Freitag, 1. Juni 2018

Seine Welt

„Es war, als trüge er in sich, irgendwo in dieser trägen, ächzenden Fleischmasse, das Geheimnis: das, was sie alle bewegte und aufweckte, ein Versprechen auf etwas, das über den Stumpfsinn vollgestopfter Bäuche und monotoner Tage hinausging.“ (William Faulkner: Licht im August)
Es war natürlich die absolute Sensation des Jahres 2020. Darauf hatte die Welt schon viele Jahre gewartet. Aber es war dann doch etwas anders, als wir alle erhofft hatten.
Das Raumschiff der Außerirdischen war recht klein. Es klinkte sich in eine Erdumlaufbahn ein, ohne Kontakt mit uns aufzunehmen. Die Chinesen entdeckten es zuerst und sendeten eine Botschaft.
Es stellte sich heraus, dass das Raumschiff von einem intergalaktischen Konzern zu uns geschickt worden war. Alle hundert Jahre kontrollierte man den Planeten Erde. Vor fünfzigtausend Jahren hatte das Unternehmen hundert Gruppen mit je hundert gezüchteten Homo Sapiens auf der Erdoberfläche ausgesetzt. Man hatte sie mit grundlegenden Technologien wie Feuermachen, Hüttenbau, Jagd und der Herstellung von Waffen, Bekleidung und Behausungen vertraut gemacht.
Jetzt war man natürlich über die Entwicklung der Menschheit zwischen 1920 und 2020 erstaunt. Die Außerirdischen berichteten den Chinesen, dass sie sich über die Fortschritte ehrlich freuen würden. Nicht alle Setzlinge, die man im Laufe der Jahrmillionen in der Galaxie ausgesät habe, hätten sich so erfreulich entwickelt.
Zunächst herrschte auf der Erde großes Erstaunen, dann bekannten der Papst, der Dalai Lama und ein Sprecher der Hindus, dass man von diesen Dingen längst wusste. Der intergalaktische Konzern, der gerne ungenannt bleiben wollte, gab zu verstehen, dass er keinerlei Interesse an weiterer Kommunikation oder technologischer Hilfe für die Erdlinge habe.
Als Andy Bonetti die Meldung über den wahren Ursprung der Menschheit gelesen hatte, war er unglaublich deprimiert und zog sich endgültig in seine Privatwelt zurück. Er hatte sich auf zehn Hektar Land, das hermetisch abgeriegelt war, das Jahr 1975 nachbauen lassen. Eine Kleinstadt im Stil seiner Kindheit. Das Haus, in dem er aufgewachsen war. Gegenüber ein Tengelmann und der kleine Laden, wo er als Kind Comics und Süßigkeiten gekauft hatte.
Drei Fernsehsender, die das alte Programm abspielten: Dalli Dalli, Musik ist Trumpf, Bonanza und Raumschiff Enterprise. Im Radio liefen die Bay City Rollers, Frank Zappa und Vicky Leandros. Deutschland war Fußballweltmeister, Uli Hoeneß hatte noch nicht den Endspielelfmeter der EM 1976 verschossen. Kein Internet, keine Handys, aber Ariel-Werbung mit Clementine und Raider statt Twix.
Er ist nie wieder aus dieser Welt aufgetaucht. Und wir dürfen hoffen, dass die Firma aus dem Weltraum 2120 den Acker nicht umpflügt, weil hier alles aus dem Ruder gelaufen ist.