Montag, 21. Mai 2018

Die Bloggerin

Eines Tages fand ich durch Zufall das Blog einer alten Schulfreundin. Sie schrieb dort unter dem Pseudonym „Prinzessin Vielleicht“. Es war ein sehr schlichtes Blog und sie hatte auch nicht sehr viele Einträge geschrieben. Die letzten Einträge handelten davon, dass niemand ihr Blog lesen würde. Es gäbe keine Kommentare und auch in den Statistiken würden keine Seitenaufrufe verzeichnet. Das allerletzte Posting stammte aus dem Jahr 2013.
Ich rief einen Freund an, der zehn Jahre mit ihr zusammen gewesen war. Er sagte mir, sie sei im Jahr 2013 verstorben. Völlig vereinsamt und ohne Job habe sie Selbstmord begangen.
Ich konnte mich noch gut an ihr kleines, verhärmtes Gesicht erinnern. Ihr Haar hatte die Farbe von Ahornsirup. Sie war nur einsfünfzig groß und kaufte auch als Erwachsene ihre Kleider in der Kinderabteilung. Sie wirkte immer so verloren und hoffnungslos. Vielleicht wusste sie, dass sie nie eine Chance bekommen würde.
Es wäre nie jemand auf ihrer Internetseite gelandet, auch wenn sie ewig gewartet hätte. Sie hatte es versucht, sie hatte das Beste aus der Situation machen wollen. Ihre Einsamkeit überwinden, eine Botschaft hinaussenden. Sie hatte vielleicht noch einen winzigen Rest Hoffnung, aber es war aussichtslos gewesen.
Ich frage mich, ob sie es gewusst hat. Ob sie gewusst hat, dass es keine Hoffnung für sie gibt. Ob sie das Blog eröffnet hat, obwohl sie wusste, dass es aussichtslos sein würde. Ich werde es nie erfahren.

2 Kommentare:

  1. Das Verrückte ist, dass das Leben dennoch einfach so einfach weitergeht....

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    1. Wir kommen und gehen wie Schatten. Die Grabsteine erzählen nichts von Hoffnung und Verzweiflung.

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