Montag, 28. Dezember 2015

Berliner Asche, Kapitel 4, Szene 2

Marion Sutter zwirbelte nervös eine Strähne ihrer Pagenfrisur zu einer dünnen Wurst und blickte auf den Monitor. Per Skype war sie mit dem Eigentümer der Maximum AG in Meran verbunden. Hasso Otzenköttl gehörten etwa achtzig Prozent der Anteilsscheine an der Immobilienfirma, der Rest verteilte sich auf verdiente Angestellte wie Frau Sutter oder den jüngst verblichenen Herrn Altmann.
„Sie können sich ja sicher vorstellen, warum ich Sie bereits morgens in ihrer Wohnung belästigen muss“, begann Otzenköttl das Gespräch.
Frau Sutter war froh, bereits angezogen zu sein. Das fehlende Make-up würde bei der Übertragungsqualität nicht weiter auffallen. Sie saß auf der schwarzen Ledercouch in ihrem Wohnzimmer und betrachtete das teigige Gesicht ihres Chefs. Im Hintergrund sah man das satte Grün des Vinschgaus, Otzenköttl saß offenbar auf der Terrasse seiner Villa. Sie selbst bewohnte eine perfekt renovierte Hundertvierzig-Quadratmeter-Atbauwohnung in der Husemannstraße im Prenzlauer Berg.
„Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht.“ Sie präsentierte ihr andressiertes Servicelächeln, das eigentlich für Kunden reserviert war. Aber ohne Kaffee kam auch ihre Mimik nicht recht in Schwung. Neidisch betrachtete sie Otzenköttl, der eine Porzellantasse an das gespitzte Mündchen führte.
„Haben Sie denn in den letzten Stunden keine Nachrichten gehört?“
„Ich habe noch keine Zeit gehabt. Die Sache mit Altmann hat mich beschäftigt, das werden Sie hoffentlich verstehen.“
Otzenköttls feiste Backen wackelten beim Lachen. „Da weiß ich ja hier in Südtirol mehr als Sie vor Ort in Berlin. Es hat einen Anschlag auf unsere Büroräume in Mitte gegeben. Die Polizei hat mich mitten in der Nacht angerufen, weil meine Frau als Mieterin im Vertrag steht. Die haben mir erzählt, es wären Linksradikale gewesen. Haben Sie in Berlin irgendwelchen Ärger mit Hausbesetzern oder anderen Spinnern?“
Frau Sutters Lächeln fiel schlagartig in sich zusammen. „Nein. Wir haben uns die Objekte immer vorher genau angeschaut. Derzeit haben wir Neubauprojekte in Pankow, Karlshorst und Frohnau. Da gibt es natürlich auch nichts zu besetzen. Da wurden höchstens mal ein paar Bäume gefällt.“ Sie überlegte eine Weile, während Otzenköttl sie amüsiert betrachtete und an seiner Kaffeetasse schlürfte.
„Wenn die Leute die Wahl haben zwischen dem moralischen Terror der Gutmenschen in einer Öko-Diktatur und den Verlockungen diverser goldener Kälber, werden sie sich für den bequemeren Weg entscheiden. Jede Viehherde nimmt den kürzesten und einfachsten Weg, da können die ganzen linken Pseudointellektuellen so viel jammern wie sie wollen. Der Mensch will genießen, nicht verändern. Jedenfalls wollen das die meisten.“ Sie hatte beschlossen, ihren Chef in ein allgemeines Gespräch über die Zustände in Berlin zu verwickeln. „Bittschön, Frau Sutter. Ersparen Sie mir Ihre Erbauungspredigt. Die Polizei hat gesagt, es wäre eine Splitterbombe gewesen. Das ist doch nicht die Handschrift von ein paar langhaarigen Protesthanseln. Wissen Sie, was ich glaube?“
„Nein, Herr Otzenköttl.“ Ihre Stimme klang jetzt sehr deprimiert.
„Das waren die Russen. Altmann hat doch mit den Russen schon immer gerne Geschäfte gemacht. Die haben viel zu viel Geld und zahlen gerne bar. So wie ich es gerne habe.“ Beim Lachen entblößte er eine Reihe kurzer Zähne und eine Menge Zahnfleisch.
„Die Russen“, wiederholte Frau Sutter fassungslos.
„Ja, genau. Herr Busch hat mir von den Schwierigkeiten mit den Russen erzählt. Ersparen Sie mir also Ihre Ausreden.“ Sein Tonfall bekam etwas Hässliches.
„Es tut mir leid. Wir wollten das Problem erst einmal intern klären.“
„Ich bin der Boss, Frau Sutter. Interner geht’s gar nicht. Altmann hat die Sache verbockt und Sie werden mir jetzt zuhören. Wissen Sie überhaupt, mit wem Sie es da zu tun haben?“
„Nein, Herr Otzenköttl.“ Sie musste vorsichtig sein. In diesem Augenblick ging es um ihre Karriere, ihre schöne Wohnung, ihren Lebensstil. Es ging um alles, was sie sich in den letzten Jahren aufgebaut hatte, seit sie ihre saarländische Heimat verlassen hatte.
„Die Russenmafia in Berlin ist gut mit ihrer Heimat vernetzt. Gruschenko arbeitet eng mit der Ismailowskaja zusammen, einer Organisation, die nach dem Moskauer Stadtteil Ismailowo und der gleichnamigen Metrostation benannt ist. Die sind eine ganz große Nummer in Russland und deren Geld war auch im ‚schiefen Turm von Pankow’ investiert. Berlin ist neben New York und London das Zentrum. Autodiebstahl, Prostitution und Menschenhandel, Drogenhandel, Schutzgelderpressung bei Russlanddeutschen und Landsleuten. Das ganze ist perfekt organisiert und richtig multikulti. Polen und Ukrainer brechen in Berlin Edelkarossen auf, das geht ganz schnell. Teilweise haben sie sich die Software für die Sicherheitstechnik beim Hersteller besorgt. In einer Stunde sind die Wagen per Lkw über die Grenze, dann geht es zum Kunden nach Moskau, der die Ware bestellt hat.“
„Das wusste ich nicht“, sagte Frau Sutter nur, sie war blass geworden.
„Das müssen Sie auch nicht wissen. Über solche Dinge habe ich immer nur mit Herrn Altmann geredet. Wichtig ist nur eins: Ich nehme die Dinge jetzt in die Hand. Heute kommen zwei Männer aus Wien, die das Problem für uns lösen werden. Absolute Spitzenleute. Die sind so gut wie ein Spezialeinsatzkommando in Deutschland oder ein SWAT-Team bei den Amerikanern. Normalerweise sind es drei, aber der Dritte hat sich mit Grippe krank gemeldet.“
Das klang nicht nur aufgeblasen, sondern auch lächerlich. War sie in einen schlechten Film geraten? Otzenköttl war ein Blender. Er hatte sie in die Defensive gedrängt, aber jetzt war sie wach. Wenn er sie wie ein kleines Dummchen behandeln würde, hätte er vermutlich auch bald einen neuen Vorgesetzten für sie. Aber sie wollte die neue Chefin in Berlin sein. Du musst kämpfen, Marion!
„Sie haben Österreicher engagiert?“ Sie versuchte, selbstsicher zu klingen.
„Warum nicht? Sie heißen Swoboda und Derfflinger.“
„Haben Sie denn keine anderen Kontakte?“
„Wir haben keine verlässlichen Leute in Berlin“, antwortete Ochsenköttl kalt.
„Wir hätten in Baden-Baden bleiben sollen. Da gab’s immer genügend reiche Russen. Und die waren nicht so asozial wie die Russen hier.“
„Wir brauchen aber Leute, die die Drecksarbeit erledigen.“
„Bestimmt hätten wir auch in Baden-Baden dafür die richtigen Russen gefunden. Man muss Russen mit Russen bekämpfen.“
„Wo haben Sie denn diesen Quatsch her?“
„Na, man sagt doch auch: Feuer muss man mit Feuer bekämpfen.“
„Aber das ist doch etwas völlig anderes.“ Ochsenköttl war jetzt richtigt wütend.
„Jedenfalls hätte ich keine Österreicher engagiert“, antwortete Frau Sutter kalt.
„Die Italiener wirst du nie wieder los. Die mischen sich gleich in die Geschäfte ein. Mit den Albanern und Vietnamesen kenne ich mich nicht aus.“
„Gibt es denn eine österreichische Mafia?“
„Die beiden Killer sind mir von einem Freund empfohlen worden. Sehr zuverlässige Leute, echte Profis.“
Der verbale Schlagabtausch hatte sich immer weiter gesteigert, aber Ochsenköttl hatte gewonnen. Er war der Boss, er hatte das Geld, er hatte die Leute. Marion Sutter notierte sich die Informationen, die Ochsenköttl ihr durchgab und überhörte den Sarkasmus, als sich der Mann in Meran mit einem „Küss die Hand, gnädige Frau“ verabschiedete.

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