Donnerstag, 28. August 2025

Bonetti als Anti-Bonetti


Der weltberühmte Schriftsteller, mehrfache Nobelpreisträger und gefeierte Medienmogul stand am Fenster der Präsidentensuite und schaute auf die Menschenmenge vor dem Adlon hinab. Auf sein Zeichen öffnete der Kammerdiener das Fenster und Bonetti zeigte sich seinen Fans. Sofort brandete Jubel auf, Sprechchöre hoben an und er sah das unvermeidliche Schild „Andy, ich will ein Kind von dir“.

Am Abend sollte die Uraufführung seines ersten Spielfilms stattfinden, mit ihm in der Hauptrolle, als Regisseur und Produzent. „Ich bin das Licht der Welt“ war als Titel geplant gewesen, die Marketing-Abteilung des Filmverleihs hatte ihn auf „Lichter der Großstadt“ runtergehandelt. Warum nicht gleich „Teelichter der Kleinstadt“? Aber eigentlich war es ihm egal. Der Ruhm langweilte ihn maßlos.

Das bin ich nicht, dachte er. Ich spiele nur eine Rolle. Ich sitze in der Falle, ich kann mich nicht mehr frei bewegen. Ich muss mich neu erfinden, ich brauche ein anderes Leben. So kann es nicht mehr weitergehen.

Er ließ das Fenster schließen und bat die gesamte Dienerschaft, die Suite zu verlassen. Er legte seinen Diamantring und die massive Goldkette mit den vier Buchstaben G-O-T-T ab und setzte sich in einen Sessel. Wie hatte alles angefangen? Er dachte an seine Kindheit zurück.

Obwohl sein Vater als einfacher kleiner Immobilienmakler zwölf Stunden täglich schuftete und seine Mutter sich vergeblich im Vorstand einer Vermögensverwaltung abrackerte, gelang es der Familie nicht, der furchtbaren Not und dem namenlosen Elend des Villenviertels zu entfliehen. Das Verhältnis zu seinen Eltern war von einer geradezu freidemokratischen Kälte geprägt. Er geriet auf die schiefe Bahn, als er mehrfach beim Diebstahl von Parfum und Einstecktüchern erwischt wurde. Er kam in ein Erziehungsheim, aus dem er floh, indem er sich in einem Güterwaggon versteckte. In Monte Carlo wurde er von der Polizei aufgegriffen und landete im berüchtigten Jugendgefängnis auf der Teufelsinsel in Französisch-Guyana.

Dort ritzte er sein erstes Gedicht in die Wand:

Ich trank in schnellen Zügen

Das Bier und auch den Wein

Im Hauptbahnhof von Rügen

Da schlief ich endlich ein

Jahrzehnte des Erfolgs und ein märchenhafter Aufstieg zum Literaturpapst hatten ihm die rebellische Seele und seinen unbändigen Lebenswillen geraubt. Jeder Kleinstadtcowboy mit einem tiefergelegten Subaru führte ein aufregenderes Leben als er. Das würde sich in Zukunft ändern und er fasste einen verwegenen Plan.

Zwei Wochen später. Bonetti saß, nur mit einem Lendentuch und einem Turban bekleidet, an einer Straßenecke in Kalkutta. „Haste mal ‘ne Rupie“, bettelte er die Passanten an. Das Schreiben hatte er aufgegeben und eine Ausbildung als Schlangenbeschwörer begonnen. Er war abgemagert und das Wasser des Ganges schmeckte wie die syphilitische Diarrhöe aus der Vorwoche. Der Schmutz, die Mücken, die Hitze – kurzentschlossen zog er sein Handy aus dem Turban und rief seinen Chauffeur an, der ihn wenige Minuten später abholte. Das Schaumbad und das anschließende Abendessen im Biryani Savoy waren ein Hochgenuss.

Als er später auf Dinner-Partys auf diese Zeit angesprochen wurde, sagte er nur: „Du kannst dir nicht vorstellen, was ich durchgemacht habe. Du bist nicht dabei gewesen. Das war mein Vietnam, Dieter.“

 

Mittwoch, 27. August 2025

Würgemal, Grabmal, Denkmal

 

Blogstuff 1181

„Die Leute sagen immer: die Zeiten werden schlimmer. Die Zeiten bleiben immer. Die Leute werden schlimmer.“ (Joachim Ringelnatz)

Was wäre, wenn unsere Träume wirklich wahr werden würden? Ich rede nicht von unseren Wünschen, von den Tagträumen eines besseren Lebens. Wir wachen auf und sind in der Welt, von der wir gerade geträumt haben. Neulich träumte ich, ich würde in meiner Wohnung erwachen und alle Pflanzen in meiner Wohnung (obwohl ich in der Realität keine einzige Pflanze habe) wären extrem gewuchert. Aus einem Topf war ein buschiger Strang vier Meter weit ins Zimmer gewachsen, aus den Ritzen meines Parkettbodens wuchs Gras und ein anderer Topf hatte ein Loch in der Erde, aus dem ein Kaninchenkopf lugte. Oft träume ich auch von Bahnhöfen und von Fahrten, die mich nicht ans Ziel führen. Das Ergebnis von über dreißig Jahren als Bahnkunde, weil ich 1994 mein Auto abgeschafft habe. Die Schreckensherrschaft des Staatskonzerns hat Spuren hinterlassen. Man lernt, das wirkliche Leben zu schätzen. Ich bin immer wieder froh, wenn ich unbeschadet in meinem Berliner Alltag aufwache.

Manche kämpfen tapfer gegen ihre Verblödung, manche haben längst aufgegeben.

Ich habe nie verstanden, wie man die Hamas unterstützen kann. Dann könnte ich ja auch gleich die kriminellen Araber-Clans in Neukölln in den Himmel loben.

Charles Steinmetz war ein Freund von Einstein, Tesla und Edison, nur 1,20 m groß und ein genialer Techniker. Als Henry Ford ein Problem in seiner Fabrik hatte, holte er Steinmetz. Zwei Tage belauschte er die defekte Maschine, schlief in einem Feldbett daneben und sagte dann den Technikern, was sie zu tun hätten. Alles lief wieder rund und er bekam 10.000 Dollar, damals ein Vermögen. Auf der Rechnung waren zwei Posten vermerkt: ein Dollar für das Stück Kreide, mit der er die Stelle an der Maschine markiert hatte, 9.999 Dollar für das Kreuz, hinter dem der Defekt war.

Hätten Sie’s gewusst? Es gibt nicht nur Influencer, sondern auch Influenzmaschinen, die Gleichstrom erzeugen. Unvergessen: Johan Carl Wilcke.

Neulich beim Lieferservice: „Hassan, was ist denn in den drei Schweineeimern da hinten in der Ecke?“ – „Sauce Hollandaise, Broccoli und Lauch.“ – „Da machen wir noch Spaghetti und Champignons dazu und nennen es ‚Pasta Elfenglück‘. Wer so blöd ist und das bestellt, merkt eh nix mehr.“

Wenn Gott die Pizza Ananas gewollt hätte, wäre das Wort Ananas in der Bibel vorgekommen.

Von wegen Fachkräftemangel. Ich war mit meinem Bachelor in Theaterwissenschaften im Job-Center. Da gab es keine einzige freie Stelle für mich.

Just A Gigolo / I Ain't Got Nobody (Medley / Remastered 2002)

Dienstag, 26. August 2025

Der junge Mann

 

Wir suchten bis zum Abend. Dann gaben wir auf. Er wollte nicht gefunden werden. Jeder von uns wusste es, aber keiner sprach darüber.

Wenn Kinder Verstecken spielen, begrenzen sie das Areal. Eine Wohnung, ein Haus, ein Garten. Vielleicht eine Wiese zwischen ein paar Wohnblocks. Aber sie würden sich nicht auf der anderen Straßenseite verstecken.

Der junge Mann konnte überall sein. Vielleicht war er ein paar Kilometer weit den Strand entlanggelaufen. Oder er war zur Straße gegangen und dort beim Trampen mitgenommen worden. Dann konnte er hundert Kilometer weit weg sein.

Wir kannten ihn kaum. Er war allein angereist und sprach nicht viel. Als er nicht wie alle anderen zum Mittagessen erschienen war und der Manager ihn weder in seinem Zimmer noch am Meer vor dem kleinen Hotel finden konnte, machten wir uns Sorgen. Wo sollte er an diesem abgelegenen Ort hingehen?

Ich wollte in der nahegelegenen Siedlung nach ihm suchen. Ich bog vom Strand in einen Weg ein, der von einer hohen Hecke gesäumt war. Einheimische saßen im Schatten der Hecke, manche schliefen, manche sahen mich an. Die Blicke der Schwarzen waren gleichgültig, nicht feindselig.

Ich ging weiter. Manchmal war eine kleine Gartentür in die Hecke eingelassen, dahinter sah ich Menschen und kleine Häuser. Aber ich traute mich nicht, einen von ihnen anzusprechen oder eine Tür zu öffnen. Ich gehörte nicht hierher, noch nicht mal auf den sandigen Weg vor dem Dorf.

Schließlich kam ich auf ein offenes Feld. Männer und Frauen arbeiteten mit ihren Hacken, die Rücken gebeugt. Ich konnte bis zum Horizont blicken, aber der junge Mann war nicht zu sehen.

Ich kehrte um und ging zurück zum Hotel. Ein anderer Gast sprach mich an. „Das war gefährlich“. Ich nickte. Es war sinnlos, reine Zeitverschwendung.

Am Abend saßen wir auf der Veranda. Kaum jemand sagte ein Wort. Wir haben nie wieder etwas von dem jungen Mann gehört.      

 

 

 

Montag, 25. August 2025

The future of Hugh Crane

 

Blogstuff 1180

“Fragen Sie mich einfach. Ich weiß zwar nicht alles, aber ich habe auf alles eine Antwort.“ (Bonetti in einem Interview)

Andy Bonetti bekennt: „Ja, ich habe ein Blinddarm-Implantat.“ Haben wir einen neuen Trend?

Manchmal bin ich so faul, dass ich selbst das Thema Prokrastination auf die nächste Woche verschiebe.

„Normalerweise verfolgen Wespen Menschen, wenn diese etwas Essbares oder ein süßes Getränk in der Hand haben. Dann hilft es schon, das Bratwürstchen oder die Getränkedose abzulegen und sich langsam zu entfernen.“ Wer denkt sich solche bescheuerten Ratschläge aus? Erstens bin ich viel größer und stärker als dieses Proleteninsekt, zweitens ist die Wurst mein Eigentum, für das ich bezahlt habe.

Schlepper, Schleuser, Fluchthelfer – das sind so negative Begriffe. Warum nennen wir diese Leute nicht einfach Reiseleiter?

Endlich, nach dreißig Jahren Diskussion, hat man in Berlin einen Straßennamen geändert. Das Tempo der hiesigen Bürokratie ist haarsträubend. „Möhrenstraße“ hätte ich besser gefunden, Möhren sind politisch neutral, gesund und man hätte nur zwei Pünktchen anfügen müssen. Next Stop: Die Mohrenstraßen in Bonn, Fürth, Köln, Wuppertal usw. warten ebenfalls auf einen neuen Namen.

Ich finde es langweilig, wenn ein Politiker eine Rede hält und ein Mensch es in die Sprache der Taubstummen übersetzt. Warum nicht ein Pantomime, der neben Trump steht und abwechselnd lautlos lacht, weint oder verzweifelt aussieht?

Rutz. Drei Sterne. Das Problem ist nicht der Preis. Das Menü plus Weinbegleitung kostet 500 Euro. Zu zweit also einen glatten Tausender. Das Problem ist der Kellner, der jeden Gang minutenlang erklärt. Das Essen wird kalt und das Gespräch der Gäste wird ständig unterbrochen. Alter! Ich will nicht wissen, wer den Fenchel kurz vor der Ernte massiert hat. Ich will auch nicht wissen, ob sich die Tochter des Kochs nach ihrer dreimonatigen Therapie an ihrer neugewonnenen Laktosetoleranz erfreuen kann. Stell das Essen auf den Tisch und halt einfach die Schnauze. Außerdem möchte ich mit meinem AC/DC-Shirt und meiner tätowierten Träne unter dem Auge (es war ein Kellner …) nicht deplatziert wirken.  

+++breaking news+++ Labubu-Hersteller spricht von „Umsatzporno“.

Hagen Kreutz hatte es als Landtagsabgeordneter der Linken nicht leicht.

Du wachst nachts um drei Uhr auf und bist unmittelbar im Theater deiner Erinnerungen. Ungesteuert, ungefiltert. Alte Gesichter tauchen auf. Nur Licht kann das Schauspiel beenden.

Sonntag, 24. August 2025

Die große Gereiztheit

 

„Was lag in der Luft? Zanksucht. Kriselnde Gereiztheit. Namenlose Ungeduld. Eine allgemeine Neigung zu giftigem Wortwechsel, zum Wutausbruch, ja zum Handgemenge“.

Im vorletzten Unterkapitel des letzten Kapitels in Thomas Manns „Zauberberg“, das den Titel „Die große Gereiztheit“ trägt, wird eine Stimmung beschrieben, die mich an die Gegenwart erinnert. Kurz darauf verschwindet Castorp, der Hauptdarsteller, den Mann über tausend Seiten so minutiös in Szene setzt, im Fleischwolf des Weltkriegs, im letzten Unterkapitel bewusst vage beschrieben, da er doch, wie alle Bürger, nur Verfügungsmasse der Tyrannen ist.

Mann beschreibt es in seinem Roman als „Infektion“ und ich denke aus der gegenwärtigen Perspektive natürlich an den Corona-Virus, der zunächst Angst und dann – neben seiner tödlichen Wirkung auf Millionen Menschen weltweit – Misstrauen und gesellschaftliche Spaltung verursacht hat. In die entstandene Lücke stießen rechtsradikale Populisten vor und verbreiteten ihr Gift. „Ihr gehört nicht zusammen“, flüsterten sie uns ein. Nicht in der EU, nicht in Deutschland. Menschen verschiedener Herkunft haben nichts miteinander zu tun.

Und wenn wir wieder über Krieg sprechen müssen, denke ich an die imperialistischen Feldzüge der USA und ihrer Verbündeten in Afghanistan und im Irak, die nichts mit den Terroranschlägen der Al-Qaida 2001 zu tun hatten. Ich denke an den Truppenabzug in Kabul, der jeden von uns an Saigon erinnert hat. Wenige Monate später folgte Putins imperialistischer Feldzug in der Ukraine, der bis heute nicht beendet ist. Das Gift wirkt weiter, die USA werden gerade zu einer Autokratie, die das Militär gegen die eigene Bevölkerung einsetzt und Wirtschaft, Justiz und Medien unter ihre Kontrolle bringt.  

Die Gemäßigten, die Klugen, die Ratlosen, die Zweifler stehen stumm und mutlos neben brüllenden Idioten. „Es kann nicht mehr so weiter gehen.“ „Jetzt ist Schluss.“ „Wir haben lange genug gewartet.“ Wer stellt sich dieser Aggression entgegen? Politiker? Sie sehen mit dem Blick des erfahrenen Raubtiers nur die Bewegung, nicht die Bewegungslosen. Sie machen sich die Energie zu Nutze, sie leiten sie auf die Mühlen ihrer persönlichen Ziele. Die schweigende Mehrheit ist politisch in der Minderheit. Also wird aufgerüstet, ausgegrenzt und abgeschoben. Grenzkontrollen, Zollschranken, Nationalismus.

Zu allen Zeiten mündete der Zorn in Gewalt. Noch ist das Ausmaß offen. Am Ende des Unterkapitels treffen sich Settembrini und Naphta, die sich jahrelang leidenschaftlich mit Worten duelliert hatten, zu einem mörderischen Zweikampf. Der Humanist Settembrini schießt in die Luft, sein wütender Widersacher protestiert und schießt sich in den Kopf.

 

Samstag, 23. August 2025

Bonetti zieht die Samthandschuhe aus

 

Blogstuff 1179

„Friede ist nicht Abwesenheit von Krieg. Friede ist eine Tugend, eine Geisteshaltung, eine Neigung zu Güte, Vertrauen und Gerechtigkeit.“ (Baruch de Spinoza)

Wer Berlin kennt, kennt Ullrich am Zoo. Wo sollte man sonntags auch sonst einkaufen gehen? An meiner Kasse sitzt ein Maximal-Transvestit. Platinblonde lange Haare, leicht, aber wirklich nur ganz leicht übertriebenes Make-up, operierte Barbie-Nase, XXL-Lippen, braungebrannte Implantatbrüste, viele goldene Armringe, endlose Fingernägel in schillernden Farben und diese sexy Amanda-Lear-Stimme. Aber jetzt kommt das Beste. Bei Ullrich gibt es Plastiktüten. Sie ist wieder da. Nimm dies, Habeck!   

Hitler hat keine großen Spuren in der Weltgeschichte hinterlassen, aber immerhin hat man einen Bart nach ihm benannt.

Ich vermisse den feministischen Diskurs. In den vergangenen Jahren hatten wir so eminent wichtige Themen wie den reduzierten Mehrwertsteuersatz für Hygieneprodukte oder kostenlose Tampons in Kinos und Restaurants. Wann befreien wir endlich die deutsche Mittelschichtfrau von der entwürdigenden Frage an ihre Schwestern, ob sie ihr mit einem Tampon aushelfen können? Wer interessiert sich schon für bedeutungslose Themen wie die Unterdrückung im Islam oder die Verstümmelung in Afrika? Sprechen wir über die Leiden einer Arztgattin oder einer Opernbesucherin.

Beim Pilze-Sammeln ist noch niemand gestorben, beim Pilze-Essen schon.

Ich schreibe „Hilter“ statt „Hitler“ und Word bietet mir als Korrektur ernsthaft „Halter“ an? Echt, jetzt?

Wer wissen will, wie spät es ist, kann immer noch die Zeitansage in Wichtelbach anrufen. Einer muss da, einer muss Auskunft geben.

Natürlich gibt es das Paradies. Aber du musst es dir auch leisten können.

Es gibt ja verschiedene Methoden, anderen Menschen sein Desinteresse zu demonstrieren. Mein Klassiker: Während der andere spricht, lehne ich mich zurück und mache Schnarchgeräusche. Eine andere Methode kenne ich aus der Schulzeit. Wenn jemand mit seiner langweiligen Geschichte fertig ist, fragt man: „Wo wohnt der?“ Antwort: „Wer?“ – „Na, der Typ.“ – „Welcher Typ?“ – „Der Typ, den das interessiert.“

Merz ist wie Trump. Ein politischer Amateur, der Fehler am Fließband produziert. Er war fast ein Vierteljahrhundert raus aus der Politik und man merkt es ihm jeden Tag an. Stellen Sie sich einen Chirurgen vor, der nach so langer Zeit wieder im OP arbeitet. Natürlich stirbt der Patient.

Diesen Mainzer Künstler kannte ich früher mal persönlich. Alle seine Lieder wurden Hits. Er hat als Reporter epochale Größen wie die Flippers und Tony Marshall persönlich getroffen. Jett Alinia - Shalalalala Mallorca

Freitag, 22. August 2025

Tropische Nächte


Ich weiß gar nicht mehr, wie wir darauf kamen. Ich saß mit zwei Nachbarinnen auf meinem Balkon, weil wir es alle nicht mehr in unseren möblierten Glutöfen aushielten. Es gab eiskalten Weißwein, Wassermelonenscheiben und Erdbeeren. Wir hatten Spaß, machten alberne Witze und um Mitternacht waren wir betrunken.

„Kann ich dich mal was fragen?“ Beate klang plötzlich ernst.

„Klar, nur zu“, ermunterte ich sie. Die Farbe ihrer ungeschminkten Lippen erinnerte mich an Regenwürmer.

„Bist du eigentlich schwul?“

„Nein, aber ich interessiere mich nicht für Frauen. Genauso wenig wie für Männer. Kennst du das A im LGBT-Kürzel? Das bin ich. Über uns spricht keiner.“

„Und wenn dich eine Frau verführen würde“, sagte Kerstin. „Würdest du dann nicht schwach werden?“

„Nein. Großes Indigenen-Ehrenwort. Wir drei könnten die Nacht in einem Bett verbringen und es würde nichts passieren. Außer zwischen euch vielleicht.“

Sie lachten.

Ich sagte in verschwörerischem Tonfall: „Stellt euch vor, die Nacht bricht über St. Tropez herein. Wir drei liegen in unserem Hotelbett und lauschen der Brandung.“

Die Idee gefiel uns. Aus St. Tropez wurde Cottbus.

Sicherheitshalber – und um kein Aufsehen beim Hotelpersonal zu erregen – nahmen wir ein Doppelzimmer für die Damen und direkt nebenan ein Einzelzimmer für mich. In der ersten Nacht schliefen wir zu dritt im Doppelzimmer, ich in der Mitte. Den Aussagen meiner Reisegefährtinnen zufolge habe ich fürchterlich geschnarcht, so dass sie die ganze Nacht nicht schlafen konnten. Am nächsten Tag waren sie total gerädert.

In der zweiten Nacht schliefen sie in ihrem Zimmer und ich in meinem. Aus irgendwelchen fraueninternen Gründen zerstritten sie sich aber und sprachen kein Wort mehr miteinander.

In der dritten Nacht schlief Beate im Einzelzimmer und ich mit Kerstin im Doppelbett. Irgendwann fand ich mich in der Löffelchenfalle wieder. Es fühlte sich eher wie Esslöffel an oder wie Suppenkelle.

In der vierten Nacht schlief ich mit Beate im Doppelbett. Besser gesagt, ich wollte schlafen. Stattdessen musste ich mir das vor Selbstmitleid triefende Geflenne über ihre gescheiterte Beziehung mit Holgi anhören.

Am nächsten Morgen reisten wir ab.

Immerhin grüßen wir uns noch, wenn wir uns im Hausflur sehen.