Sonntag, 22. Juni 2025

Bonetti goes to Hollywood

 

Ihr Fachgebiet war Polyethylen. Sie verband in ihrem Wesen Farblosigkeit mit Phlegmatismus und kam aus der erweiterten Umgebung, dortzulande auch unter dem Namen Lausitz bekannt. Ich lernte sie an der Wursttheke kennen.

Ein paar Tage später trafen wir uns im Park wieder. Wir setzten uns auf eine Bank und ich eröffnete ihr, die Gründe sind mir bis heute schleierhaft, vermutlich war es Geltungssucht, ich sei Drehbuchautor. Sie lächelte mich selig an und verriet mir, sie hätte in der Schultheatergruppe mitgespielt.

„Seit langem habe ich eine gute Geschichte für einen Film im Kopf“, sagte sie.

„Erzählst du sie mir?“ fragte ich.

„Ja, damit könnten wir zusammen erfolgreich sein. Ich spiele die Hauptrolle und du schreibst das Drehbuch.“

„Klingt gut.“

„Ich habe meinen Job so satt. Mein kleines Apartment. Ich möchte in einer Villa im Grunewald leben. Eine Villa mit einem großen Garten. Eine Haushälterin und ein Gärtner kümmern sich um alles. Sie leben im Keller, mit separatem Eingang. Wie im Haus am Eaton Place.“

„Das wäre schön.“

„Wir könnten dort zusammenwohnen. Für die Dreharbeiten fliegen wir mit unserem Privatflugzeug nach Hollywood. Dort werden wir zu Partys eingeladen und lernen die ganzen prominenten Schauspieler und Produzenten kennen. Nach dem Erfolg unseres ersten Films würden sich neue Projekte ergeben.“

„Natürlich.“

„Ich könnte ohne Sonnenbrille und Verkleidung gar nicht mehr aus dem Haus gehen. In jedem Restaurant würde man mich erkennen. Ich bräuchte einen Bodyguard. Eine Limousine mit Chauffeur. Meinen Schmuck würde ich bei Bulgari kaufen, meine Kleider bei Dior.“

„Ich bin schon ganz gespannt auf die Geschichte.“

„Ich spiele in dem Film eine reiche Gräfin. Ich befinde mich auf der Yacht meines Verlobten, einem kalifornischen Oligarchen, der seine Milliarden mit KI oder Software gemacht hat. Ein braungebrannter, schlanker und gutaussehender Typ.“

„Sieht er mir ähnlich?“

Sie sah mich verblüfft an und lachte. „An Bord ist ein blutjunger und wunderschöner Matrose. Er trägt ein blauweiß geringeltes Shirt und eine Matrosenmütze. Ich verliebe mich in ihn und im nächsten Hafen, es ist in Monte Carlo, wollen wir gemeinsam durchbrennen. Obwohl die Liaison nicht standesgerecht ist, bin bereit, in Armut mit meinem Geliebten zu leben.“

„Wie romantisch.“

„Aber dann sinkt die Yacht in einem Sturm und nur ich und der Matrose überleben. Wir retten uns auf eine einsame Insel. Einen Monat später werden wir gerettet. Zuhause erfahre ich, dass mein reicher Onkel gestorben ist, und wir erben seine Villa und sein Vermögen.“

„Tolle Story. Schreibt sich wie von selbst.“

In den nächsten Wochen schrieb ich am Drehbuch und legte ihr immer wieder neue Szenen vor, die wir gemeinsam besprachen. Irgendwann würde ich Elvira sagen müssen, dass ich als Fahrschullehrer in Spandau arbeite.

Als das Drehbuch fertig war, besuchte ich meinen Freund Alfred, der für ein Filmstudio in Babelsberg arbeitete. Alfred war in den Achtzigern nach Berlin gekommen, um an einer Kunsthochschule zu studieren. Er fing an, als Kulissenmaler zu arbeiten, und landete schließlich in der Buchhaltung, als er durch ein Computerprogramm ersetzt wurde. Er ernährte sich ausschließlich von Rohkost und verachtete Vegetarier und Veganer, die ihr Gemüse kochten.

Als ich auf dem Studiogelände ankam, kam gerade ein Gruppe Komparsen mit bunten Sombreros vorüber. Am Catering-Wagen stand die Waffen-SS. Alfred saß bei halb heruntergelassenen Jalousien in seinem kleinen Büro und aß gerade einen Apfel, als ich hereinkam.

„Hallo, Alfred. Hast du einen Augenblick Zeit?“

„Setz dich. Nimm dir eine Möhre.“

Ich erzählte ihm von Elvira und dem Drehbuch. Ich legte ein Exemplar auf seinen Schreibtisch.

„Ich kann es dem Chef geben“, sagte er, „aber mach dir keine großen Hoffnungen. Reine Liebesgeschichten werden heutzutage gar nicht mehr gedreht. Und die Sache mit der einsamen Insel kannst du vergessen. Wie wäre es, wenn sie entführt wird? Aus dem Matrosen machst du einen syrischen Flüchtling und dann muss deine Hauptfigur noch was Besonderes haben. Bipolare Störungen sind gerade im Trend.“

Da würde noch viel Arbeit auf mich zukommen.

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