Dienstag, 17. September 2024

Hamburg

 

Seit ein Schulfreund mit seiner Freundin nach dem Abitur nach St. Pauli gezogen ist, fahre ich jedes Mal mindestens einmal nach Hamburg. Er spielte für den FC St. Pauli Wasserball gespielt. Ich dachte immer, die Fußballer würden am meisten saufen. Aber wir waren Waisenknaben gegen die Jungs, die wir auf den Partys der Wasserballer trafen.

In den Neunzigern wurde es noch besser. Ich lernte über ein Internetforum, das damals legendäre Wallstreet-Sofa, ein paar Leute kennen, die noch schräger drauf waren. Ihr König war ein Münchner, den es von Schwabing nach Kreuzberg und von da nach St. Pauli verschlagen hatte.

Von Montag und Freitag arbeitete er als Investmentbanker in Zürich, am Wochenende machte er Party. Ein Hüne mit einem dröhnenden Lachen, der so viel Koks weghauen konnte wie zehn Kolumbianer. Der Mann war nicht nur schwul, er war homosexuell.

Seine Geburtstagsfeiern waren der Höhepunkt des Partyjahrs. Ich habe keine Ahnung, wie viel Geld ihn diese Feiern gekostet haben. Mal hatte er ein Dominastudio gemietet, mal eine ganze Kiezkneipe. Wir zogen die Reeperbahn rauf und runter. Damals lernte ich die bekanntesten Drag Queens von Hamburg kennen. Gutgebaute Jungs mit nacktem Oberkörper brachten die Drinks an die Tische, auf denen ein Haufen koks zur Selbstbedienung lag.

In Berlin hatte er denselben Dealer wie Blixa Bargeld, hat er mir einmal stolz erzählt. Es ging Freitagnacht los und ging bis Sonntagvormittag. Da ging selbst ihm die Kondition aus. Irgendwelche Szene-Bands sorgten für Musik. Einmal stieg ich Sonntagmorgen in den Zug nach Berlin und schlief ein. Der Zug fuhr über Berlin nach Prag und Wien. Zum Glück wachte ich rechtzeitig auf.

In den letzten Jahren besuchte ich immer einen Freund, der mit Frau und Kind in einer dieser berüchtigten Doppelhaushälften im gutbürgerlichen Poppenbüttel wohnt. Aber ein sentimentaler Spaziergang über die Reeperbahn und an den Landungsbrücken gehört meistens dazu.

Nächsten Monat feiern wir seinen sechzigsten Geburtstag. Vermutlich ohne Dragqueens und Koks. Es wird veganes Essen und Weißwein geben – und wir werden uns am nächsten Morgen an alles erinnern können. Kein Problem. Ich habe alles mitgenommen, alles gesehen und vermisse es nicht.      

 

 

1 Kommentar:

  1. Alles richtig gemacht. Wie sagte Falco einst so richtig: "Wer sich an die Achtziger erinnern kann, hat sie nicht richtig miterlebt."

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