Samstag, 25. November 2023

Lohnt sich der Umstieg aufs Bürgergeld zum 1. Januar?


Derzeit wird die Debatte um das erhöhte Bürgergeld sehr polemisch geführt, in erster Linie von der Opposition, die es kaum abwarten kann, die Ampel so schnell wie möglich zu beerben. Es wird behauptet, viele Arbeitnehmer würden ihre Jobs aufgeben, weil sich Arbeit nicht mehr lohnen würde.

Dazu lohnt sich ein differenzierter Blick auf die Themen Arbeit, Miete und Energiekosten. Miete und Nebenkosten sind inzwischen zu entscheidenden Faktoren bei der Berechnung geworden. Aber der Reihe nach. Hier ein Rechenbeispiel:

Ich gehe einfach mal von meiner Person aus. 57 Jahre alt, in Rheinland-Pfalz lebend. Dann nehme ich den Mindestlohn von 12 Euro brutto und gehe von einer Vollzeitstelle aus. Dann würde ich 1920 Euro brutto verdienen. Macht 1410 Euro netto bei Steuerklasse 1. Lohnt es sich zu arbeiten? In meinem Fall schon, da ich keine Miete zahle, sondern nur die Nebenkosten.

Bei uns im Dorf kenne ich einen Mieter, der 500 Euro warm bezahlt. Bei ihm blieben noch 910 Euro in der Kasse. Lohnt sich also auch noch. Anders in den Großstädten. Bei mir in Berlin wohnt ein Mann im Haus, der 1100 Euro warm bezahlt – für eine Einzimmerwohnung. Blieben 310 Euro übrig. Arbeit würde sich nicht mehr lohnen, denn das Bürgergeld beträgt 563 Euro. Noch unattraktiver wird Arbeit für eine Alleinerziehende mit zwei Kindern unter 14 Jahren. Sie bekäme 1343 Euro Bürgergeld.

Das Thema Bürgergeld statt Arbeit ist also in erster Linie ein Thema im Niedriglohnsektor und in zweiter Linie ein Großstadt-Thema. Das Durchschnittseinkommen in Deutschland (Vollzeitstelle) liegt bei über 2500 Euro netto. Bürgergeld lohnt sich nicht, für Friedrich Merz schon mal gar nicht. Es gibt mehrere Lösungsmöglichkeiten. Der Mindestlohn könnte erhöht werden, in den Großstädten könnte mehr bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden oder die Arbeitnehmer ziehen aufs Land und nehmen weite Wege zur Arbeitsstelle in Kauf.

All dies wird nicht passieren, schon gar nicht mit einer unionsgeführten Regierung. Also werden die Münchner Gastwirte auch weiterhin keine Küchenhilfe finden, die Frankfurter Hoteliers keine Zimmermädchen, die Krankenhäuser keine Pflegekräfte, die Kindergärten keine Erzieherinnen. Sowas kommt von sowas. Man kann es keinem Menschen übelnehmen, wenn er Arbeit im Niedriglohnsektor unattraktiv findet. Auch die Unterschicht hat im neoliberalen Zeitalter gelernt, ökonomisch zu denken. Was volkswirtschaftlich bedenklich erscheint, ist betriebswirtschaftlich für den Einzelnen sinnvoll.     

 

17 Kommentare:

  1. In der Tat. Volkswirtschaft kollidiert in vielerlei Hinsicht mit dem individuellen ökonomischen Verhalten. Das kann man auch niemanden vorhalten, wenn er nach der für sich besten Option handelt.

    Ich habe damals eine sehr interessante Erfahrung gemacht, als der Mindestlohn eingeführt wurde. Ich war für die betriebswirtschaftliche Steuerung von Call Centern mit verantwortlich. Die Arbeitnehmerstruktur bestand vollends aus extremen Geringverdienern. Als man wusste, dass die Kosten für das Personal durch den Mindestlohn steigen würden, ohne dass es dadurch zu einem Produktivitätszuwachs kommt, hat man Digitalisierungsprojekte auf den Weg gebracht. Die Steuerung der Verträge so einfach gemacht, dass die Kunden das per Internetportal selbst machen konnten und die Call Center Agents überflüssig wurden. Innerhalb von 24 Monaten wurde der Bestand an Personal von 2000 Mitarbeitern auf 800 Mitarbeitern reduziert. Ich habe an den Abbauprojekten mitgearbeitet. Da ging es am eine nur um die Zahlen in den Büchern. Da haben Einzelschicksale keine Rolle mehr gespielt.

    Was ich sagen will: Mindestlohnerhöhung ohne Produktivitätszuwachs sind eine gefährliche Sache, weil sie Rationalisierung-, Innovations- und Automationsdruck erzeugen, die am Ende, die Leute am Ende der Nahrungskette komplett überflüssig machen.

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    1. Volkswirtschaftlich sind auch die Leute am Ende der Nahrungskette nicht überflüssig, denn sie bekommen ja Bürgergeld. Sie fallen zwar als Produzent aus, aber nicht als Konsument. Und sie tragen über die Mehrwertsteuer, Benzinsteuer usw. auch zum Staatshaushalt bei ;o)

      Ich habe als Student auch mal im Call Center gearbeitet. Wegen der geringen Bezahlung habe ich gekündigt. Ohne eine Entlohnung, die die eigene Existenz sichert, gibt es eben auch keine Mitarbeiter. Die entsprechenden Lohnkosten könnte man auch einfach auf den Kunden umlegen. Machen viele Unternehmen und es läuft hervorragend. Der Mindestlohn verhindert einen Konkurrenzkampf der Unternehmen, weil man sich nicht mehr gegenseitig unterbieten kann.

      P.S.: Das Markt- und Meinungsforschungsinstitut, für das ich in Berlin gearbeitet habe, wurde ein Jahr später geschlossen.

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  2. ""Bei uns im Dorf kenne ich einen Mieter, der 500 Euro warm bezahlt. Bei ihm blieben noch 910 Euro in der Kasse.", ja das schon, aber das Amt würde ihm ja auch noch Miete zahlen, also käme er gleich raus, somit lohnt es sich nicht für ihn arbeiten zu gehen.

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    1. Vielen Geringverdienern stünde allerdings Wohngeld zu. Nur haben längst nicht alle, die Vollzeit schackern, Zeit und Nerven, die entsprechenden Anträge zu stellen.

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    2. @ anonym 11:06

      Nein. Die Miete habe ich ja schon abgezogen. 910 Euro bei Mindestlohn zur freien Verfügung, 563 bei Bürgergeld. Lohnt sich also immer noch.

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    3. @ Stefan

      Richtig. Was auch gerne vergessen wird: Bürgergeld heißt nicht Hängematte. Du wirst zu Weiterbildungen geschickt und es wird ein Plan gemacht, wie der Bürgergeldempfänger wieder in den Arbeitsmarkt zurückkommen kann. Bei Weigerung werden schnell die Bezüge gekürzt.

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    4. "Nein. Die Miete habe ich ja schon abgezogen. 910 Euro bei Mindestlohn zur freien Verfügung, 563 bei Bürgergeld. Lohnt sich also immer noch.", stimmt, hatte ich dussel wieder vergessen. Allerdings ist fraglich ob es sich dann für 1410-(563+Miete, die vom Amt gezahlt wird) , also ca. 500 € mehr im Monat lohnt, Vollzeit arbeiten zu gehen. Selbst wenn man alle "Angebote" ablehnt, hat man ja nur eine Kürzung von 30 % zu befürchten, käme also immer noch mit ca. 700 € raus, OHNE IRGENDWAS zu tun.

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    5. Gut, ziehen wir von den 563 Euro mal 30 % wegen der Sanktion durchs Job-Center ab. Bleiben dir 394 Euro zum Leben. Für Lebensmittel (hohe Inflation!) und alles andere. Ich hoffe, du hast weder ein Auto noch einen Hund. Denn das sind nur 13 Euro am Tag. Bock drauf?

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    6. ich glaub 150 oder so kann man noch abzugsfrei hinzuverdienen, das sind 12 Stunden Arbeit im Monat, lohnt sich doch ;-)

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    7. Paar Stunden 'Freundschaftsdienste' gegen eine Aufwandsentschädigung, von der keiner weiß, gehen natürlich auch immer...

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    8. PS: Im ersten Jahr ALG2-Bezug übernehmen seit diesem Jahr die Jobcenter die Miete ungeprüft und Sanktionen gibt es nur noch bei Meldeversäumnissen o.ä.

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    9. @anonym 18:04

      Nach der Hartz-Regelung kannst du den 1. Hunderter behalten, von jedem weiteren 20 €. Wir hatten mal so jemandem am Empfang sitzen, der hatte einen 400€-Job und hatte dann 160 € zusätzlich.

      @ Stefan

      Ab dem 2. Jahr gibt's aber heftige Obergrenzen. Berlin, 1P-Haushalt: 449 Brutto-Kaltmiete. Das wird für manche ganz schön eng und versuch mal, als Arbeitsloser eine neue Wohnung zu bekommen.

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  3. „In meinem Fall schon„, wie lebst du? Vom Bloggen kann man ja nicht leben, oder?

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    1. Aber offensichtlich lebe ich :o)

      Und sicher nicht von Bürgergeld. Auskünfte über mein Einkommen und meine Vermögensverhältnisse werde ich auf eine anonyme Anfrage natürlich nicht geben.

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    2. Das ist doch kein Geheimnis.
      Der "schöne Andy" ist eine Wichtelbacher Kiezgröße.

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    3. Ich habe meine Pferdchen aber auch in Strunzenöd laufen ;o)

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  4. alles klar, der Bruder vom "schönen Klaus"

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