Freitag, 22. August 2014

Hausbesuch

Robin Kohlhammer sitzt breitbeinig auf seiner Couch und hat die Arme auf die Rückenlehne gelegt. Auf dem hölzernen Tischchen vor ihm liegen eine Fernsehzeitschrift, die Fernbedienung und sein einbändiges Volkslexikon („A-Z“). Die gerahmte Kopie eines Ölgemäldes über seinem Kopf zeigt einen Dreimaster in stürmischer See.
„Verarschen wollten die mich! Da sind sie aber an den richtigen geraten. Ich habe gleich an den Bürgermeister geschrieben. Bis heute keine Antwort. Alle Verbrecher! Wo Sie nur hinschauen.“
Eigentlich wollte ich mich nur kurz vorstellen. Benjamin Kurzke, Ihr neuer Nachbar. Dann wollte ich wieder gehen. Jetzt sitze ich hier. Er hat gedroht, mir die ganzen Briefwechsel zu zeigen. Schweißperlen an meinem Haaransatz, ein dumpfes Gefühl der Beklemmung in der Magengegend.
„Hol doch mal den Ordner, Ilse! ILSE!! Der muss doch irgendwo sein. Haste denn schon im Schlafzimmer nachgeschaut?“ Von Ilse hört man nur ein leises Scharren aus der Küchengegend. Sie spricht nicht, keine Anzeichen von Zustimmung oder Ablehnung.
„Eigentlich wollte ich ja nur kurz vorbei schauen und guten Tag sagen. Wo wir doch praktisch jetzt Nachbarn sind.“
Kohlhammer hat eine scharf geschnittene, gerade und schmale Nase in seinem aufgeweichten Gesicht. Dazu Igelfrisur und Vollbart. Mürrisch kratzt er sich den Bierbauch, der von einem weißen Unterhemd kaum bedeckt wird. „Da haben Sie sich ja ein schönes Haus ausgeguckt. Ist Ihnen aufgefallen, wie es im Hausflur aussieht? Und der Rasen vor der Tür ist doch die reinste Müllhalde. Wie oft habe ich schon an die Hausverwaltung geschrieben. Und ins Gesicht habe ich’s der Witzblattfigur von Hausmeister gesagt. Der traut sich schon gar nicht mehr her!“
Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich will nur hier raus. Aber jetzt kommt Kohlhammer langsam in Fahrt.
„Mein Leben lang haben die mich betrogen. Von vorne bis hinten beschissen. Aber ich habe alles gesammelt. Alles aufgehoben. Mich kriegen die nicht klein.“
Er steht auf und fängt an, den Wohnzimmerschrank zu durchsuchen. Seine Familiengeschichte kenne ich schon. Sein Vater lebt noch, aber er hat jeden Kontakt zu diesem „Streithammel“, wie er ihn verächtlich nennt, abgebrochen. Er ist geschieden, seine Tochter aus erster Ehe lebt in Wuppertal. Mehr weiß er nicht von „diesem undankbaren Volk“.
„Es kann doch nicht wahr sein. Muss doch hier irgendwo sein. Ilse! Wo ist denn der Ordner mit der Telekom-Sache? Das ist das Allerschärfste. Aber ich habe mit Prozess gedroht. Bis zum Vorstand ist die Sache raufgegangen. Die wollten mich kaputtmachen! Ich zahl doch nicht für irgendwelche Gespräche, die ich nie geführt habe. Das müssen die mir erst mal beweisen, diese Mafiabrüder!“ Kohlhammer arbeitet schon seit zehn Jahren nicht mehr. Er sei damals auf der Baustelle von den Kollegen regelrecht gemobbt worden. Aber er habe sich gewehrt, sagt er. Denn kleinkriegen, kleinkriegen lässt er sich nicht.
„Sag mal, Ilse, du hast doch den Ordner mit den Beweisen nicht weggeschmissen, oder?“
„Nein“, tönt es leise aus der Küchengegend, „nix hab ich weggeschmissen.“
„Alles weg ... diese Schweinebande. Wahrscheinlich alles geklaut, heimlich eingebrochen und alles mitgenommen. Dieser Drecksstaat schnüffelt hinter jedem her. Haben mich wahrscheinlich auf dem Kieker, seit ich an den Bundeskanzler geschrieben habe. Aber die Lottogesellschaft schuldet mir noch 58 Euro 70. Das kann ich belegen. Hab ich alles da.“
Er steht auf und läuft unruhig umher. Als er kurz das Wohnzimmer verlässt, spiele ich mit dem Gedanken an Flucht. Aber möchte ich Kohlhammer zum Feind haben? Und möchte ich in unmittelbarer Nachbarschaft zu diesem Feind leben?
„Da ist er ja!“ Strahlend kommt er mit einem roten Ordner zurück zu seinem Thron. „Das sind die Briefwechsel mit der Versandhausfirma und dem Busunternehmen. Alles Ganoven und Halunken! Vom Arbeitsamt gar nicht zu reden. Mit denen kämpfe ich seit Jahren. Die wollen mich aushungern. Kann mir einer erzählen, wie Ilse und ich von dem bisschen Stütze leben sollen? Und wir wollten doch immer mal nach Griechenland.“ Und etwas lauter: „Oder, Ilse?“
Während ich den Ordner zur Lektüre gereicht bekomme, ist Kohlhammer schon wieder unterwegs. Bald kommt er mit einem kleinen Schulheft wieder, das er mir strahlend präsentiert.
„Hier, schauen Sie mal! Ich arbeite an einem Regierungsprogramm. Hierzulande muss doch alles anders werden, es geht doch so nicht mehr weiter. Da können sich die Damen und Herren Politiker mal eine Scheibe von abschneiden. Sind doch alles Lügner und Betrüger.“
Ich sehe kleinkarierte, eng beschriebene Seiten. Es flimmert vor meinen Augen. Zum Glück kommt ein Wind auf und bläst kühle, frische Luft durch das Fenster. Die Blätter auf dem Couchtisch wirbeln auf.
„Wenn ich an Gott glauben würde, hätte ich dem längst einen Brief geschrieben. Verdammter Scheißwind!“
„Gab es denn auch mal was Gutes?“ Meine Frage überrascht mich selbst.
Kohlhammer sieht mich misstrauisch an. „Gar nichts war gut. Mein Leben lang haben sie mich beschissen. Von vorne bis hinten haben sie mich beschissen. Von der Firma Kleineisen habe ich noch einen Radiowecker zu bekommen. Als Werbegeschenk. Aber heute wollen die von ihrem Versprechen nichts mehr wissen. Alles Halsabschneider, wo man hinschaut. Ilse! Wo ist denn der Ordner mit der Kleineisen-Sache? Ich habe alles dokumentiert, glauben Sie mir. Alles abgeheftet. Die Beweise sind lückenlos.“
Hier komme ich nicht mehr raus, soviel steht fest.
Andreas Dorau – Kleines Stubenmädchen. http://www.youtube.com/watch?v=cIp-P3pz2NI

5 Kommentare:

  1. Portraitierst du gerade deine Nachbarschaft?

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  2. Nein, meine Nachbarn hier im Dorf sind noch viel schräger ;o)

    Diese Figuren habe ich mir einfach ausgedacht, morgen geht wieder mit der Realität weiter: Andy Bonetti.

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  3. Realistisch war die Trinkmaschine. Bonetti ist ja mehr dein alter ego

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    1. Da verfügt jemand über Insiderinformationen ;o)

      Eines Tages fahre ich nach Bad Nauheim und frage nach Bonetti. Neulich hatten sie dort einen Stromausfall. Supermarktkassen funktionierten nicht mehr, automatische Türen öffneten sich nicht mehr und die Tiefkühlkost schmolz dahin ...

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  4. Nee, kein Insider. Nur ein vergnügter Leser deines Blogs.

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