Man hatte mich vor Gerber
gewarnt. Der große Diktator. Seine Schreckensherrschaft erstreckte sich über
die gesamte Materialausgabe im Untergeschoss. Er genoss es sichtlich, Macht
über andere Menschen zu haben, erzählten mir die Kollegen.
Ich hatte ein mulmiges Gefühl,
als ich an seine Tür klopfte.
„Herein!“ brüllte er.
Ich öffnete die Tür und ging zu
seinem Schreibtisch. Gerber trug einen dunkelblauen Kittel und die langen
grauen Strähnen, die er sich über seine Halbglatze gekämmt hatte, sahen aus wie
Stacheldraht.
Er musterte mich misstrauisch
von oben bis unten. „Was wollen Sie?“
„Einen Kugelschreiber“,
antwortete ich.
„Da könnte ja jeder kommen“,
bellte Gerber.
Aber ich war vorbereitet.
Wortlos zog ich ein sorgfältig zusammengefaltetes Formular aus der
Jackentasche, das von meinem Vorgesetzten unterschrieben und abgestempelt war. „Auftrag
zur Materialbeschaffung. 1 Kugelschreiber, schwarz. Empfänger: Markus Montag.“
Er holte eine dicke Hornbrille
aus seiner Brusttasche und studierte minutenlang das Formular.
„Ihren Personalausweis“, sagte
er schließlich.
Ich zeigte ihm meinen Ausweis,
den er einer ausführlichen Prüfung unterzog. Nachdem er mir den Ausweis
wiedergegeben hatte, stand er auf und heftete das Formular in einem Aktenordner
ab. Dann verschwand er hinter den hohen Metallregalen hinter seinem Schreibtisch.
Nach fünfzehn Minuten kam Gerber
wieder zurück. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und holte ein Formular mit
der Überschrift „Empfangsbescheinigung“ aus einer Schublade.
„Hier unterschreiben. Das
Original bleibt bei mir, der Durchschlag ist für Ihre Unterlagen.“
Ich holte meinen Kugelschreiber
aus der Jackentasche, unterschrieb und schob ihm das Formular über den Tisch
zurück.
„Wozu brauchen Sie eigentlich
einen Kugelschreiber, wenn Sie schon einen haben?“
„Der ist für einen Praktikanten
und verbleibt nach Abschluss des Praktikums in unserer Abteilung.“
„Warum haben Sie dann nicht
Ihren Praktikanten zu mir geschickt?“
„Der kommt erst nächste Woche.“
Ich war auf alles vorbereitet. Meine
Geschichte wirkte glaubwürdig. Oder roch er meine Angst? Ich fühlte mich wie
ein Angeklagter, der im Gerichtssaal vom Staatsanwalt ins Kreuzverhör genommen
wird. Würde er Nachforschungen über den Praktikanten anstellen, den ist in
Wirklichkeit gar nicht gab?
Er zögerte einen Augenblick.
Dann gab er mir den Kugelschreiber. In seinem Blick lagen Wut und Verachtung.
„Danke“, sagte ich und steckte
den Kugelschreiber ein.
Er antwortete nicht. Ich verließ
schweigend das Büro. Geschafft!
Sind das böse Vorahnungen auf die zu erwartenden Rationierungen?
AntwortenLöschenErst kommt die Inflation. Kugelschreiber: 10 €.
LöschenParallelen zu meinem früheren Arbeitsplatz und mit lebenden Personen sind wohl recht zufällig... ODER 🤔🤫😁
AntwortenLöschenYOU MADE MY DAY... wieder einmal... DANKE... lb Matthias 🖊️ 😘
Ersatzkugelschreiber - zur SICHERUNG des FRIEDENS - kommt demnächst 📮 *kicher*
Ja. Aber ich habe leicht übertrieben. Vielleicht werden diese Leute so, wenn sie über solche Mengen an Büromaterial herrschen. Sie bewachen sie wie einen Schatz. Als wäre es ihr persönliches Eigentum.
Löschen... Ich kenne es aber SO 🤣 = öffentlicher Dienst... hüstel 🙄 Die Angestellten mussten ALLES - schriftlich - beantragen 🖊️ 🤔
LöschenDerweil reiste Bürgermeister privat, per Heli, Freßkörbe erhalten und Geliebte auf neu, unnötig eingerichteten Arbeitsplatz geparkt 😜 (auf Staatskosten) - wissentlich - auf/mit privaten Firmengeldern... ABGRÜNDE 🙈🙉🙊
Avmwsdn = aber von mir wissen sie das nicht 🤑
Ich habe es so in zwei Forschungsinstituten und bei einem Privatunternehmen erlebt. Lustig waren auch immer die Reisekostenabrechnungen, wenn man jedes Mal schriftlich begründen musste, wenn man auf einer Dienstreise ein Taxi und nicht den Bus genommen hat. Aber beim Auftraggeber der Forschungsprojekte wurde jeder Arbeitstag von mir mit 800 Euro berechnet :o)
LöschenGestatten das ich mich einmische?
LöschenIch erinnere mich an unseren Schulhausmeister.
Immer gewissenhaft im grauen Kittel und Namensschildchen am Revers.
Er bewachte die Kreidestation im Keller wie Fort Knox.
Die Verantwortung und seine Gewissenhaftigkeit waren sicher zu viel für ihn.
Er erlag einem Herzinfarkt beim Laubkehren im Schulhof während der Ferienzeit.
TrueStory ichschwör
+ was hast DU davon gesehen... 🤔... 1/4 wenn DU 🍀 gehabt hast ?!? *tja*
LöschenEs war noch weniger. Ich habe Gehaltsstufe A 13 bekommen, kennst du ja aus dem ÖD. Soviel wie ein Studienrat am Gymnasium.
Löschen@ anonym
LöschenAls ich in der 5. Klasse ans Gymnasium kam, war unser Hausmeister (ebenfalls mit grauem Kittel) ein junger Mann mit dunkelblondem Haar. Er wohnte mit seiner Frau direkt neben der Eingangstür. Als ich neun Jahre später das Gymnasium verließ, war er ein alter Mann mit grauen Haaren geworden.
A 13 Eingangsstufe ist ein Hungerlohn. Da bleiben bei Steuerklasse I 2000 € von übrig. Ein Studienrat am Gymnasium ist A 15
Löschen@anonym: In NRW A13: Grundgehalt 4563€, netto 3514€.
Löschenhttps://oeffentlicher-dienst.info/beamte/nw/
Das ist schon... also, mein lieber Scholly. Unter meinen "Kontakten" im alten Handy war ein gewisser Markus Montag vermerkt. Aus nachvollziehbaren Gründen. Da ich damals mehrere Marküsse kannte, nannte ich den Markus, mit dem ich mich Montags zu treffen pflegte, Jetzt mal egal, WARUm, Markus Montag. Ist es zu fassen?
AntwortenLöschenIch kenne dein altes Handy. Ich habe alle deine Daten. Dreh dich beim Spazierengehen öfter um ;o)
LöschenDas, was Angelnette und du in eurer Kommentarunterhaltung erzählen kenne ich aus einer Praktikumsstelle für meine Umschulung, da gabs das nicht nur für Büromaterial. (Meine damalige Kollegin hat regelmäßig um das Theater zu umgehen eigene Bleistifte oder ähnliches mitgebracht, die wanderten dann natürlich ohne ihre Zustimmung in Eigentum des Chefs über, der ihr die angeblich rausgegeben hatte...)
AntwortenLöschenBüromaterial. Da bin ich an einem ganz heißen Thema dran ;o)
LöschenKonferenzkekse. Auf diesen Posten muss der Prokurist den Finger legen. Sind eh alle zu fett, diese Kostenstellen auf zwei Beinen.
LöschenWenn das Thema durch ist, bitte dasselbe mit Kaffeepads, das konnte der Chef da auch ganz gut. (Dreimal am Tag unterschreiben für sechs Kaffeepads...)
Löschen(Soll ich dir was Off-Topic erzählen? Wir beide sprachen doch irgendwann letztes Jahr in deiner Kommentarspalte darüber, dass ich nicht mehr schreiben kann/konnte seit mir meine Blogs zerstört wurden. Ich habs geschafft, einen Fiktionstext in eine Anthologie zu bekommen. Wenn das wieder geht, lerne ich den Rest vielleicht auch wieder. Dann hätte ich auch wieder einen Grund für den Erhalt von Stiften unterschreiben zu müssen.)
@ dergl
LöschenHerzlichen Glückwunsch! Kannst du mir den Titel der Anthologie verraten oder wäre das zu indiskret.
Kann ich dir verraten, ist aber noch nicht draußen. Mir wurde mitgeteilt, dass man wegen Corona verzögert ist, soll aber Ende März/Anfang April wohl soweit sein. Die Druckfahnen hatte ich Mitte Februar zur Korrektur. "Bittersüße Wirklichkeit" im Geest-Verlag, sollen zwei Bände werden, weil wohl über 500 Texte eingesandt worden sind (es war ursprünglich ein Wettbewerb, ob ich mit meinen zwei Seiten was gewonnen habe, weiß ich nicht, ich hab das nur zur Übung gemacht). Das war eine Ausschreibung extra für Autor*innen mit Behinderungen/chronischer Erkrankung zu dem Thema, das auch der Titel der Anthologie ist.
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