Freitag, 19. Februar 2021

Sie sind gefeuert!


„Ihre wildesten Drohungen und Untergangsprophezeiungen und ihr endloser Redeschwulst haben die Tendenz, von Tag zu Tag mehr zu verblassen und auf der Totenbahre der Zeit zu landen. Hierin liegt eine uralte Lektion für alle Schreiber: dass der Sturm unbeständiger ist als das Meer und dass all die Ängste, die uns verstören, (…) auf Dauer gesehen von geringem Interesse sind (…).“ (Ben Hecht: 1001 Nachmittage in New York)

Ingo Waschewski hatte Theaterwissenschaften und Medientheorie studiert, danach hatte er eine Zusatzausbildung zum Psychodramatiker gemacht. Er hatte gerade ein Praktikum beim Charlottenburger Tageblatt angefangen und stand vor dem Schreibtisch des Chefredakteurs.

„Sie sind also der Neue?“

„Ja, Herr Sternburg.“

„Wir werden Ihnen den Job von der Pike auf beibringen. Gehen Sie raus auf die Straße und bringen Sie mir ein paar Geschichten. Verstanden?“

Waschewski schlenderte durch die Straßen und hielt die Augen offen. Aber es passierte nichts. Also setzte er sich in ein Café und studierte auf seinem Handy den aktuellen Polizeibericht. Vielleicht gab es eine gute Story. Aber der ganze Mist – Drogenhandel, Schlägereien, Autounfälle – interessierte ihn nicht. Die Kellnerin brachte ihm seinen Milchkaffee.

„Haben Sie nicht eine gute Geschichte für mich?“ fragte er sie.

Da gerade wenig zu tun war, erzählte ihm die Kellnerin von ihrem kleinen Sohn. Er hatte einen Gehirntumor und sie war völlig verzweifelt. Es war allerdings ein gutartiger Tumor und die Operation war gut verlaufen. Nach vier Wochen in einer Reha-Klinik in Brandenburg war er wieder zuhause und würde in diesem Sommer in die Schule kommen. Er spielte schon wieder mit seinen Freunden aus dem Kindergarten.

Was für eine schöne Geschichte. Waschewski machte sich Notizen. Da setzte sich ein älterer Herr an den Nachbartisch.

„Sie sind wohl Schriftsteller“, sagte der Mann.

„Nein, ich mache gerade ein Praktikum bei einer Zeitung und soll Geschichten sammeln.“

„Dann passen Sie mal auf.“ Bei einem Bier und einem Obstler erzählte der Alte von seiner Zeit im Theater. Er hatte an den Boulevardbühnen auf dem Ku’damm gearbeitet. Mit Harald Juhnke, Hildegard Knef und Günter Pfitzmann hatte er auf einer Bühne gestanden. Er hatte ein paar schöne Anekdoten, wie sie nach der Vorstellung noch in den Kneipen versackt waren.

Waschewski schrieb eifrig mit.

„Ich habe die Telefonnummer von einem Freund, der auf Borneo tolle Abenteuer erlebt hat. Wollen Sie ihn mal anrufen?“

Waschewski rief an. Der Mann am Telefon erzählte, er hätte als Tierschützer gearbeitet und etliche Orang-Utans gerettet. Vom Kampf gegen Brandrodung und Umweltzerstörung.

Als Waschewski in die Redaktion zurückkam, klopfte er gleich beim Chefredakteur an.

„Das ging ja schnell“, sagte Sternburg erfreut.

„Ich habe drei großartige Stories“, begann der Praktikant und erzählte.

„Was soll ich mit dem Scheiß?“ fragte Sternburg. „Ich brauche Mord, Totschlag oder einen Bandenkrieg. Das wollen die Leute lesen.“

„Aber ich würde gerne positive Meldungen bringen“, widersprach Waschewski.

„Sie sind ja völlig übergeschnappt“, brüllte der Chefredakteur. „Sie sind gefeuert! Verschwinden Sie!“  

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9 Kommentare:

  1. Ist das nicht der Anfang einer Geschichte von Carl Barks? Donald Duck?

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    1. Dann werde ich diesen Barks wohl verklagen müssen ;o)

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  2. Bad News ? Kein Problem.
    Sie müssen nur mal mit dem Auto fahren.
    Dabei die Geschwindigkeitsbegrenzungen einhalten.
    Wie die Leute da reagieren ist gnadenlos, heute hat mich schon einer innerhalb der Ortschaft überholt, da ich nach der 30er Zone nicht gleich beschleunigt habe.
    Kurze Lichthupe meinerseits, da bremst er abruppt bis zum Stehen ab und spielt den wilden Mann.
    Spitze !!

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    1. @Beobachter
      Und? lebt er noch ?

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    2. Ich bin kein Schlagetod.
      Schon Clausewitz schrieb, ein guter Offizier muß in einer kritischen Situation schnell in Rage geraten und handeln, der Feldherr aber muß bis zuletzt kaltes Blut bewahren und erst zum Schluß, dann aber heftig, in Wut geraten.

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    3. Hier in Ingelheim gibt es ein neues Stoppschild.
      Ich bleibe immer und gerne bei Stoppschilder stehen - nur ganz kurz. Aber die Reaktionen hinter mir sind es wert. Sehr amüsant.

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  3. "Kurze Lichthupe meinerseits,"

    Warum? Wurden Sie belästigt?

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    1. Na ja, innerhalb einer geschlossenen Ortschaft überholen.
      Heftig gestikulierend.
      Selber hatte ich so 45 drauf.
      Muss ja nicht sein.

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    2. "Kurze Lichthupe meinerseits,"
      Warum? Wurden Sie belästigt?


      Rasen, Drängeln, gefährliche Überholmanöver als 'Belästigung' verharmlosen?
      Mit der Einstellung sollte Ihnen besser die Fahrerlaubnis entzogen werden.

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