Die Nacht verliert ihre Macht,
die Sterne erlöschen. Bonetti, der Lyrik zu massiven Halsketten mit seinem
Namenszug schmieden kann, erhebt sein gesalbtes Haupt. Während die ganze Republik
die Hoffnung längst aufgegeben hat und sich beim Frühstück zwischen Illusion
und Verzweiflung entscheiden muss, macht der Meister seine ersten Atemübungen,
um sich der Geister seiner Zeit zu entledigen. 32 Grad im Schatten gemeldet?
Jetzt an warme Schuhe für den Winter denken. Kalte Füße sind der Anfang. Dann
kommt eine Erkältung und das Unglück nimmt seinen Lauf. Am Ende liegt sein asketischer
Leib auf dem Totenbett, die Kerzen brennen und „November Rain“ von Guns N’ Roses
läuft vom Band. Auf seinem Grabstein steht „Er hatte immer kalte Füße“.
Anderes Thema: Er hat mal an
einem Samstagabend mit drei Pfeilen das Double Bull in der Dorfkneipe getroffen,
als es notwendig war (150 Punkte). „Shanghai“ mit 18, 19, 20 und Bullseye. Er
lebt in den Liedern und Dorflegenden weiter, wenn er schon längst gestorben
sein wird.
Noch ein anderes Thema: In der
Schule hätte ich es „Mein schönstes Weihnachtserlebnis“ genannt. Heute wäre der
Titel: „Mit dir steht die Zeit still“. Es war Anfang der neunziger Jahre. Ich
war mit einer Frau aus dem Bergischen Land zusammen. Damals gab es noch weiße
Weihnachten und das Bergische Land war noch extrem bergig. Ich blieb
folgerichtig mit meinem VW Golf an Heiligabend auf einer steilen Seitenstraße
in dichtem Schneetreiben stecken. Handy und Navi waren noch nicht erfunden oder
nicht bezahlbar. Also hielt ich an, stieg aus und klingelte am nächsten Haus. Ein
Mann öffnete und ich fragte ihn, ob ich telefonieren dürfte. Er führte mich ins
Wohnzimmer, wo seine Frau, seine halbwüchsige Tochter und eine Oma auf dem Sofa
saßen. Weihnachtsbaum, Geschenke und ein Teller mit Plätzchen auf dem Tisch. Es
gibt keinen falscheren Zeitpunkt, um als Fremder um Hilfe zu bitten. Das
Telefon, ich weiß nicht mehr, ob mit Wählscheibe oder Tastatur, stand natürlich
im Wohnzimmer. Ich rief meine Freundin an und schlug vor, draußen zu warten.
Wegen des Schneetreibens wurde ich gebeten, zu bleiben. So saß ich mit ihnen im
Wohnzimmer. Wir schwiegen verlegen. Der Smalltalk war noch nicht erfunden. Die
Einnahme von Plätzchen verweigerte ich tapfer, weil ich der Mutter von D., die
sicher auch Plätzchen gebacken hatte und die ich noch nie gesehen hatte, nicht
gestehen wollte, dass ich bereits bei fremden Frauen Süßes gegessen hätte. Dann
klingelte es endlich. Sie stand vor der Tür. Lange blonde Haare, vom Schnee bestäubt,
große blaue Augen, die hohen Wangenknochen rot von der Kälte. Die Umarmung war
der schönste Weihnachtsmoment. An den Rest, die Feier, die Geschenke und das
Essen, kann ich mich bis heute nicht erinnern.
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