Der
weltberühmte Schriftsteller, mehrfache Nobelpreisträger und gefeierte Medienmogul
stand am Fenster der Präsidentensuite und schaute auf die Menschenmenge vor dem
Adlon hinab. Auf sein Zeichen öffnete der Kammerdiener das Fenster und Bonetti
zeigte sich seinen Fans. Sofort brandete Jubel auf, Sprechchöre hoben an und er
sah das unvermeidliche Schild „Andy, ich will ein Kind von dir“.
Am
Abend sollte die Uraufführung seines ersten Spielfilms stattfinden, mit ihm in
der Hauptrolle, als Regisseur und Produzent. „Ich bin das Licht der Welt“ war
als Titel geplant gewesen, die Marketing-Abteilung des Filmverleihs hatte ihn
auf „Lichter der Großstadt“ runtergehandelt. Warum nicht gleich „Teelichter der
Kleinstadt“? Aber eigentlich war es ihm egal. Der Ruhm langweilte ihn maßlos.
Das
bin ich nicht, dachte er. Ich spiele nur eine Rolle. Ich sitze in der Falle,
ich kann mich nicht mehr frei bewegen. Ich muss mich neu erfinden, ich brauche
ein anderes Leben. So kann es nicht mehr weitergehen.
Er
ließ das Fenster schließen und bat die gesamte Dienerschaft, die Suite zu
verlassen. Er legte seinen Diamantring und die massive Goldkette mit den vier
Buchstaben G-O-T-T ab und setzte sich in einen Sessel. Wie hatte alles
angefangen? Er dachte an seine Kindheit zurück.
Obwohl
sein Vater als einfacher kleiner Immobilienmakler zwölf Stunden täglich schuftete
und seine Mutter sich vergeblich im Vorstand einer Vermögensverwaltung
abrackerte, gelang es der Familie nicht, der furchtbaren Not und dem namenlosen
Elend des Villenviertels zu entfliehen. Das Verhältnis zu seinen Eltern war von
einer geradezu freidemokratischen Kälte geprägt. Er geriet auf die schiefe
Bahn, als er mehrfach beim Diebstahl von Parfum und Einstecktüchern erwischt
wurde. Er kam in ein Erziehungsheim, aus dem er floh, indem er sich in einem
Güterwaggon versteckte. In Monte Carlo wurde er von der Polizei aufgegriffen
und landete im berüchtigten Jugendgefängnis auf der Teufelsinsel in
Französisch-Guyana.
Dort
ritzte er sein erstes Gedicht in die Wand:
Ich trank in schnellen Zügen
Das Bier und auch den Wein
Im Hauptbahnhof von Rügen
Da schlief ich endlich ein
Jahrzehnte
des Erfolgs und ein märchenhafter Aufstieg zum Literaturpapst hatten ihm die rebellische
Seele und seinen unbändigen Lebenswillen geraubt. Jeder Kleinstadtcowboy mit einem
tiefergelegten Subaru führte ein aufregenderes Leben als er. Das würde sich in
Zukunft ändern und er fasste einen verwegenen Plan.
Zwei
Wochen später. Bonetti saß, nur mit einem Lendentuch und einem Turban bekleidet,
an einer Straßenecke in Kalkutta. „Haste mal ‘ne Rupie“, bettelte er die
Passanten an. Das Schreiben hatte er aufgegeben und eine Ausbildung als
Schlangenbeschwörer begonnen. Er war abgemagert und das Wasser des Ganges
schmeckte wie die syphilitische Diarrhöe aus der Vorwoche. Der Schmutz, die
Mücken, die Hitze – kurzentschlossen zog er sein Handy aus dem Turban und rief
seinen Chauffeur an, der ihn wenige Minuten später abholte. Das Schaumbad und
das anschließende Abendessen im Biryani Savoy waren ein Hochgenuss.
Als er
später auf Dinner-Partys auf diese Zeit angesprochen wurde, sagte er nur: „Du kannst
dir nicht vorstellen, was ich durchgemacht habe. Du bist nicht dabei gewesen.
Das war mein Vietnam, Dieter.“