Mittwoch, 3. Dezember 2025

Die Geschäftsidee

 

Die Straßenlaternen gingen an und sofort versammelten sich unter ihre Motten und Fliegen, als wäre hier eine Disco. Ganz unten im Licht dieser kleinen Bühne stand ein junger Mann, der sich gerade eine Zigarette anzündete.

Die Hälfte der Geschäfte in der Fußgängerzone standen leer, dazwischen waren dystopische Betonkübel mit abgestorbenen Sträuchern. Aber er war in diese Stadt gekommen, weil er eine gute Idee hatte. Am nächsten Tag würde er seinen Geschäftspartner in einem Café in der Kantstraße treffen.

Zehn Minuten später hatte er das „Haus Europa“ erreicht. Es war eins dieser schäbigen Hotels, in denen du an der Rezeption gefragt wirst, ob du mit deiner Nutte eine oder zwei Stunden bleiben würdest. Er legte sich aufs Bett seines Einzelzimmers mit Blick auf den Hinterhof und packte seine Wurststulle aus.

Seine Geschäftsidee war genial. Das Geld für die Umsetzung hatte er sich in einer Nacht verdient. Mit einem gefälschten Ausweis bekam er einen Job als Mitarbeiter im Parkservice der Berlinale. Aber er fuhr die Autos nicht auf den Parkplatz, sondern auf einen Anhänger um die Ecke. Einen Ferrari, einen Bugatti und einen Maybach. Das war sein Startkapital.

Der Mann, den er am Vormittag traf, trug einen Anzug von der Stange, ein Hemd, das schon bessere Tage gesehen hatte, und eine bunte Krawatte aus den Achtzigern. Er war um die sechzig Jahre alt. Er hatte das zu verkaufen, was der junge Mann wollte: zwanzig leere Wohncontainer am Stadtrand. Er kaufte an diesem Tag die Container für 120.000 und mietete das Grundstück für zehn Jahre. Sie besiegelten das Geschäft per Handschlag, am nächsten Tag sollte der Vertrag unterschrieben werden.

Seine Geschäftsidee war einfach, aber genial. Er profitierte zugleich von Dobrindts Erfolgen bei seiner Flüchtlingspolitik und von der Wohnungsnot in Berlin. In den Containern hatten vorher hauptsächlich Syrer, Afghanen und Sudanesen gelebt. Er wollte nur deutsche Mieter mit gutem Leumund und festem Einkommen als Mieter nehmen, da gab es keinen Ärger, keine Demonstrationen oder Abschiebungen. 500 Euro Kaltmiete pro Container, das machte 10.000 Euro im Monat.

Im ersten Monat war noch alles ruhig, aber dann ging es los. In der Nacht nach dem DFB-Pokalspiel zwischen dem VfB Stuttgart und Dynamo Dresden gingen der Schwabe aus Nr. 3 und der Sachse aus Nr. 17 mit Messern und Knüppeln aufeinander los, die Polizei musste kommen.

Der Autoverkäufer aus Nr. 8 entpuppte sich als Fentanyl-Junkie, der alle anderen Mieter anbettelte. Der Alkoholiker aus Nr. 13 hat ihn irgendwann zusammengeschlagen. Der bayrische BWL-Student aus der Nr. 6 provozierte ständig das Berliner Lesbenpaar aus der Nr. 20.

Im Nachhinein wurde dem Vermieter auch klar, dass es keine gute Idee war, zwei Jungs von der Antifa, die an der Uni Gras verkauften, und ein AfD-Mitglied in benachbarte Container zu setzen. Wäre er doch in Paderborn geblieben.

 

Dienstag, 2. Dezember 2025

Entspannter Alpakaspaziergang mit Andy Bonetti

 

Blogstuff 1241

„Überwuchert mit Eiterbeulen / nötigt er die Schwangere / zum Fleischreiben / sein Pech / dass sein Schwanz platzt / ihr Pech / dass warmer Eiter ihren Unterleib / überflutet / und das Kind ersäuft.“ (Wolfram Weimer: Unglück)

Mainz 05 stand am 9. März 2025, nach dem 25 Spieltag, auf Platz 3 der Tabelle. Jetzt sind sie Letzter. Ich begreife immer noch nicht, was da passiert ist.

Ein ganz normaler Samstag mit Holgi: Nach dem Jazz-Brunch geht er auf den Bauernmarkt, kauft alten Gouda und Fünfkornbrot aus Guben, dann besucht er ein Antiquariat und einen türkischen Delikatessenladen, aus dem er schwarze Oliven und Baba Ganoush mitnimmt. Sei wie Holgi! Oder wenigstens wie Du-Darfst-Dörte.

Ich kann mich noch erinnern, als ich als Jugendlicher mal mit meinem Vater bei „Farben Werner“ in Ingelheim war. Da wir damals die ersten Graffiti an den Schulwänden hatten, wollte ich wissen, wieviel eine Dose Sprühfarbe kostete. Fast zehn Mark! In den Achtzigern etwa so viel wie ein Kasten Bier. Ich kannte drei der Sprayer persönlich: Der Erste war der Sohn einer Ärztin und eines Arztes, die zweite war die Tochter eines Professors und der dritte der Sohn eines ZDF-Redakteurs. Renitente Sprücheklopferei war damals das Metier des gehobenen Bürgertums, das Proletariat konnte sich die Produktionsmittel gar nicht leisten. Sie wurden übrigens bald darauf bei einer nächtlichen Polizeikontrolle erwischt, als sie die Farbdosen noch im Auto und Farbe an den Fingern hatten. Doof und reich. Es hat sich nicht viel geändert.

Man ist ja irgendwie auch sein eigener Dompteur. Auf meinem Schreibtisch gibt es immer Wein und Süßigkeiten. Stünden sie an meinem Bett, würde ich ja gar nicht mehr aufstehen.

Tage ohne Rechtschreibfehler: 127.

Als ich zwanzig Jahre alt war, habe ich mit der Schule aufgehört, mit dem Elternhaus und mit dem Fahrrad. Als ich vierzig war, habe ich mit dem Rauchen aufgehört, mit dem Sport, mit der Karriere und mit den Frauen. Nächstes Jahr werde ich sechzig. Mit was soll ich noch aufhören?

Wann wir die Formel 1 zum letzten Mal so spannend? Beim WM-Finale am Sonntag können noch drei Fahrer Weltmeister werden, alle haben in dieser Saison sieben Rennen gewonnen. So knapp war es zuletzt 2007 (Räikkönen, Hamilton, Alonso) und 2010 (Vettel, Alonso, Webber).

„Melanie, du machst mir jetzt einen Liter Cappuccino und servierst ihn mir in einem Blumenkasten, Paul, du räumst die leeren Weinflaschen in Gang 7 weg, die ich dort hinterlassen habe. Und übrigens: Ich bin gar nicht der neue Praktikant, sondern Andy Bonetti, der Geschäftsführer von diesem Laden. Willkommen bei ‚Undercover Boss‘.“ – „Ach, deswegen die vielen Kameras und Scheinwerfer.“

Montag, 1. Dezember 2025

Neid-Rider


Blogstuff 1240

„Ich habe das Glück, und es ist nicht mehr als Glück und Zufall gewesen, nur das, im Westen geboren, im Westen groß geworden zu sein.“ (King of Fettnäpfchen Friedrich Merz in Magdeburg)

Jetzt auch auf sächsisch: Da Düden.

Bonettis Gesicht spricht in Kalbsleder gebundene Prachtbände.

6 Scheiben Serrano-Schinken, 4 Scheiben Roastbeef, 2 Scheiben Leberkäse. 15,85 Euro! Metzger verdienen inzwischen mehr als Drogenhändler.

Die Ex auf Social Media fertigmachen? Zu meiner Zeit hat man ihre Telefonnummer an sämtliche Kneipenklowände der Umgebung geschrieben. Ruf! Mich! An!

Typisch asiatischer Name: Andrangmagangdrang Kim-Nguyen.

Ich war neulich bei einem Ultimate Challenge Boot Camp für Extremsportler. Auf der Homepage.

AfC (Alternative zu Christus): Am 23.12. erscheint der heilige Burrito. Aber nur denjenigen, die an ihn glauben. Nur echt mit Guacamole, Sour Cream und Salsa Roja.

Was macht eigentlich Heinz Pralinski? Er schmuggelt Kokain von Miami nach Kolumbien und hat gerade seine erste Million gemacht.

„Entschuldigung, könnten Sie uns bitte bevorzugt bedienen? Das ist ein Geschäftsessen.“

Du bist nur einmal jung. Das stimmt. Aber du bist auch nur einmal alt. Zum Glück.

Abenteuer heute: Bestellen Sie in einer Berliner Eckkneipe einen „Heurigen“.

Bonetti Media gibt bekannt: Die geliebte und verehrte Sonne des Volkes tritt nur noch in Las Vegas auf. Flankiert von weißen Tigern wird er auf der Bühne aus seinem neuen Werk „Leserbriefe eines untervögelten Studienrats“ vorlesen.

Jeder wird in seiner Jugend auf eine Musikrichtung geprägt wie Entenküken auf ihre Mutter. Da machst du nichts. Bei mir ist es Achtziger-Mucke und Neue Deutsche Welle bzw. New Wave, bei meiner Oma war es Peter Alexander.

Die Faschos 2.0 wie die AfD, die Rasselbande National, die Meloni-Spackos, Orban und Farage haben aus den Fehlern ihrer Vorgänger gelernt. Also fordern sie Massendeportation von rassenfremden Elementen und nicht Massenmord, sie verbieten ihren Opfern nicht die Benutzung von Bürgersteigen und Schwimmbädern wie die Nazis den Juden, sondern kürzen ihnen die Sozialleistungen. Das reicht offenbar schon, um sie wählbar zu machen.



Das ideale Weihnachtsgeschenk: der Ghetto Defender 3000. Jetzt für nur 39,90 € bei Bonetti Media.

 

Sonntag, 30. November 2025

Die Abrechnung

 

In der Rheinsteinstraße in Karlshorst gibt es einen winzigen Laden, in dem man auch heute noch Stalinkugeln aus sibirischem Marzipan, ummantelt von köstlichem Schokoladenersatz, tschetschenisch-tschechische Knallfrösche und usbekische Zigarren kaufen kann. Wenn drei Kunden gleichzeitig im Geschäft sind, ist es überfüllt. Hinter der Kasse hängt immer noch ein alter Prawda-Kalender von 1973 mit Olga, dem Playmate des Jahres. Davor kauert der „schöne Dimitri“, wie ihn die Nachbarn nennen. Ein Auge ist neben dem Nasenflügel, eines über der Augenbraue, sein Gebiss ist eine Ruinenlandschaft, Berlin 1945 nix dagegen, er hat einen Buckel und ein Holzbein. Aber Dimitris Geschäft ist ein anderes: Er kauft und verkauft Informationen.

***

Die Masse seines Leibs lag hingegossen auf einer Parkbank am Landwehrkanal. Er trug einen braunen Anzug und sein gewaltiger Schädel wurde von einem Pepitahut gekrönt. Der Mann hatte die Hände über dem beeindruckenden Bauchmassiv gefaltet und schlief. Der tiefe Basston seines Schnarchens klang, als käme er direkt aus der Unterwelt. In seinem Pass stand „Andreas Bonetzki“, aber das war nicht sein richtiger Name. Als er aufwachte, schaute er auf seine Uhr und stand auf. Einige Zeit später stand er in Dimitris Laden.

„Ich wollte ein Paket abholen.“

„Haben Sie die Benachrichtigung dabei?“ fragte Dimitri und lächelte.

Bonetzki schob ihm einen dicken Umschlag über den Tresen. Er bekam einen klobigen messingfarbenen Schlüssel, den er in der Mitte auseinanderschob. Ein Stick. Er nickte Dimitri zu und ging.

***  

Bonetzki stand vor dem Haus, in dem sie den Russen untergebracht hatten. Im Tiergarten hatte er einen Landsmann erschossen, jetzt sollte er gegen einen deutschen Agenten ausgetauscht werden, der in Moskau aufgeflogen war, als er Putins Post aus seinem Briefkasten klauen wollte. Man bekam heutzutage einfach keine guten Leute mehr.

Natürlich konnte es Bonetzki nicht zulassen, dass ein Mörder ungeschoren davonkam. Den BND-Mann vor dem Haus lockte er mit einer Batterie Silvesterraketen in den hinteren Teil des Gartens und setzte ihn dann mit einem Handkantenschlag gegen den Kehlkopf außer Gefecht.

Er öffnete die Haustür mit einem Dietrich. Der zweite BND-Mann saß im Wohnzimmer und hörte Musik über seine Kopfhörer. Er hatte nichts mitbekommen. Bonetzki schlich durchs Haus und fand den Russen unter der Dusche.

Das Leben ist ein langer ruhiger Strom, aber das Wasser fließt immer abwärts. Manchmal fließt es auch ganz schnell und vermischt sich mit Blut. Ein sanftes Plop-Plop aus seiner Luger mit Schalldämpfer. Keine große Sache. Eine halbe Stunde später saß er am Tresen seiner Stammkneipe.

 

Samstag, 29. November 2025

Untergegangene Kulturen XIII: Deutschland

 

Blogstuff 1239

Der Taliban, der Taliban

Der schaut mich ziemlich traurig an

Ich lache, weil ich’s eben kann

Zu mir kommt bald der Weihnachtsmann

Ich bin ja schon gespannt, ob die aufmüpfigen Bürschchen von der Jungen Gruppe der Union bei der Rentenreform wirklich gegen die eigene Partei stimmen (Amthor natürlich immer ausgenommen). Helmut Kohl und Franz Josef Strauß hatten ihre Parteien noch im Griff. Da hätte man dem Nachwuchs klar gemacht, dass er seine Karriere vergessen kann, wenn er die Fraktionsdisziplin nicht einhält. Wer absichtlich ein Eigentor schießt, verbringt den Rest seines Fußballerlebens auf der Tribüne. Aber Merz und Spahn haben eben nicht den Arsch in der Hose, um sich bei den eigenen Leuten durchzusetzen.  

Die Metallindustrie geht gerade den Bach runter. Wird Schwaben der neue Ruhrpott?

Hätten Sie’s gewusst? Bonetti ist immer das erste Rad am Wagen.

Kindle? Kennt der Berliner nur als Bier.

Gelegentlich wird mir einseitige Ernährung vorgeworfen. Natürlich esse ich Salat! Fleischsalat, Wurstsalat, Hühnersalat, Eiersalat, Kartoffelsalat mit Würstchen. Wichtig ist: Es darf nichts Grünes dabei sein. Kopfsalat ist kein Nahrungsmittel.

Aus gegebenem Anlass, weil ich gerade im Internet einen Leberkäs-Salat mit Paprika und anderem Gemüse gesehen habe. Leberkäse im Backofen bräunen, bis er kross ist, und ausschließlich mit süßem Senf, nie mit anderem Senf essen. Händlmaier o muerte, wie schon Fidel Castro wusste.

Warum hat die neue Regierung das Heizungsgesetz, das Lieferkettengesetz und die irrsinnigen Berichtspflichten für Unternehmen nicht längst abgeschafft? Manchmal helfen „Reformen“ nicht. Wenn du aus Scheiße im Kabinett Scheiße light machst, werden die Dinge nicht besser.  

„Benötigst Du Besteck...

0,75 €

eine kleine Tüte beinhaltet eine Serviette, Suppenlöffel, Gabel und Messer (Plastik)“

Genialer Lieferservice. Hat sonst keiner. „RussischEssen“ in Berlin.

Born to be alive - Patrick Hernandez Am besten gefällt mir der italienische Handwerker. „Salvatore, wo isse deine Werkzeuge-Kaste?“ Aber auch Kostas ist klasse, er tanzt einen Souvlaki.

Freitag, 28. November 2025

Akku leer, Birne leer


Blogstuff 1238

„Was man am deutschen Brot hat, merkt man immer wieder, wenn man im Ausland ist. Gestern Morgen in Luanda am Frühstücksbuffet hab’ ich gesucht, wo ist ein ordentliches Stück Brot – und keins gefunden.“ (Friedrich Merz)

Die alte Leier des deutschen Touristen, wenn er aus dem Urlaub zurückkommt. Tolles Land, aber das Brot. Augenrollen, Kopfschütteln. Angeblich gibt es dreitausend Brotsorten in Deutschland. Mein Bäcker hat zehn davon, von denen neun gleich schmecken. Das andere ist Vollkornbrot, dass außer hardcore-deutschen Gesundheitsfanatikern niemand essen würde. Unser Brot ist nicht gut. Das ist unsere Lebenslüge: das beste Brot, die beste Wurst, die besten Autos. Völliger Schwachsinn, Größenwahn. Das beste Brot, das ich je gegessen habe, war von Lenôtre, der französischen Bäckerei im KaDeWe (gibt es seit einem Jahr nicht mehr). Das beste deutsche Brot habe ich 1975 bei einem Ferienaufenthalt auf einem Bauernhof am Bodensee gegessen, wo die Bäuerinnen einmal die Woche mit ihrem Teig zum Backes (einem Ofen für die Allgemeinheit) ins Dorf gingen und während des Backens den neuesten Dorftratsch austauschten. Meine Schwester und ich gingen mit, das noch warme Brot mit ein wenig Butter war eine unglaubliche Köstlichkeit, von der heutige Aufbäcker weit entfernt sind.

Den besten Schinken gibt es übrigens in Spanien, Italien und Frankreich. Deutscher Schinken ist drittklassig.  

Warum sterben die Tauben und Krähen in meinem Kiez nicht an Vogelgrippe?

Jedes Mal, wenn Mark Hamill in ein Taxi steigt: „Ich bin dein Fahrer, Luke.“ Jedes Mal.

Kleiner Tipp für paranoide Leser: Verhalte dich immer so, als würdest du gerade abgehört und als würden irgendwo Kameras installiert sein.

„Lachsfilet Franz Kafka Art“. Leider kann ich aus diesem Grund die Prager Hopfenstuben nicht mehr betreten.

„Wasser für alle!“ Das ist der Titel eines Dokumentarfilms über die deutsche Wassermafia. Zu Wort kommen unter anderem Günter Wallraff, Jan Böhmermann und der Wasser-Mao Holgi.

Wenn wir bei der WM-Auslosung Glück haben, spielen wir in der Gruppenphase gegen Ecuador, Usbekistan und Curacao.

Hätten Sie’s gewusst? Der Influencer Andrej Bonetikov wurde als russischer Spion enttarnt. Er zeigte sich nach seiner Verhaftung erleichtert: „Das viele Geld, jede Nacht bedeutungsloser Sex – ich bin froh, dass es vorbei ist.“

Als Rüdiger in der Berliner S-Bahn eingeschlafen war, fehlten ihm nach dem Aufwachen Handy, Brieftasche und Schuhe. Außerdem hatte ihm jemand aufs Shirt gekotzt und sein Hosenstall stand offen.

Donnerstag, 27. November 2025

Der erste Tag


Ich war nervös. Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit. Sie hatten mir einen Anzug gegeben, der aussah, als wäre er aus dem Fundus der Edgar-Wallace-Filme, dazu ein Hemd und zerschlissene Lederschuhe mit schiefgelaufenen Absätzen. Den Schlips, den Gürtel und die Schnürsenkel wollten sie mir erst morgen geben. Wie lächerlich. Als ob ich mir in der letzten Nacht noch etwas antun würde. Auf dem Tisch lagen 735 Euro. Zwanzig Jahre lang hatte ich in der Werkstatt für fünf Cent die Stunde Festplatten für einen chinesischen Auftraggeber montiert. Das war alles, was nach Abzug der Einkommenssteuer übriggeblieben war.

Als ich die JVA Tegel verließ, fuhr ich in meinen alten Kiez in Moabit. Ich wusste nicht viel über die neue Zeit. Da ich wegen der schlechten Nachrichten vor zwanzig Jahren Amok gelaufen war, durfte ich in der Zelle weder Fernsehen noch Internet haben. Erst in den letzten zwei Jahren bekam ich ein Radio, dass aber auf einen einzigen Sender eingestellt war, der pausenlos gute Laune verbreitete und Hits der achtziger Jahre brachte. Immerhin wusste ich von den anderen Gefangenen in der Werkstatt, dass es in Berlin Wohnungsnot gab. Vorsorglich hatte man mir eine Liste mit Obdachlosenheimen mitgegeben.

In der Turmstraße sah ich Möbel am Straßenrand. Wohnten die Leute jetzt schon auf dem Bürgersteig? Die Sonne schien und ich setzte mich auf einen gepolsterten Stuhl, dem eine Armlehne fehlte. Durch mein vergittertes Fenster hatte ich immer nur den Hof gesehen. Alle Geräusche waren in weiter Ferne. Hier war alles voller Menschen und der Lärm war beängstigend. Leute starrten auf ihr Handy und sprachen, obwohl sie allein waren. Wen könnte ich anrufen? Ich kannte keine einzige Telefonnummer. Es schien auch keine Telefonzellen mehr zu geben. Mein Bruder lebte in Frankfurt, er war Zahnarzt. Aber ich hatte seit meiner Verhaftung nicht mehr mit ihm gesprochen.

Ich hatte Hunger, also lief ich weiter. Welche Fähigkeiten brauchte ich in dieser Welt? Auf jeden Fall musste ich lernen, mit dem Computer und dem Handy umzugehen. Ich kam zu einem McDonalds und ging hinein. Viele Burger kannte ich nicht. Was war der M oder der Big Tasty? Aber es gab immer noch den Big Mac. Ich bestellte ihn als Menü mit Pommes und Cola und er schmeckte tatsächlich noch so wie früher. Nach dem Essen dachte ich über meine nächsten Schritte nach. Ich brauchte einen Job und eine Wohnung. Mit meinem Lebenslauf? Mit der Wahrheit würde ich nicht weit kommen. Vielleicht sollte ich erst mal zur Obdachlosenunterkunft. Ich ging in einen Späti, um einen Stadtplan zu kaufen, aber die Besitzerin schüttelte nur erstaunt den Kopf. Aber ich kannte den Kiez. Dunkel erinnerte ich mich, dass die Spenerstraße nicht weit von der JVA Moabit entfernt lag.

Die Stadt ist groß und weit. Ich war schon lange nicht mehr solche Strecken gelaufen, also setzte ich mich im Park, der zwischen der Turmstraße und Alt-Moabit liegt, auf eine Bank.

„Gerhard?“

Erschrocken und irritiert sah ich zu dem Mann auf. Meinen Vornamen hatte ich schon lange nicht mehr gehört. Im Gefängnis war ich 176-671 gewesen.

„Hast du nicht damals die Flippers auf offener Bühne erschossen?“

„Ich bin nicht stolz drauf.“

„Komm, ich gebe dir ein Bier aus. Ich habe da einen todsicheren Job und brauche noch jemanden, der mir hilft. Es wird mein letzter großer Coup, bevor ich mich zur Ruhe setze.“

Jeder kann sich vorstellen, wie diese Geschichte endete. Gerhard lebte danach in einem Strandhaus in Bahia. Nachmittags saß er auf seiner Terrasse, blickte aufs Meer und schlürfte eine Caipirinha durch einen echten Plastikstrohhalm. So hätte er glücklich bis ans Ende seiner Tage leben können, als plötzlich … plötzlich „Die rote Sonne von Barbados“ von den Flippers aus dem Nachbarhaus schallte.