Dienstag, 24. September 2024

Protokoll einer Entfremdung

 

Die deutsche Einheit hatte einen schlechten Start. Dann ging es im Prinzip nur noch abwärts. Heute ist Deutschland so geteilt, wie es vor dem Mauerfall war. Fehler wurden auf beiden Seiten gemacht.

Die Ostdeutschen wollten die Wiedervereinigung so schnell wie möglich. Dazu kam die Forderung nach der D-Mark. „Kommt die D-Mark, bleiben wir. Kommt sie nicht, gehen wir zu ihr“, so die unverhohlene Drohung. Als die Westwährung kam, brachen schlagartig die osteuropäischen Absatzmärkte zusammen. Dazu kam, dass man mit der D-Mark nur noch Westprodukte kaufte und die eigene Wirtschaft – und damit die eigenen Arbeitsplätze – im Stich ließ. Auch die Naivität der Ostdeutschen, man denke nur an das unsägliche Narrativ von den „Brüdern und Schwestern“ im Westen, hat in diesem Transformationsprozess nicht geholfen.

Die westdeutsche Politik, namentlich der damalige Bundeskanzler, streute den Ostdeutschen mit den „blühenden Landschaften“ Sand in die Augen, während sich die westdeutschen Konzerne über die neue Kundschaft freute und den Osten mit seinen Waren und Dienstleistungen überflutete. Das Vertrauen der neuen Bundesbürger wurde missbraucht und nachhaltig enttäuscht. Der Kapitalismus hat seine hässliche Fratze gezeigt. Warum hat man die ostdeutschen Fabriken nicht mit modernen Maschinen ausgestattet? Warum hat man für kleines Geld über die Treuhand eine komplette Volkswirtschaft verhökert?

Seit über dreißig Jahren sind wir uns so fremd wie immer. Vielleicht gibt es eines Tages eine neue Generation, die diesen Zustand überwindet. Aber wer die Wende erlebt hat, vergisst nie mehr, was geschehen ist. Also wählt der halbe Osten aus purem Trotz populistische Parteien, ist ausländerfeindlich und verehrt Putin. Hauptsache, man kann das westdeutsche Establishment, das auch im Osten die Schlüsselpositionen besetzt, ein wenig ärgern. Vielleicht wäre eine Zwei-Staaten-Lösung besser gewesen. Dann wären wir jetzt gemeinsam in der EU und hätten mit dem Euro dieselbe Währung. Aber die Fehler sind nicht mehr rückgängig zu machen. Wir bleiben auch weiterhin geteilt.

3 Kommentare:

  1. Für mich bleibt die Wiedervereinigung ein Wunder. Es gab keinen Toten. Vieles ging so schnell, so chaotisch vonstatten. Naivität schlug auf Kalkül. Komplexe auf Arroganz. Und vieles, vieles mehr. Froh bin ich trotzdem , diese wirre , aufregende Zeit erlebt zu haben.

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  2. ....ja, Du triffst den Nagel genau auf den Kopf.....

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  3. Etwas zur Geschichte von: „Kommt die D-Mark, bleiben wir. Kommt sie nicht, gehen wir zu ihr“
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/deutsche-rufe-7-8-kommt-die-d-mark-bleiben-wir-100.html

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