Es muss etliche Jahre her sein,
dass Andy Bonetti in Bornheim gelesen hat. Auf Einladung des Bürgermeisters hat
er im Gemeindesaal einige Kapitel aus seiner erfolgreichen Pralinski-Biographie
vorgetragen, nun spaziert er frohen Mutes durch die Straßen. Er trägt seinen
schneeweißen Reiseanzug, eine karmesinrote Krawatte und einen Panamahut, der
sein gesalbtes Haupt gegen die Sonne schützt. Die Passanten grüßen ihn artig
und ältere Herren lüpfen sogar lächelnd ihre Hüte.
Bonetti betritt ein Kaffeehaus
und setzt sich an einen freien Tisch am Fenster. Sogleich fliegt eine Kellnerin
heran und fragt nach seinen Wünschen. Er bestellt eine große Tasse Milchkaffee
und fragt nach der Speisekarte. Während die Kellnerin davon eilt, um seinen
Wunsch zu erfüllen, tritt der Kaffeehausbesitzer an seinen Tisch und überreicht
ihm die Speisekarte. Er empfiehlt die belgischen Waffeln mit Vanilleeis.
Bonetti nickt zufrieden, möchte aber zu den Waffeln und dem Eis noch ein
Schälchen Erdbeeren. Der Besitzer lächelt erfreut und geht persönlich in die
Küche.
Während Bonetti auf den Kaffee
wartet, kommt ein kleines Mädchen mit Zöpfen an seinen Tisch und schaut ihn an.
„Na, Kleine, wer bist du denn?“
Sie sagt nichts und schaut ihn
weiter an.
Eine junge Frau kommt zögernd
näher.
„Das ist Susi“, sagt sie. „Sie
ist jetzt sieben Jahre alt.“
„Und?“
„Sie haben sie nach Ihrer
letzten Lesung gezeugt, Mister Bonetti. Ich bin so stolz auf das Kind.“
„Oh. Wirklich?“
Ein Mann mit einer grünen
Schürze kommt näher, während die Kellnerin den Kaffee serviert.
„Mister Bonetti“, sagt er, „ich
habe Ihren Rat befolgt. Das ist die Rosa foetida bonetti.“ Er hält ihm einen
Strauß gelber Rosen vor die Nase, die einen unangenehmen Geruch verströmen.
„Großartig“, sagt Bonetti und
riecht an seinem parfümierten Seidentuch, das er hastig aus der Brusttasche
gezogen hat.
Alle Gespräche im Kaffeehaus
sind längst verstummt, die Blicke der Gäste sind auf Andy Bonetti gerichtet.
Endlich kommen die belgischen
Waffeln mit Eis und Erdbeeren.
„Voilá, Mister Bonetti. Wir
haben uns erlaubt, ihre Kreation als ‚Surprise à la Bonetti‘ auf die
Speisekarte zu nehmen.“
Bonetti beginnt zu essen. Alle
schauen ihm gespannt zu. Vor dem großen Fenster des Kaffeehauses hat sich
inzwischen eine riesige Menschenmenge versammelt. Stumm zeigen sich die Leute
den großen Dichter gegenseitig mit dem Zeigefinger. Hunderte Smartphones werden
in die Höhe gehalten, um die Szene für die Ewigkeit festzuhalten. Die Polizei
versucht, den Stau aufzulösen, der sich durch die Gaffer vor dem Kaffeehaus
gebildet hat.
Aus dem Hintergrund hört Bonetti
ein Hämmern. Es ist ein Handwerker, der gerade ein Messingschild mit der
Aufschrift „Hier hat der Schriftsteller Andy Bonetti am 3. November 2025 gespeist“
an der Wand des Kaffeehauses befestigt.
Es ist nicht leicht, ein
berühmter Künstler zu sein. Die Menschen machen sich keine Vorstellung von
diesem Leben.
Nachtrag: Die Kellnerin des
Kaffeehauses war übrigens eine Studentin an der Universität der Künste in
Berlin und verdiente sich zu diesem Zeitpunkt in ihrer alten Heimat gerade ein
wenig Geld zur Fortsetzung ihres Studiums. Jahre später hielt sie die geschilderte
Szene in einem großflächigen Gemälde fest. „Bonetti in Bornheim“ hängt heute im
Pariser Louvre und gilt als eines der großen Meisterwerke der zeitgenössischen
Kunst. Es soll den berühmten amerikanischen Regisseur David Lynch zu seinem
Opus magnum „The Bonetti Mysteries“ inspiriert haben. In diesem Film hat Andy
Bonetti zwei Cameo-Auftritte: Wir sehen ihn zunächst auf einer Flugreise als
Sitznachbarn des Hauptdarstellers, in seiner Hand ein Glas Bourbon mit Eis
(nach 7 Minuten), später sehen wir seine markante Silhouette hinter der
Milchglasscheibe einer Tür mit der Aufschrift „Registratur für Geburten und
Sterbefälle“ (nach 144 Minuten).

