Dienstag, 12. Juni 2018

Die letzte Kaiserin

Es war eine große Zeit. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands kam es zu einem ungeahnten Aufschwung der Wirtschaft. Deutsche Industrieprodukte waren überall in der Welt begehrt, der Handel und das Bankwesen blühten. Die politischen Verhältnisse waren innen- und außenpolitisch stabil. Die Lohnarbeiter kuschten brav unter der Knute ihrer Herren und hatten keinerlei parlamentarische Vertretung.
Mit Österreich-Ungarn und Italien hatte man den „Dreibund“ geschlossen, zwischen den Herrscherhäusern in Berlin, Wien und Sankt Petersburg gab es das „Drei-Kaiser-Bündnis“. Mit dem englischen Königshaus waren die Hohenzollern verwandt, das demokratische Frankreich war eine Großmacht ohne Verbündete. Fun Fact: Der Kilimandscharo war der höchste Berg des Deutschen Reichs.
Aber deutsche Großmannssucht, Überheblichkeit und der Irrglaube an die technische, ökonomische, moralische und rassische Überlegenheit führten dieses Reich erst in die Isolation und dann in die Katastrophe der Weltkriege, in den Untergang und die Hölle des Massenmords.
Nach der Wiedervereinigung 1990 begann es ähnlich verheißungsvoll. Heute sind wir unbestritten ein Globalisierungsgewinner und schwimmen im Geld. Andere müssen Schulden bei uns machen, um überhaupt noch die vielen großartigen Erzeugnisse unserer Konzerne bezahlen zu können. „Made in Germany“ ist ein Qualitätssiegel wie zur Zeit des letzten deutschen Kaisers. Wir hatten in den neunziger Jahren viele Verbündete in der Welt. Das Verhältnis zu den Supermächten USA und Russland, zu Frankreich, Großbritannien, Italien, Österreich und Ungarn war entspannt, die Lage stabil.
Welche Verbündeten haben wir heute noch? Das Verhältnis zu Russland ist zerrüttet, die Beziehungen zu den USA gehen in diesen Tagen den Bach hinunter. Großbritannien verabschiedet sich mit dem Brexit von der gemeinsamen Politik, Italien widerspricht offen der deutschen Besserwisserei und nimmt die deutsche Hegemonie in der EU nicht mehr hin. Frankreichs konkrete Vorschläge zur Vertiefung des Bündnisses bleiben seit einem Jahr unbeantwortet. Rassismus und Nationalismus sind in Deutschland wieder salonfähig und finden eine wachsende Anhängerschar.
Merkel geht gerade den Weg, den Wilhelm II. gegangen ist. Dazu passt der Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses. Das Ende ist offen. Noch. Aber ein Blick ins Geschichtsbuch genügt. Wenn es den Deutschen zu gut geht, glauben sie, dass sie niemanden mehr brauchen. Der Starke ist am mächtigsten allein, lässt Schiller seinen Helden Wilhelm Tell sagen. Einsam und unverstanden wie 1914.

7 Kommentare:

  1. Und Marx meinte einst: "Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce." Ich bin nicht sicher, ob es was zu lachen geben wird.

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    1. Vermutlich wird es eher peinlich und nicht so blutig wie damals. Zum Glück hat Flinten-Uschi die Demilitarisierung Deutschlands im Griff. #Umstandsuniform

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  2. Auf wen soll man sich denn noch einlassen, so als Deutscher? All I see is misery.

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    1. Warum bei so vielen Deutschen Erfolg gleich in Arroganz umschlägt? Wir beide sind doch auch bescheiden geblieben, obwohl wir genau wissen, dass eines Tages eine Tiefgaragenebene in Solingen nach dir benannt wird und die "Bücherzelle Schweppenhausen" in Eberling-Gedächtnis-Bibliothek umgetauft wird.

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  3. live is a Piece of shit when you look at it
    Monty Python
    Schluss jetzt mit der Heulerei, man !
    Seid mal konstruktiv.
    Und wenn Ihr nur Hühner haltet. Ist schon mal ein Anfang.

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    1. John Cleese ist ja gerade auf Tour (auch durch deutsche Städte) mit dem hübschen Motto "Last chance to see me before I die".

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  4. Ah... die Kommentare sind wieder da. Gute Entscheidung. Das war schon ein wenig, sagen wir, schade.

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