Samstag, 24. Juni 2017

V 2

Am Montagmorgen kam ich ins Antiquariat und sah V, der vor zwei großen Kisten stand. Er lächelte mich an. Dann begann er, mit Sammlern und bibliophilen Freunden zu telefonieren.
Fünfzehn Minuten später stand ein Mann im Geschäft, der große Ähnlichkeit mit Pavarotti hatte.
„Wo ist es?“ rief er, während er schnaufend nach Atem rang. Er musste gerannt sein.
V zog ein schmales Bändchen aus der Kiste.
„Bei dieser kostbaren Rarität habe ich sofort an dich gedacht, Egon.“
Freudestrahlend nahm der schwarzhaarige Riese das Buch in die Hand. „Diesmal hat das Schwein ein Bolzenschussgerät“ las ich auf dem Einband.
„Wer ist denn Lupo Laminetti?“ fragte ich die beiden Herren und erntete nur ein mitleidiges Lächeln.
„Laminetti ist ein hessisches Kryptoanarchist. Dieses Buch ist sein surrealistisches Frühwerk, das er im Eigenverlag herausgegeben hat. Es gibt nur hundert Exemplare“, antwortete V.
„Was möchtest du für dieses Juwel?“ fragte Egon.
„Für dich kostet es nur fünfzig Euro.“
„Das kannst du unmöglich machen“, rief der Riese. „Das ist ja geschenkt.“
V lächelte versonnen und blickte auf die beiden Schatztruhen aus Pappe hinunter.
Jetzt war ich selbst neugierig geworden und begann, in den Kisten zu stöbern. Und tatsächlich: „Meer ohne Salz“, sowie die Fortsetzung „Wüste ohne Sand“. Von Andy Bonetti. Meinem großen Vorbild. Dem Meister aller Klassen.
Strahlend vor Glück hob ich die beiden Bände V entgegen. Er schüttelte nur bedauernd den Kopf.
„Gleich kommt die Herzogin, Sie hat das Vorkaufsrecht.“
Tatsächlich rauschte wenig später eine stark geschminkte und geradezu fontanehaft kostümierte Dame ins Antiquariat.
„Gretel, meine Liebe“, flötete V. Bussi links, Bussi rechts.
Konzentriert nahm sie einige Bücher in die Hand, murmelte Unverständliches und bildete zwei Stapel, die im Laufe der Zeit immer höher wurden und bedrohlich zu schwanken begannen.
Sie deutete mit dem Zeigefinger auf den linken Stapel. „Geh, Spatzerl, die lässt du mir schön einpacken und von deinem Ladenschwengel heute Abend in meine Residenz bringen.“
„Selbstverständlich. Soll ich die Rechnung schon fertig machen?“
„Gerne. Was macht es denn?“
V begann mit Bleistift und Zettel zu rechnen. „560 Euro. Für dich fünfhundert glatt.“
„Du bist ein Schatz. Baba.“ Dann rauschte sie wieder hinaus.
Die beiden Bonetti-Bände waren noch da, aber es kamen weitere Kunden in den Laden. Ein dürrer kleiner Mann ohne Kinn, der mit einem hellgrauen Dreiteiler und einer dunkelroten Hakennase ausgestattet war: Doktor Wiesengrund, ein Privatgelehrter. Die Cortez-Zwillinge, die sich gegenseitig die Bücher zeigten. Langsam leerten sich die Kisten, während V sicher an die fünftausend Euro eingenommen hatte.
Gegen Abend war der Laden endlich leer und V ließ sich erschöpft auf einen Stuhl sinken.
Wieder nahm ich die beiden Bonetti-Bände, die in herrliches weiches Kalbsleder gebunden waren. „Wieviel?“ fragte ich.
V warf einen Blick auf die Bücher und lächelte müde. „Wenn du nachher noch die Bücher zur Herzogin bringst und abkassiert hast, schenke ich dir die Bücher.“
„Vielen Dank!“
„Weißt du, solche Tage sind der wahre Ertrag meiner Tätigkeit. Wenn du die Schätze und die Schatzsucher zusammenbringst, wenn du den Büchern neues Leben einhauchen kannst.“
Es war schon dunkel, als ich vor dem Haus in Friedenau ankam. Ich stieg die Treppe des Mietshauses aus der Gründerzeit empor. An der Wohnungstür erwartete mich schon die Herzogin – in einem Negligé.
Sie warf mir einen hauchdünnen Seidenschal um den Hals und zog mich ins Wohnzimmer. „Geh, Burli. Magst einen Marillenschnaps?“
Ich nickte und legte das Paket und die Rechnung auf den Tisch.
Fortsetzung folgt
Ini Kamoze - Here Comes The Hotstepper. https://www.youtube.com/watch?v=w0N4twV28Mw

3 Kommentare:

  1. Wenn das jetzt weiter ein Ritt durch verschiedene Genres bleibt, wird die nächste Folge interessant....

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    1. Das mit dem Ritt stimmt - aber anders als du denkst ;o)

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    2. Ich weiß - für Fifty Shades of Bonetti ist die Welt noch nicht bereit.

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