (Bodo
Morshäuser: Liebeserklärung an eine hässliche Stadt), in dem der Autor sich
über die Untergangsphantasien der Konservativen lustig macht, die 2023 noch
genauso klingen.
Früher
hieß es immer Ost-Berlin und West-Berlin. Über Nord-Berlin und Süd-Berlin hat
niemand gesprochen.
In
Marzahn gibt es eine Allee der Arbeitslosen.
Nur
noch zwanzig Prozent der Berliner gehören einer christlichen Kirche an.
Wenn
ich wissen will, was der Osten denkt, gehe ich in den Rentnertreff „Prager
Hopfenstuben“ an der Karl-Marx-Allee. Wie zu DDR-Zeiten hakt es an allen Ecken
und Enden, die Kühlung der Zapfanlage funktioniert nicht (der Hochsommer ist
der ideale Zeitpunkt für einen solchen Defekt) und nicht alle Biersorten sind
vorhanden. Ich bestelle zum Bauernteller ein Pilsner Urquell mit Eiswürfeln. Am
Nachbartisch machen renitente Zonis einen auf dicke Hose. Man hätte jedem
erwachsenen DDR-Bürger nach der Wende 100.000 Mark geben müssen, schwadroniert
einer. Dann hätte sich jeder „freischwimmen“ können. „Die“ haben doch genug
Geld. In meinem folgenden Tagtraum schlendere ich zum Nachbartisch und ziehe
den Wortführer an den Nasenlöchern, in denen Mittel- und Zeigefinger meiner
linken Hand stecken, in die Höhe. Wieso ich als Westdeutscher, damals 23 und
Student, nicht auch ein Anrecht auf die gleiche Summe hätte? Was er als
Gegenleistung zu tun gedenke? Dann befördere ich ihn mit einem Obelix-Fausthieb
aufs Dach.
Am
Anfang ist der Ku’damm ein Star, belagert von seinen Fans, den Touristen aus
aller Welt. Hier pulsiert das Leben bei Tag und Nacht. An seinem Ende ist er
ein kleiner Angestellter, dessen Namen niemand kennt.
Berlin
in den Neunzigern: Der Vietkong hat alle Eingänge zur U-Bahn besetzt und jeder
von ihnen hat eine Stange Fake-Marlboro im Anschlag.
Es ist
Sommer und ich trage mein Kreuzberger Hawaiihemd: schwarze Blumen vor schwarzem
Hintergrund.
1901:
Die Technische Hochschule Charlottenburg lehnt die Bewerbung Albert Einsteins
ab.
Man
lernt nie aus. Seit 32 Jahren lebe ich in Berlin, die letzten zehn Jahre in
Teilzeit. Erst jetzt erfahre ich aus dem Buch „Einstein in Berlin“ von Hubert
Goenner, dass der breite Streifen zwischen den Fahrspuren „Unter den Linden“
der private Reitweg des Kaisers und seiner Entourage war. Vom Schloss ging’s
hinaus in den Tiergarten, die Bürger lüpften artig den Hut, die Damen machten
einen Knicks, wenn er vorbeiritt. Ich wette, selbst alteingesessene Berliner
wissen das nicht.
Die
Ukraine erinnert mich an West-Berlin vor der Wiedervereinigung. Die Stadt war
ohne westliche Subventionen nicht lebensfähig, aber das Überleben der Frontstadt
inmitten des sozialistischen Feindeslands war politisch erwünscht. Geld gibt es
im Kapitalismus genug, die kleine Mauerinsel überlebte die DDR und die UdSSR.
Auch die Russen werden eines Tages merken, dass man Geld nicht besiegen kann.
Es ist die ultimative Waffe.
Möbel-Hübner
macht jetzt in Berlin Werbung mit dem Begriff „Lebensraum“. Dem Führer hätte es
gefallen.
Potemkin,
Viktoria-Luise-Platz. Sensationell gutes Boeuf Stroganoff mit Bratkartoffeln.
Auf dem Rückweg komme ich an meinem Stammchinesen vorbei. Der Wirt steht vor
dem offenen Kofferraum seines Wagens. Und was holt er heraus? Zwei Pizzakartons
und eine Tüte von McDonald’s. Ich klopfe ihm von hinten auf die Schulter und
sage: "Du weißt auch, was wirklich gut ist.“ Er nimmt es mit Humor.
Als
ich eines Sonntagmorgens die Wohnungstür öffne, um frühstücken zu gehen, finde
ich ein kleines Päckchen auf der Fußmatte, auf das eine lächelnde Sonne gemalt
ist. Ich öffne es und entdecke ein Schälchen mit Heidelbeeren. Welche nette
Nachbarin hat an mich gedacht? Es kann nur von einer Frau sein, Männer machen
so etwas nicht.
"Am Anfang ist der Ku’damm ein Star, belagert von seinen Fans, den Touristen aus aller Welt. Hier pulsiert das Leben bei Tag und Nacht. An seinem Ende ist er ein kleiner Angestellter, dessen Namen niemand kennt."
AntwortenLöschenDer Star hat nur einen Wasserklopps, der kleine Angestellte seit 1987 Zwei Beton-Cadillacs in Form der Nackten Maja!
Das Ende ist sowieso viel geiler: Nackte Weiber am Halensee und das Artemis.
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