Samstag, 8. November 2025

Ein Fall für Ohio Klotzinger


Blogstuff 1226

„Solange es läuft, lässt man es laufen.“ (Bonetti zu seiner überraschenden Berufung in den WM-Kader)

Ich bin so deutsch, ich frage AfD-Mitglieder, wo sie ursprünglich herkommen.

Am Ende bewohnen wir eine winzige Immobilie mit Holzwänden.

Wenn ich noch mal auf Reisen gehe, dann nicht mit Ryanair nach Ibiza, sondern mit einem Tornado nach Oz.

Habe gerade bei Lieferando den ersten Burger mit schwarzen Johannisbeeren und Walnüssen gefunden. Leute, wo soll das noch hinführen?

Schon vor Jahren habe ich mir den Spaß erlaubt, von einer Pizza mit Weißwurstscheiben zu phantasieren. Jetzt gibt es die Pizza Oktoberfest, exakt so, aber zusätzlich mit Sauerkraut und Creme-Fraiche – und natürlich ohne süßen Senf. Söder, übernehmen Sie!

Auch merkwürdig: die Pizza Knusperente mit Rotkohl und Bratensoße. Wie alt sind die Enten, wo wir seit Wochen Vogelgrippe haben?

Nimm das, Kirche: Zehn Gebote der sozialistischen Moral und Ethik – Wikipedia

Aus Bonettis Rede auf dem jährlichen Blogger-Kongress: „Ich bin ein Blogger. Hat nicht ein Blogger Augen? Hat nicht ein Blogger Hände, Gliedmaßen, Werkzeuge, Sinne, Neigungen, Leidenschaften? Mit derselben Speise genährt, mit denselben Waffen verletzt, denselben Krankheiten unterworfen, mit denselben Mitteln geheilt, gewärmt und gekältet von eben dem Winter und Sommer als ein Influencer? Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen?“

Das crazy. Ich bestelle seit zwanzig Jahren bei Amazon. Am Donnerstag sollten zwei Bücher à 500 Seiten kommen (Mick-Herron-Krimis). Meine Nachbarin sieht den Amazon-Fahrer, wie er etwas in meinen Briefkasten steckt, und erzählt es mir, als ich an der Tür auf den Typen warte. Ich erzähle ihr, ich würde zwei Bücher bekommen. Sie: „Der Umschlag sah so dünn aus.“ Ich gehe runter und was habe ich bekommen? Einen leeren Umschlag und die Meldung auf meiner Amazon-Seite „Zustellung erfolgt“. Mit einem Foto von meinem Briefkasten. Ich bin mal gespannt, wie das mit meiner Reklamation ausgeht.

Stellen Sie sich vor, der Abfall, den Sie jeden Tag produzieren, würde in Ihrer Wohnung bleiben. Wann wäre die ganze Bude komplett zugemüllt? Nach einem Jahr? Nach zwei Jahren? 2023 gab es 433 kg Haushaltsabfälle pro Kopf, 2022 waren es 606 kg.

Ein Leben im Elfenbein-Apartment. Irgendwo zwischen vergangener Midlife-Crisis und zukünftiger Demenz.


Bonetti Airlines – Unser Service ist unübertroffen.

Freitag, 7. November 2025

Bonetti macht Kohle aus Diamanten

 

Blogstuff 1225

Sonntagmorgen, ich sitze am Schreibtisch. Das Fenster ist offen, um frische Luft reinzulassen. Aber drei Stockwerke unter mir sitzt der elende Kiffer schon wieder auf seinem Balkon und bald riecht es in meiner Bude wie vor zwanzig Jahren.

„Was ist denn hier los?“ fragte Gott, als er mal wieder im Sonnensystem war.

Die „Gesellschaft“ ist eine amorphe Masse ohne eigenen Willen und ohne eigene Kraft, die durch den Wellengang der Zeit und in seltenen Fällen durch die Politik bewegt wird. Sie ist keine verlässliche Größe und scheint auch kein Gedächtnis zu haben. Ein gleichgültiger Zellhaufen ohne Einfluss auf das eigene Schicksal. Schließlich haben auch Quallen kein Gehirn. Werden sie an den Strand gespült, kann man zusehen, wie sie langsam verdunsten. Es bleibt nichts übrig.

Parkbank-Content. Seit Tagen liegt eine Kindersteppjacke neben einem Mülleimer. Dann kommt eine junge Frau, hebt sie auf, sieht sie sich prüfend an und nimmt sie mit. Armut = Recycling.

Wegen Personalmangels bei der BSR werden jetzt Mitarbeiter der Berliner Senatsverwaltungen beim Reinigen der Stadt von Herbstlaub eingesetzt. Leider heften die Beamten die Blätter in Aktenordnern ab.

Das Parteiensystem, dass sich nach dem Krieg in den vier größten europäischen Ländern gebildet hat, löst sich gerade auf (Deutschland, Großbritannien) oder hat sich bereits aufgelöst (Italien, Frankreich).

Die Chinesen stecken hinter dem Klimawandel. Denn in China scheint es keinen Klimawandel zu geben. Alle Katastrophen finden in Europa statt. Oder waren es die Russen?

Merz hat im ersten halben Jahr seiner Kanzlerschaft mehr Schulden gemacht als Kohl für die komplette Deutsche Einheit. Damals hat man wenigstens an Straßen, Brücken und Gebäuden gesehen, was mit dem Geld gemacht wurde. 2024 wurden z.B. etwa 450 Milliarden Euro für Renten und Pensionen ausgegeben, die nur zu zwei Dritteln durch die Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gedeckt waren. Da versickert das Geld in der heutigen Zeit.

Hat schon mal jemand einen Jugendlichen gesehen, der mit seinem Handy telefoniert? Wieso sprechen diese Menschen so wenig? Verantwortlich für die Vereinsamung der Jugend sind angeblich die Schulschließungen vor fünf Jahren. Vom 13. März bis Mitte Mai 2020, je nach Bundesland. Treffen konnten sich die Kids privat natürlich immer noch. Aber Corona ist eine bequeme Ausrede für ein viel tiefer gehendes gesellschaftliches Problem. Fünf Jahre sind für junge Menschen eine Ewigkeit. Freundschaften sind entweder fortgesetzt worden oder neue sind entstanden. Möglicherweise richten TikTok und Influencer einen wesentlich größeren Schaden an, aber darüber spricht niemand.  

Donnerstag, 6. November 2025

Zehn kleine Stadtbildstörer

 

Zehn kleine Stadtbildstörer standen mal am Rhein

Einer fiel hinein und da waren‘s nur noch neun

Neun kleine Stadtbildstörer haben nur gelacht

Einer hat sich totgelacht, da waren’s nur noch acht

Acht kleine Stadtbildstörer haben’s übertrieben

Einer mit gestrecktem Crack, da waren‘s nur noch sieben

Sieben kleine Stadtbildstörer folgten blind ihrem Reflex

Und tranken selbstgebrannten Schnaps, da waren’s nur noch sechs

Sechs kleine Stadtbildstörer gingen ohne Schuh und Strümpf

Einen schlug ein Nazi tot, da waren’s nur noch fünf

Fünf kleine Stadtbildstörer wollten nur ein Bier

Der Wirt holte den Knüppel raus, da waren’s nur noch vier

Vier kleine Stadtbildstörer gingen am AfD-Büro vorbei

Es kamen ein paar Männer raus, da waren’s nur noch drei

Drei kleine Stadtbildstörer fühlten sich nicht frei

Es kam die Polizei vorbei, da waren es nur zwei

Zwei kleine Stadtbildstörer wollte wirklich keiner

Einer hat den Strick genommen, da war es nur noch einer

Ein kleiner Stadtbildstörer fühlte sich allein

So lief er einfach schnell zurück ins Asylantenheim

 

Mittwoch, 5. November 2025

Die Lesung

 

Eigentlich ist es immer das Gleiche, nur der Ort ändert sich. Diesmal ist es also Marburg und das „Anti-Quariat“. Bereits beim Betreten der mit staubiger Luft gefüllten Geschäftsräume sinkt mein Mut und ich weiß, dass mich heute wieder eine Demütigung erwartet. Eine Demütigung, die sich aus verschiedenen Quellen speist: Die unheimliche Stille, die fehlende Distanz zum Publikum, die Trostlosigkeit der Kulisse, die existenzielle Verlorenheit der Gastgeberin.

Die Kulisse: Altersdunkle Holzregale mit endlosen Reihen von Buchrücken, gefühlte zehntausend Bücher, die weder einer alphabetischen noch einer thematischen Ordnung folgend nebeneinander stehen, ein Resopaltisch mit dünnen Beinen, auf dem ein Stapel mit Exemplaren meines neuesten Romans „Liquid Memories“ liegt, und ein paar trostlose Topfpflanzen. Dazu knapp zwanzig Stühle verschiedenster Herkunft, die offenbar eigens für diesen Anlass herbei geschafft wurden. Für mich steht ein gepolsterter Stuhl bereit, ein zweiter Resopaltisch und ein Drittelliter Mineralwasser in einer bereits geöffneten Flasche nebst Glas.

Das Publikum: In der ersten Reihe sitzen nur die Gastgeberin Gisela Schmirgelberger-Jungmanova und ihre Zwillingsschwester Rosalinde. Dahinter drei junge Frauen mit kurzen, himbeerrot gefärbten Haaren und versteinerten Mienen, offenbar Studentinnen der Geisteswissenschaften. Dazu ein halbes Dutzend der unvermeidlichen Deutschlehrer, die mit chirurgischer Präzision jeden Satz in seine Einzelteile zerlegen und jede Bedeutung in ihr Gegenteil verkehren können. Schlimmstenfalls schreiben sie gerade selbst an einem Roman oder einem Lyrik-Bändchen. Ganz hinten einige Studenten und Zufallsbesucher, die angestrengt das Display ihres Smartphones bearbeiten. Insgesamt etwa Dutzend Leute.

Der Vortrag: Nach einigen dürren Worten der Einführung von Frau Schmirgelberger-Jungmanova beginne ich mit einem humoristischen Text über meine Verhaftung wegen öffentlicher Trunkenheit in Texas 1993, meiner Nacht im Gefängnis und der anschließenden Gerichtsverhandlung. Eisiges Schweigen. Es folgen einige Gedichte im schwungvollen Reimschema meiner rheinhessischen Heimat. In der letzten Reihe steht ein Mann auf und verlässt das Antiquariat. Jetzt komme ich zum ersten Höhepunkt meiner Lesung: Eine Satire auf die feministischen Bemühungen, die deutsche Sprache zu verändern. Die drei Studentinnen stehen gleichzeitig auf und verlassen geschlossen den Raum. Als ich meinen berühmten Text über Hamstergolf zu Gehör bringe, schüttelt ein bärtiger junger Mann mit Hornbrille aus der dritten Reihe den Kopf und geht ebenfalls – vielleicht ein Tierschützer oder Veganer. Ich mache mit einem unveröffentlichten Kapitel aus „Liquid Heaven“ weiter. Als ich einen Schluck Wasser trinke, nutzt eine Studienrätin, die ich auf Anfang Sechzig schätze, die kurze Pause, um mich zu fragen, ob die Protagonistin Rosine Fischel eine Jüdin wäre und ob die Szene in einem Kellerversteck auf das Leben von Anne Frank anspielen würde. Wut und Verachtung blitzen aus ihren Augen. Jetzt würde ich selbst gerne gehen – aber die Demütigung endet erst, nachdem man mit der Veranstalterin, ihrer verbissen schweigenden Schwester und zwei interessierten Zuhörern, die allerdings kein Buch von mir kaufen, noch ein Glas Wein in einem „Bistro“ getrunken hat.

Dienstag, 4. November 2025

KdU – Koalition der Unfähigen


Blogstuff 1224

„Alle Erkenntnis ist alt und langweilig.“ (Thomas Mann: Tonio Kröger)

Ein halbes Jahr nach der Wahl von Friedrich Merz zum Kanzler kann man eine erste Bilanz ziehen: Die Wirtschaft brummt, die Steuereinnahmen sprudeln, die schwarze Null im Staatshaushalt steht so felsenfest, als hätte der Finanzminister Viagra eingepfiffen. Chinesische Unternehmer kommen reihenweise nach Deutschland, um zu lernen, wie man erfolgreich Produkte entwickelt und vermarktet. Job-Center werden geschlossen, weil es nicht mehr genug Arbeitslose gibt. Ganz Europa zittert vor der Bundeswehr und es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann Pistorius seine Höllenmaschine Richtung Moskau in Marsch setzt. Wetten, dass wir dieses Jahr wieder weiße Weihnachten bekommen?  

Jetzt mal im Ernst: Bei Merz weiß ich nie, ob er jenes Glück hat, das den Dümmsten manchmal zufällt, oder ob er ein genialer Stratege ist. Aber ihm ist mit der Stadtbild-Debatte das Ablenkungsmanöver des Jahres gelungen. Alle schauen auf das brennende Haus Deutschland (Rezession, Klima, Arbeitslosigkeit, Rekordverschuldung, AfD stärkste Partei usw.), aber der Kanzler ruft: „Guck mal da, ein rotes Fahrrad“ – und allen drehen die Köpfe. Ich habe lange Jahre in einem Stadtforschungsinstitut gearbeitet. Das Thema Stadtbild wurde nicht einmal erwähnt, kein Stadtforscher hat sich mit diesem amorphen Begriff jemals im Rahmen einer Tagung oder eines Forschungsprojekts befasst. Über den „Herbst der Reformen“ spricht niemand mehr und es scheint auch egal zu sein, ob etwas gegen die Probleme des Landes getan wird. Gebt dem Urnenpöbel einen Lutscher und er ist beschäftigt, bis die Weihnachtsmärkte öffnen. Von dieser Regierung sind keine Reformen zu erwarten.    

Nach dem Verbot der Plastikstrohhalme hatten wir einen verregneten Sommer und einen goldfreien Oktober. Klimaschutz funktioniert!

Life-Hack vom Profi: Kaffee nach Mitternacht führt zu Schlafstörungen.

Ich finde es lustig, dass fünf Jahre nach Corona immer noch irgendwelche kleinkarierten Korinthenkacker die angebliche Freiheitsberaubung beklagen. Leute, wenn ihr euch damals an die Vorgaben der Regierung gehalten habt, seid ihr doch selbst schuld. Wir saßen, fünf Jungs aus fünf verschiedenen Haushalten, weiter zusammen bei Fußballübertragungen oder DVD-Abenden vor der Glotze, natürlich ohne 1,5 Meter Abstand (so groß ist ja kein Wohnzimmer). Ich habe nie gehört, dass die Polizei solche Sachen kontrolliert hat. Wie auch? Hier leben über 80 Millionen Leute und man braucht ja auch noch einen Durchsuchungsbeschluss. Wir haben unser Leben einfach weitergelebt. Einmal in der Woche hatte ich beim Einkaufen die bescheuerte Maske auf und das wars. Es gab nur ein einziges ärgerliches Ereignis in dieser Zeit. Ich saß mit einer Freundin im ICE, ohne Maske. Nach einer Stunde kommt ein Schaffner, nicht zur Fahrkartenkontrolle, sondern nur zu uns. Maske oder Aussteigen. Eine Gestapo-Ratte unter den Fahrgästen hatte uns offenbar denunziert. Wer heutzutage fehlende Freiheiten beklagt, sollte nach Amerika, Russland oder China schauen.


Montag, 3. November 2025

Die Wahrheit

 

Thomas Bernhard wurde von seinem Verleger förmlich um seine Manuskripte angebettelt. Zu Elias Canetti kam der Cheflektor persönlich nach Hause, um den handschriftlichen Text abzuholen. Dann wurde er im Verlag abgetippt und per Chauffeur zurück zum Autor expediert. Truman Capote gelang es sogar, seinem Verleger umfangreiche Vorschüsse abzuluchsen – für ein Manuskript, das es nie gegeben hat, wie man nach seinem Tod feststellte. Im wahren Leben ist alles anders. Die stählerne Beharrlichkeit des Banalen umfängt den Schriftsteller schon, wenn er nur das Haus verlässt.

Da steht er nun mit seiner Kunstledermappe an der Bushaltestelle. Es ist sieben Uhr morgens und seine Nase läuft. Als er den Bus besteigt, taucht er in eine Hölle aus lärmenden Schülern ein. Als er wenig später in der Kreisstadt aussteigt, hat er bereits starke Kopfschmerzen. Aber er muss den Verlag erreichen. Er ist pleite und braucht dringend einen Vorschuss. Also kauft er sich von seinem letzten Geld eine Fahrkarte und steigt in den Zug, der ihn in die große Stadt bringt. Als er die Bahnhofshalle der großen Stadt betritt, bekommt er es mit der Angst zu tun. So viele Menschen hat er schon lange nicht mehr auf einem Haufen gesehen. Schnell weiter! Als er auf den Vorplatz tritt, um sich auf den langen Fußmarsch zum Verlagsgebäude zu begeben, setzt unmittelbar ein schwerer Regen ein. Völlig durchnässt und nach vielen Irrwegen erreicht er schließlich den Verlag. Es dämmert schon.

Er klopft an die Tür. Nichts. Er klopft noch einmal. Wieder nichts. Er klopft lauter. Endlich hört er das Geräusch schlurfender Schritte. Die Tür wird geöffnet. Die Sekretärin des Verlegers steht vor ihm.

„Was wollen Sie?“ fragt sie und sieht ihn spöttisch an. Sie beginnt zu kichern.

„Ich bin hier wegen des Manuskripts, das ich Ihnen vor sechs Monaten geschickt habe.“

„Manu-, Manu-, Manuschibt?“ lallt sie verständnislos und kichert wieder.

„Erkennen Sie mich denn nicht, Frau Maiselova? Ich bin Andy Bonetti. Einer Ihrer Autoren.“

Sie muss sich im Türrahmen abstützen, um nachzudenken. „Brunetti … Buletti … Haben wir wasch ssu essen bestellt? Ha-haben Sie die Pizza etwa in Ihrer Mappe?“

„Liebe Frau Maiselova, ich muss unbedingt den Herrn Verleger sprechen. Es ist wichtig.“

„Den?“ Sie lacht laut und beginnt, gefährlich zu schwanken. Dann tritt sie zur Seite und bittet ihn mit einer übertriebenen Verbeugung hinein.

Im Vorzimmer stapeln sich die Manuskripte zu Bergen, auf dem Schreibtisch der Sekretärin stehen leere Weinflaschen und Gläser. Offensichtlich hat es eine Feier gegeben.

Frau Maiselova deutet auf eine Tür und schiebt ihn dann mit beiden Armen auf sie zu. „Gehen Sie ruhig rein“, ermuntert sie ihn.

Er öffnet die Tür und sieht den Verleger, der den Kopf auf die Tischplatte gelegt hat und laut schnarcht. Er macht ein paar Schritte auf ihn zu und ruft: „Guten Tag, Herr Bloch!“

Keine Reaktion. „Herr Bloch?!“ Er stellt sich neben ihn und schüttelt ihn sanft. Nur ein kurzes Grunzen, dann ein zufriedenes Schnaufen. Er packt ihn bei den Schultern und setzt ihn aufrecht hin. „Herr Bloch! Es ist wichtig! Es geht um mein Manuskript. Haben Sie ‚Liquid Heaven‘ gelesen?“

Er stöhnt. Er krächzt. Dann schüttelt er den Kopf und öffnet die verquollenen Augen zu winzigen Schlitzen. „Wer? Was?“ sagt er mit schwerer Zunge, dann fällt sein Kopf zurück auf den Tisch. Mit seinen Armen reißt er ein paar Schnapsflaschen um.

Es ist nichts zu machen. Er schnarcht wie ein Bär im Winterschlaf.

Bonetti setzt sich also in einen Besuchersessel und wartet. ‚Ich werde einfach solange warten, bis er wieder aufwacht und mir zuhören kann. Ich brauche das Geld. Ich habe noch nicht einmal genügend Geld für die Heimfahrt. Es gibt keine andere Möglichkeit‘, denkt er. Draußen bricht die Nacht herein.

Als er aufwacht, ist es heller Morgen. Der Verleger ist wach und schaut ihn neugierig an.

Er reibt sich den Schlaf aus den Augen und beginnt: „Herr Bloch. Sie erinnern sich doch an mich, oder? Andy Bonetti. Ich habe Ihnen das Manuskript vor sechs Monaten geschickt. Mein neuer Roman.“

Der Verleger lacht vergnügt und klopft sich auf die fetten Schenkel. Dann steht er auf und torkelt zu einem Wandschrank. Er öffnet ihn und zieht wahllos zwei Manuskriptbündel heraus, die er wild über seinem Kopf schwenkt. Plötzlich wirft er sie hoch in die Luft und bricht in einen Lachkrampf aus. Tränen rollen über seine feisten Wangen, vor lauter Atemnot muss er sich setzen. Dann greift er zu einer Flasche Bourbon und schenkt sich ein Wasserglas voll, das er in einem Zug austrinkt. Nach einem kleinen Rülpser legt er den Kopf auf die Tischplatte und schläft ein.

 

Sonntag, 2. November 2025

Die heilige Madonna von Wismar

 

Es hätte sein Tag sein können. Eine spektakuläre Aktion. Der Tipp stammte von einem langjährigen Informanten und hatte ihn ein Pfund Kokain aus der Asservatenkammer gekostet. Er wollte es vor der versammelten Presse inszenieren. Danach wären sie im Polizeipräsidium gar nicht um seine Beförderung zum Kriminalrat herumgekommen. Der Innenminister hätte ihm persönlich die Hand geschüttelt, vielleicht wäre sogar ein Orden drin gewesen.

***

„Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich, dass Sie heute so zahlreich erschienen sind, und begrüße auch die Vertreter der regionalen und überregionalen Medien.“ Der Bürgermeister stand im milden Licht der Herbstsonne, seine Amtskette glänzte und er strahlte seine Zuhörer an. „Vor achtzig Jahren hat die Rote Armee unsere Madonna als Kriegsbeute mitgenommen und in einer Kirche in Kiew aufgestellt, das damals noch zur Sowjetunion gehörte. Als Zeichen der Verbundenheit mit den freiheitsliebenden Ukrainerinnen und Ukrainern, die so tapfer gegen die Schergen des russischen Diktators Putin kämpfen, erhalten wir heute die heilige Madonna von Wismar zurück.“

Applaus. Der Pastor zieht am Tuch und enthüllt die Statue. Sie ist etwa einen Meter groß und frisch restauriert. Der Bürgermeister stellt sich neben den Sockel, auf die man die Madonna gestellt hat. Fotoapparate klicken, Kameras surren und Dutzende Handys werden in die Höhe gehalten.

Das ist das Stichwort für Kommissar Buntschuh, der mit seinem Assistenten Krämer etwas abseits in einem Wagen gewartet hat. Sie stürmen auf die Menschenmenge und die Bühne zu. Der Kommissar ruft: „Hier spricht die Polizei. Alles auf den Boden. In der Madonna ist Plutonium.“ Er hat sich den Text lange überlegt. Das Plutonium würde für eine schmutzige Bombe reichen und er bewahrt in wenigen Sekunden Deutschland vor einer nuklearen Katastrophe.   

Bis auf die Kameramänner legen sich tatsächlich alle auf den Boden, einschließlich dem Bürgermeister und dem Pastor. Buntschuh reißt die Madonna zu Boden und sein Assistent trennt mit einer Kettensäge erst die Bodenplatte und dann den Kopf ab, der von der Bühne rollt. Dann öffnet er den Torso der Länge nach. Im Innern ist ein verchromter Behälter, den der Kommissar triumphierend in den Himmel reckt.

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Buntschuh wird sechs Monate suspendiert und findet sich anschließend als Knöllchenaugust beim Ordnungsamt wieder. Der Behälter erwies sich als Cocktail-Shaker, der mit Dinkelmehl gefüllt war. Bei seinen privaten Nachforschungen stößt er auf ein Labyrinth aus Lügen, Intrigen und Geheimnissen. Sein Informant war von seinem größten Konkurrenten, Kommissar Reitmeier, gekauft worden. Am Boden hatte die Statue eine Klappe, sodass ein geschmierter Zollbeamter den Shaker im Inneren platzieren konnte. Die ganze Nummer ging selbstverständlich viral und die gesamte Landespolizei hat sich bis auf die Knochen blamiert. Um den Ruhm ganz für sich allein zu haben, hatte Buntschuh natürlich keinen Vorgesetzten informiert und selbst seinen Assistenten bis zum letzten Augenblick im Unklaren gelassen.