Montag, 19. Mai 2014

Erwachen

Die Vergangenheit ist ein Rätsel. Die Gegenwart ist wie ein Miss-Marple-Film. Als ich am Sonntagmorgen zur Toilette gehe, um wie jeden Morgen mein Wasser abzuschlagen, sehe ich einen Blutfleck vor der Garderobe. Blut! Was ist passiert? Ich überlege. Habe ich mich am Samstagabend in der Dorfkneipe noch geprügelt? Vielleicht sollte ich jemanden anrufen, mit dem ich gestern unterwegs gewesen bin. Wer könnte das gewesen sein? Scheiße, alles ist weg. Filmriss. Konzentrier dich! Es begann mit einem Gartenfest am Nachmittag. Maibowle, dann ein paar Schoppen. Mit M. und seinem Bruder saß ich am Tisch … C., der Dorftischler, erzählte von seiner Neuseelandreise. Anschließend zogen für wir für das DFB-Pokalfinale ins Wohnzimmer von J. um – Bourbon … Ich betrachte mein Gesicht im Badezimmerspiegel. Nichts zu sehen. Ich taste meinen Körper ab. Keine Verletzungen. Merkwürdig. Ich zucke die Schultern, mein Spiegelbild zuckt mit. Mit Toilettenpapier und Spucke entferne ich den Blutfleck. Vielleicht bin ich gestürzt? Ich kann niemanden fragen, ich lebe allein. Und von der NSA habe ich keine Telefonnummer. Ich gehe wieder ins Bett. Blut auf dem Kopfkissen! Was ist passiert? Hilfe! Ich fasse mir an den Hinterkopf und spüre die Beule. Verkrustetes Blut. Ich schwöre, bis zum Mittagessen keinen Alkohol anzurühren …
Gegen drei Uhr sitze ich mit ein paar Freunden in der Dorfpizzeria und verdrücke gerade eine große Diavolo, als M. zu uns an den Tisch kommt. Ich sei gestern Abend in der Dorfkneipe vom Barhocker gefallen und J. hätte mich nach Hause begleitet. Man muss ja nur den Dorftratsch abwarten, dann erfährt man alles über sich … Trotzdem werde ich nachdenklich. Ein Bekannter aus Ingelheim ist auf diese Weise ums Leben gekommen. Vom Barhocker gefallen, tot. Der Bandkollege eines Freundes fiel rückwärts so unglücklich auf eine Tischkante, dass er starb. Ein anderer wurde wegen Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert und lebte noch drei Tage. Weniger trinken! Sport machen! An diesem Sonntag trinke ich nur vier Weizenbier und spiele in der Halbzeit des Fußballspiels im Fernsehen mit M. und dem Sohn des Pizzabäckers auf dem Sportplatz selbst ein bisschen Fußball. Dann gehe ich brav nach Hause.
Auf dem Heimweg denke ich weiter nach: Die Junkies, die ich kenne, sind inzwischen alle clean und haben überlebt. Bis auf einen aus Ingelheim und der hat mit einer Überdosis Selbstmord begangen. Überhaupt: Selbstmörder. Einer hat sich mit Autoabgasen umgebracht, einer hat sich vor dem Zug geschmissen, einer hat sich erschossen, einer hat sich aufgehängt (ausgerechnet in der Wohnung eines Kumpels hier in Schweppenhausen – kein schöner Anblick, als er nach Hause kam, wie er mir unter Tränen berichtet hat) … Weiter: Kokain, Speed, LSD, E … keine Toten. Okay, der eine junge Bursche, den wir alle nicht kannten und den ein Bekannter nach einer wilden Nacht tot auf seinem Sofa gefunden hat. Aber der hat das Koks auch gefixt. Er selbst starb Jahre später an Leberzirrhose. Und die ganzen Kiffer erfreuen sich ohnehin ihrer guten Gesundheit …
P.S.: Manu Chao – „Welcome to Tijuana”. http://www.youtube.com/watch?v=qw2Pny_N_Tg
Grandmaster Flash & The Furious Five passen aber auch zum Text: “White Lines”. http://www.youtube.com/watch?v=u0u_qxFEysI

1 Kommentar:

  1. Nein, von den ganzen Kiffern haben schon einige inzwischen den Löffel abgegeben. Zumindest in meinem Biotop.
    Gut, die Leute waren alle multiuser, im Endeffekt ( brrrr ) war es der Alc.
    Trotzdem, knülle rumlaufen war Programm. Morgenz aufstehen und ersma einen Joint. Und dann ging das so weiter.
    Ab 50 werden dann die Zinsen ausgezahlt.
    Und nein, es ist nicht schön, wenn es um einen rum weniger werden. Es stirbt immer ein Teil von Dir mit.

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