Meine Fernsehkarriere
Es war im Sommer 1993, als meine
kometenhafte, besser: silvesterraketenartige, nein: wunderkerzenmäßige Karriere
beim Fernsehen begann. Wie ein asthmatisches Glühwürmchen zog ich einige Wochen
lang meine Bahn über den Medienhimmel von Berlin, in jenen Pioniertagen der
Privatsender, als jeder tapfere Absolvent eines geisteswissenschaftlichen
Studiengangs, der vor diesen damals noch lokomotivgroßen Kameras nicht
schreiend davonlief, die Chance bekam, ein Weltstar zu werden.
FAB („Fernsehen aus Berlin“),
eine zum damaligen Zeitpunkt in einem Hinterhof der Nollendorfstraße logierende
Produktionsgesellschaft mit eigenem Sendebetrieb, suchte damals
Nachwuchskräfte, die Magazinbeiträge für einen neuen Sender namens VOX
schreiben und drehen sollten. Ich erinnere mich an heitere und unbeschwerte
Redaktionssitzungen mit Manuel Werner, der mit seiner ruhigen dunklen Stimme
die Novizen an das Medium heranführte.
Ein Themenvorschlag, den ich auf
meiner Liste hatte: Warum lächeln die Ziffernblätter der Uhren in der Werbung
immer? Sie stehen grundsätzlich auf zehn vor zwei oder zehn nach zehn, oder?
Mörderidee. Ich weiß. Von meinem nächsten Vorschlag habe ich sogar noch ein
fertiges Skript. Überflüssig zu erwähnen, dass er nie gedreht und ausgestrahlt
wurde, da VOX relativ schnell von Eigenproduktionen zum Abspielen von
Serienaltglas überging. Es ist eine Parodie auf Verschwörungstheorien – bevor
dieses Wort überhaupt in unserem Sprachraum heimisch wurde. Geplant war der
Beitrag für die Sendung „Canale Grande“ mit Dieter Moor.
Der letzte Stasi-Akten-Skandal
Ton:
Wer ist nicht alles in den Stasi-Akten aufgetaucht. Staunen und namenloses
Entsetzen lösen die Namen der entlarvten Spione aus. Doch im untersten Winkel
der Gauck’schen Aktenberge ruht der allerschaurigste Fall von Geheimnisverrat:
der Fall Michail Sergejewitsch Gorbatschow, genannt Gorbi. Exklusiv für Canale
Grande werden wir Ihnen die Karriere dieses Mannes schildern. Ja, es ist wahr:
Gorbatschow war ein Agent. Agent des amerikanischen Geheimdienstes!
Bild:
Portraitfotos von Stasi-IMs (Lothar de Maizière, Manfred Stolpe, Heiner Müller
u.a.), am Ende Gorbatschow-Portrait und eine Luftaufnahme des
Pentagon/Washington.
Ton:
1962. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges beschließt das Pentagon, die
kommunistische Bedrohung mit einer neuen Strategie zu beantworten. Die
Infiltration der sowjetischen Elite durch die CIA soll die entscheidende Wende
im Kampf der Systeme bringen. Man beginnt, unter den jungen aufstrebenden
Bürokraten der Nomenklatura inoffizielle Mitarbeiter anzuwerben. Diese neuen
Agenten, „Schläfer“ genannt, sollen jedoch nicht für belanglose Aufgaben wie
Informationsbeschaffung verschlissen werden. Sie sollen erst tätig werden, wenn
sie am Ende ihres Marsches durch die Institutionen angelangt sind. Unter ihnen
ein Mann, der Geschichte machen wird: Michail Gorbatschow.
Bild:
„1. Akt: Die Anwerbung“. Kalter Krieg (US- und SU-Waffen, Kuba-Krise), junge
Sowjetbürokraten auf Parteitagen und in der Propaganda, Kreml, Portrait des
jungen Gorbatschow.
Ton:
Es ist uns gelungen, seinen ehemaligen Führungsoffizier in den USA zu
interviewen. William Cody ist inzwischen 85 Jahre alt und lebt in Buffalo.
Frage: Wie kamen Sie auf
Gorbatschow?
Antwort: Er ist uns als junger
Parteisekretär in Stawropol aufgefallen. Man konnte ihn immer sehr gut an
diesem komischen Fleck auf der Stirn erkennen.
Frage: Wie konnten Sie all die
Jahre unbemerkt Kontakt mit ihm halten?
Antwort: Wir trafen uns nur sehr
selten. Wir organisierten vor allem die gegenseitige Unterstützung der
„Schläfer“, die natürlich nichts voneinander wissen durften. Auffällige
Geschenke oder Überweisungen hat es im Übrigen nie gegeben.
Frage: Warum schweigt die CIA
beharrlich zu den Vorwürfen?
Antwort: Weil es so aussehen
soll, als wäre unser System überlegen gewesen. Der Präsident wollte das so.
Bild:
Aufnahme des Interviewten von schräg hinten. Englischer Text, der auf Deutsch
übersprochen wird.
Ton:
Während die USA im Katzenjammer des verlorenen Vietnamkriegs versinken und ein
korrupter Präsident das Land regiert, tickt die Zeitbombe im Inneren des roten
Imperiums. Scheinbar mühelos machen viele „Schläfer“ Karriere. Doch niemand ist
so erfolgreich wie Gorbatschow. Er wird Generalsekretär der KPdSU und ernennt
sich bald zum Präsidenten der Sowjetunion. Die CIA ist so überrascht, dass sie
zunächst untätig bleibt. Um auf den unverhofften Erfolg ihres Mannes in Moskau
angemessen reagieren zu können, wird im Jahr 1989 der ehemalige CIA-Chef George
Bush als Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt. Es kann losgehen.
Bild:
„2. Akt: Der Aufstieg“. Vietnam-Krieg, Nixon-Portrait, sowjetische Parteitage,
Gorbatschow als neuer Generalsekretär im März 1985, Bush-Portrait (60er Jahre),
seine Ernennung zum US-Präsidenten.
Ton:
Ein ehemaliger Vertrauter Gorbatschows berichtet.
Frage: Wie konnte man ein
Weltreich so schnell und gründlich abwickeln?
Antwort: Die Sowjetunion war ein
autoritäres System. Ist man erst mal ganz oben, hat man alle Macht der Welt.
Frage: Warum sollte die UdSSR
aufgelöst werden?
Antwort: Der ganze Marxismus war
eine Schnapsidee. Unser Land blutete für den Rüstungswettlauf mit den
Amerikanern. Wir wollten lieber schnelle Autos bauen, gute Fernseher und
Kühlschränke haben.
Frage: Was machen Sie heute?
Antwort: Ich leite ein
chinesisches Restaurant in Shanghai.
Bild:
Gesicht unkenntlich, Nonsens-Russisch, Deutsch übersprochen.
Ton:
Die Entsorgung des Warschauer Pakts erfolgt in rasch aufeinander folgenden
Schritten. Zunächst wird die sowjetisch besetzte Zone, auch DDR genannt, dem
Westen übergeben. Dann werden die Verbündeten entlassen. Hierfür erhält
Gorbatschow seinen ersten Lohnscheck. Er bekommt 1990 den Friedensnobelpreis
und damit eine siebenstellige Summe. Im darauffolgenden Jahr löst er die
Sowjetunion auf, erklärt die Sache mit dem Kommunismus für beendet und öffnet
das Land für Pornographie und Kabelfernsehen. Danach geht er in die verdiente
Frührente.
Nur die DDR-Staatssicherheit,
die bereits 1987 durch einen Überläufer eine Liste der „Schläfer“ erhalten
hatte, und Erich Honecker wissen ebenfalls von den hochbrisanten
Zusammenhängen. Ihr Eingreifen kommt auf tragische Weise zu spät. Honecker
findet sich bald darauf im Gefängnis wieder und wird kurze Zeit später nach
Feuerland verbannt.
Bild:
„3. Akt: Der Auftrag“. Mauerfall, Wiedervereinigung, Machtwechsel im Ostblock, Ceaușescu-Erschießung, Zerfall der UdSSR,
Mielke- und Honecker-Portraits, Honecker-Prozess und Ausweisung.
Ton:
Über die Hintergründe erklärte uns ein ehemaliger Stasi-Major folgendes:
Als wir von den
konterrevolutionären Absichten des Genossen Gorbatschow erfuhren, haben wir
natürlich versucht gegenzusteuern. Doch die heroischen Versuche unseres
Generalsekretärs des ZK der SED Erich Honecker, den Sozialismus zu retten,
endeten tragisch. Als er Gorbatschow während dessen Besuchs anlässlich des 40.
Jahrestags der DDR-Gründung im Oktober 1989 direkt auf den Sachverhalt
ansprach, ließ dieser Honecker fallen und wenig später die Mauer öffnen. Die
historischen Folgen sind bekannt: der Klassenfeind übernahm unseren Staat.
Bild:
Gesicht unkenntlich, Stimme verzerrt (stark sächsischer Akzent).
Ton:
Wer war Gorbatschow wirklich? Muss die Geschichte in weiten Teilen neu
geschrieben werden? Das historische Ringen zwischen Kapitalismus und
Kommunismus – letztlich entschieden durch einen billigen Geheimdiensttrick?
Empörte Reaktionen in aller Welt. (Fiktive Bürgerkommentare und
Politikerstatements)
Bild:
Gorbi-Portrait. Kurze Szenen mit Leuten auf der Straße und Interviewausschnitte
mit angeblichen Politikern.
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