Montag, 28. Mai 2018

Ein Abend mit Franz im Schlossbistro

„Das Schloss hatte ihn also zum Schriftsteller ernannt. Das war einerseits ungünstig für ihn, denn es zeigte, dass man im Schloss alles Nötige über ihn wusste, die Kräfteverhältnisse abgewogen hatte und den Kampf lächelnd aufnahm. Es war aber andererseits auch günstig, denn es bewies seiner Meinung nach, dass man ihn unterschätzte und dass er mehr Freiheit haben würde als er hätte von vornherein hoffen dürfen.“ (Andy Bonetti: Der Schlüssel)
Es dämmerte schon, als ich mich durch den hüfthohen Schnee eine Straße hinauf kämpfte. Die Fenster der Häuser waren nicht erleuchtet und gaben nur einen schwachen Widerschein der winterlichen Einöde, durch die ich mich mühsam und mit immer geringer werdenden Kräften bewegte.
Da sah ich in der Ferne ein paar Lichter. Es waren die Glühbirnen einer Lichterkette, die den Eingang eines Wirtshauses schmückten. Von drinnen hörte ich lautes Gelächter, das in tosenden Applaus überging. Ich beschloss, hier ein Weilchen auszuruhen und eine Tasse Tee, vielleicht auch einen Kräuterlikör zu meiner Stärkung zu bestellen.
Als ich den Gastraum betrat, stand ich in dampfender Hitze. Es war wie in einer Sauna. Durch die feuchten Schwaden konnte ich kaum etwas erkennen. Der Raum war fast leer, nur in einer Ecke saß ein winziger hagerer Mann mit einer riesigen Frau. Ich setzte mich an einen der breiten rechteckigen Holztische und nahm Mütze und Schal ab.
Eine ältere Frau mit einer weißen Schürze kam und deutete wortlos auf das Schild mit der Tischreservierung, das ich übersehen hatte. Ich stand auf und folgte ihr. Auch auf den anderen Tischen waren Schilder, offenbar führte sie mich zu einem freien Platz. Mit einer Handbewegung deutete sie in eine Richtung.
Nach wenigen Schritten begriff ich, dass ich hinter der Theke war. Unmittelbar vor mir stand ein dicker Glatzkopf mit einem Handtuch über der Schulter, der seelenruhig ein paar Biere zapfte. Offenbar stand ich im Weg, denn er reichte die vollen Gläser über meinen Kopf hinweg der Kellnerin.
Schließlich verschwand der Wirt in der Küche und ich ging hinter der Theke in einen kleinen Flur, wo ein Holzstuhl und ein schmales Tischchen auf mich warteten. Am Ende des Ganges sah ich die Toiletten. Nach einer Weile, ich weiß nicht, wie lange ich gewartet hatte, und dachte schon, man habe mich vergessen, kam die Kellnerin und fragte, was ich wünsche.
Hungrig geworden, gab ich eine Bulette mit Senf und Brot in Auftrag. Dieser Wunsch wurde abschlägig beschieden. Man könne mir aber ein Schmalzbrot bringen. Tee oder Kräuterlikör gab es auch keinen, so dass ich ein kleines Bier orderte. Die Kellnerin nickte mit dem Kopf, ohne mich dabei anzusehen, und verschwand. Im Einzelnen überraschte es mich, im Ganzen hatte ich es freilich erwartet.
Ich holte mein Notizbuch hervor und schrieb einige Zeilen über meine Anreise an diesen Ort. Augenblicklich stand der Wirt neben mir und fragte, was ich aufschreiben würde. Ob mich ein Amt geschickt habe, um das Lokal zu prüfen. Ob denn die Obrigkeit einen braven und aufrechten Geschäftsmann wie ihn nicht endlich in Ruhe lassen könne, rief er laut und in klagendem Ton. Womit er diese ewigen Kontrollen als treuer Bürger und Steuerzahler denn verdient habe.
Ich beruhigte ihn mit einer knappen Geste und versicherte ihm, ich sei ein Schriftsteller, der ihm und seinen Geschäften durchaus wohlwollend, insbesondere jedoch hungrig und durstig gegenüber stünde. Da begann der Wirt zu lachen. Ein Schriftsteller, rief er immer wieder, ein Schriftsteller. Die Gäste und die Kellnerin - ja selbst der Koch - kamen herbeigelaufen. Es war, als wollte ihr Gelächter niemals enden.