Donnerstag, 8. Mai 2014
Die deutsche Stahlbiene
Die Frau eines pfälzischen Freundes erzählte einmal beim Abendessen von ihren Forschungsprojekten aus dem Bereich Organisationspsychologie. Diese Projekte waren überwiegend mit EU-Geldern gefördert, so dass es also internationaler Kooperationspartner bedurfte, um an die Kohle aus Brüssel zu kommen – so waren und sind die Voraussetzungen einer Förderung. Das bedeutete nicht nur, viele schöne Dienstreisen ins Ausland machen zu dürfen, sondern auch, mit Iren und Letten, Finnen und „-Innen“ an einem Tisch zu sitzen. Die Griechen, so erzählte sie lächelnd, hätten sich bei diesen Projekttreffen grundsätzlich geweigert, nachmittags zu arbeiten. Vormittags Besprechungen, dann ein gutes Essen und anschließend Freizeit. So waren es die Griechen seit uralter Zeit gewohnt. Sie fand das anfangs doof, gewöhnte sich aber wie der Rest der Gruppe an diese Form des Arbeitens und fand es bald darauf sogar sehr sympathisch. So blieb Zeit, sich im Gastland umzusehen oder als Gastgeberin anderen Kollegen die eigene Heimat zu präsentieren.
Deutsche sind immer so korrekt, so ernst und erfolgsorientiert. Immer mit Bienenfleiß bei der Sache. Noch schlimmer als US-Amerikaner. Kurze Mittagspause, kleiner Snack, ein Schluck Wasser und dann gleich weitermachen – wenn die Spanier ihre Siesta einklagen möchten. Heute etwas erledigen, damit man es morgen nicht mehr machen muss. Aber am nächsten Tag wird bei den Deutschen ja nicht weniger gearbeitet. Und das hört nie auf. Es ist nicht nur die Besserwisserei und Korinthenkackerei, die uns Deutsche unbeliebt macht, und es ist auch nicht unsere Nazi-Vergangenheit, sondern in erster Linie unser verdammter Fleiß. Der typische Deutsche ist mit seinem Beruf verheiratet, die Arbeit ist sein Familienersatz.
Die echten Bienen sind übrigens weniger fleißig als ihre stählernen Artgenossen aus der Bundesrepublik. Sie sind nur sechs Stunden am Tag unterwegs. Und ihre Tätigkeit würde ich auch nicht als „Arbeit“ bezeichnen. Sie fliegen von Blume zu Blume und trinken Nektar. Das ist, als gingen wir von Kneipe zu Kneipe und tränken überall ein Bier. Das hat nichts mit Ausbeutung oder Entfremdung zu tun. Außerdem sind die Bienen in den letzten Millionen Jahren ohne McKinsey und Konsorten ausgekommen – und ohne Burn-Out-Syndrom. Wir sollten von den Bienen lernen. Von den Griechen. Von den Katzen. Von Bäumen und Steinen. Sie schenken uns, was wir uns selbst nicht mehr geben können: Ruhe und Gelassenheit.
P.S.: Ich erinnere mich noch gut an ein dreitägiges Treffen kluger Köpfe in der Normandie: Cerisy-la-Salle. Im Foyer hingen die Porträts der vielen illustren Gäste dieses Hauses, die klüger sind, als ich es je sein werde, Sartre zum Beispiel. Keines dieser verkehrsgünstig gelegenen, seelenlosen Tagungshotels, sondern ein zauberhaftes Schlösschen mit einem weitläufigen Park, kilometerweit entfernt von jeder Zivilisation. Thema war die Beschleunigung der Moderne und der Entwurf einer Gegenwelt. Mein Vortrag war kurz, die Diskussion lang. Tempi passati. Es ist seit 1996 eine Generation herangewachsen, die wie für die Beschleunigung gezüchtet erscheint. Die Mittagessen waren mehrgängig, opulent und selbstverständlich wurde zu jedem Gang ein guter Wein eingeschenkt. Nach den angenehmen Tischgesprächen und dem obligatorischen Käse nahmen sich die Gäste viel Zeit für gemeinsame Spaziergänge im Park oder ein ausgedehntes Nickerchen. Und trotzdem war der Gewinn an Erkenntnis und Kontakten höher als bei den zahllosen deutschen Veranstaltungen mit ihrem Vortragsmarathon und den abgewürgten Diskussionen (der Zeitplan!), die ich erleben musste, denn in Frankreich haben wir abends noch am Kamin gesessen und weiter miteinander gesprochen, anstatt allein vor dem Hotelfernseher zu hocken oder alberne Computerspiele zu machen.
Die Musik ist von New Order: “Blue Monday”. http://www.youtube.com/watch?v=FYH8DsU2WCk
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