Freitag, 7. April 2017

Die Organisation der Macht

„Die Macht ist kein Mittel, sie ist ein Endzweck.“ (George Orwell: 1984)
Warum existiert eigentlich die katholische Kirche als Organisation seit vielen Jahrhunderten immer noch? Weil ihre Macht langfristig nicht an konkrete Personen oder Familien gebunden ist, sondern an Prinzipien, zu deren Erhaltung sie immer wieder neue Personen rekrutiert und ausbildet. Adelsfamilien kommen und gehen, weil sie auf dem Prinzip der Vererbung beruhen. Die Kirche vererbt die Macht nicht vom Vater auf den Sohn – mit dem Zölibat lehnt sie dieses Prinzip sogar explizit ab -, sondern erneuert permanent das Personal ihrer Organisation. Daher können auch Menschen aller Hautfarben, Schichten und Kulturen in der Kirche Karriere machen. Obwohl es sich um eine Oligarchie handelt, wirkt sie durch diesen Ausleseprozess weltoffen.
Die großen Aktiengesellschaften, die heute unsere Welt beherrschen, haben dieses Erfolgsprinzip kopiert. Das Management steht prinzipiell jedem offen, während die Familienunternehmen nach dem alten Adelsprinzip der Vererbung funktionieren. Durch Heirat können die Familienunternehmen zwar ihr Blut auffrischen, die Aktienunternehmen mit ihrer höheren Fluktuation und dem größeren Leistungsdruck auf das Management, der durch die Großaktionäre (z.B. Hedgefonds) ausgeübt wird, sind ihnen dennoch langfristig überlegen.
Auch der deutsche Parteienstaat funktioniert auf die gleiche Weise. Es geht nicht um das Vererben von Machtpositionen, sondern um die Ausbildung neuer Funktionäre, die das Prinzip des Parteienstaats nicht in Frage stellen. So kann die Macht dieser Organisation in wechselnden Konstellationen erhalten werden, ohne jemals ernsthaft gefährdet zu werden. Schwarz-Rot, Rot-Grün, Schwarz-Gelb, Grün-Schwarz - es ändern sich die Farben und die Parolen, aber nicht das System. Das Spiel kann man auch in Dreierkombinationen durchführen. Im September haben wir die Wahl zwischen Schwarz-Grün-Gelb und zwischen Rot-Rot-Grün. Vermutlich bekommen wir aber wieder Schwarz-Rot.
Der Einzelne kann nicht mehr für sich selbst sorgen, er hat es verlernt. Er ist von der bis ins letzte Detail durchorganisierten Gesellschaft und damit auch von den Organisationen abhängig, die diese Gesellschaft strukturieren und lenken. Er braucht die unsterblichen Kirchen, Konzerne und Parteien. Im Grunde genommen gibt es zu dieser Symbiose zwischen Obrigkeit und Masse keine Alternative. Am wenigsten geeignet für eine Revolte ist das Proletariat, das instinktiv den Zusammenbruch seiner Versorgung mit billigem Nahrungsschrott und Unterhaltungsmüll befürchtet, weswegen es die Erniedrigung und die Lüge akzeptiert.
Die schärfsten Kritiker dieses Systems eliminiert man entweder durch Ausschluss oder Aufstieg. Sie machen entweder keine Karriere und enden als Hartz IV-Empfänger oder sie machen eine glänzende Karriere und werden durch ihren Erfolg ruhiggestellt. Ich kenne einen ehemaligen Klassenkämpfer, der zu unseren Doktorandenzeiten noch Seminare in Marxismus gegeben hat. Inzwischen dreht er mit einem Dutzend Angestellten Werbefilme für die deutsche Industrie, deren erklärter Feind er noch vor zwanzig Jahren gewesen ist. Wenn ich in seiner Villa zu Gast bin, stößt er mit mir immer auf Fidel Castro an. Seine Frau bezeichnet sich ab dem zweiten Glas Wein ernsthaft als Kommunistin.
„Die schärfsten Kritiker der Elche / Werden später selber welche.“ (Lupo Laminetti)
P.S.: Die orthodoxen Marxisten haben ebenfalls von der katholischen Kirche gelernt. Auch sie verbindet ein tiefer Glaube und sie verehren eine Heilige Schrift („Das Kapital“). Erstens glauben sie an das Paradies, in das sie ein Erlöser (Marx, Lenin, Stalin, Mao, Pol Pot, Kim der Dritte usw.) führen wird. Zweitens an das Jüngste Gericht, das vor dem Eingang ins Paradies kommen wird: die sozialistische Weltrevolution. Drittens an Marienerscheinungen wie die Pleite einer einzelnen Bank (Lehman Brothers) oder die Wahl eines neuen US-Präsidenten (Reagan, Bush Jr., Trump), die uns ein Zeichen für das bevorstehende Ende des Kapitalismus sein sollen. Die wahren Marxisten sehen überhaupt - so wie ein fanatischer Christ - regelmäßig und überall neue Zeichen, die ihren Glauben bestätigen (Armut, Reichtum, Umweltzerstörung, Kriege usw.). Leider sind sie nicht so gut organisiert wie die Kirche.
Jean-Michel Jarre – Zoolook. https://www.youtube.com/watch?v=-F36bJ57TmM

13 Kommentare:

  1. Bekanntermaßen gibt es kein richtiges leben im valschen. Man kann im kapitalismus nicht nach Marxistischen vorstellungen leben. Es gibt durchaus menschen, die beruflich erfolgreich sind, jedoch Marxistisch denken und das system ablehnen. Man darf halt bloß im geschäfts- bzw. berufsleben nicht auf die verwegene idee kommen, seine tatsächliche politische meinung zu sagen.

    Der vergleich orthodoxe Marxisten - katholische kirche ist nicht gerade neu und wirkt ziemlich abgestanden. Marxisten glauben nicht an Marx.

    Wenn ich in der Bibel lese, daß der herr Jesus gekreuzigt und am dritten tage auferstanden von den toten ist, dann läßt sich das weder belegen noch widerlegen und darüber muß ich mit einem Christen nicht streiten, er will das schließlich glauben. Das Kapital hingegen ist keineswegs eine heilige schrift: Jeden satz, der da geschrieben steht, kann man in frage stellen und auf richtigkeit überprüfen - und darüber kann man sehr wohl streiten.

    Paradies? Erlöser? Jüngstes gericht? Marienerscheinungen? Lächerlich. Ein paradies wird es auch im kommunismus nicht geben. Ein kommunist, der auf einen erlöser hofft, kann sich nur selbst blamieren: das bedeutet nämlich »es rettet uns nur ein höheres wesen« - und genau das soll doch abgeschafft werden. Eine revolution muß nicht ausschauen wie das jüngste gericht - ich bin da absolut für die freie entscheidung des freien unternehmertums: die produktionsmitteleigentümer sollen sich frei entscheiden, ob sie ihre produktionsmittel freiwillig rausrücken oder man sie erst dazu zwingen muß. Es wäre schon schön, wenn es zeichen für das bevorstehende ende des kapitalismus gäbe. Die könnte man vielleicht sehen, wenn sich relevante mengen von »normalmenschen« plötzlich in Marxseminaren rumdrücken würde. Das bleibt aber wohl eher aus.

    Aber über orthodoxe Marxisten ist gut lästern, weil es im grunde keine mehr gibt und man alte klischees pflegen kann.

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    1. Meine Erfahrung aus mehreren Jahrzehnten politischer Debatten (ich wurde an der roten Kaderschmiede OSI in Berlin promoviert ...) ist eine andere. Mit Marxisten kann man über "Das Kapital" so wenig diskutieren wie mit den Zeugen Jehovas über die Bibel. Zweifel an der Arbeitswertlehre sind ebenso ein Sakrileg wie bei Hardcore-Christen Zweifel an der unbefleckten Empfängnis. Genau darum sind die Marxisten ja so traurige Sektierer geworden, über die alle Welt nur noch spottet. Selbst halten sich diese Menschen (und ich kenne genug im Netz und im wahren Leben) für unfehlbare Geschichtsphilosophen, die den Mechanismus des menschlichen Schicksals als einzige erkannt haben. Gerade weil sie - im Vergleich zu Unternehmen, Parteien oder Kirchen - so machtlos sind, wirkt ihre Hochnäsigkeit natürlich besonders lachhaft.

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    2. Ehrlich gesagt kenne ich die leute, die am OSI debattieren, nicht. Als außenstehende habe ich die FU nicht unbedingt als »rote kaderschmiede« wahrgenommen, eher ganz im gegenteil. Es hat sich rumgeschwiegen, daß es dort probleme gab, für linke veranstaltungen räume zu kriegen. Ich kann mich erinnern, daß minister Schäuble dort anrollen durfte, während eine veranstaltung mit Gregor Gysi abgesagt werden mußte, weil das zu (partei)politisch sei.

      Welch ein frevel, zweifel an der arbeitswertlehre zu haben! Die Marxsche arbeitswertlehre sollte niemand glauben. Wenn man die plausibel findet, sollte man anderen wenigstens einigermaßen erklären können, warum. Ansonsten wäre die beschäftigung mit Marx keinen pfennig mehr wert als »bibelstudium«.

      Auch wenn hochnäsigkeit eine blöde eigenschaft ist: in bestimmten sachen vielleicht recht zu haben und macht zu haben, sind zwei sehr unterschiedliche dinge. Es ist falsch, etwas schlecht zu finden, nur weil einige leute, die das vertreten ausgemachte arschlöcher sind.

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  2. Also das mit den orthodoxen Marxisten ist ein unkundiger Schmarrn, den Du immer mal wieder aus der Kiste holst,wenn Du lebhaften Widerspruch provozieren willst.

    Aber die Gedanken zur Organisation von Macht machen Deinem anarchistischen Ansatz alle Ehre.Ein anderer wäre, aus der gnadenlosen Konkurrenz der eingerichteten Karrieren die Selbstvererbung der Struktur erwachsen zu lassen.

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    1. Oh, ein typischer Altmarxist schreibt einen anonymen Kommentar. Und selbstverständlich ist meine Ansicht "unkundiger Schmarrn". Mehr muss man zu meinem Text auch nicht sagen. Bitte keine Fakten und Argumente.

      Siehst du: darum diskutiere ich nicht mehr mit euch.

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  3. Glänzender dialog.

    Ich habe gesagt, daß man über Marx diskutieren kann und habe argumente hingeschrieben, weshalb obenstehender text gefrohrener quark ist. Leider sind die argumente aber keine, weil ich als Marxist ohnehin ein hochnäsiges arschloch bin und schlimmer als die Zeugen Jehovas. Und mit sowelchen diskutierst Du nicht.

    Könnte es sein, daß es Dir um vorurteils- und feindbildpflege geht?

    Ich befasse mich seit rund dreißig jahren mit den problemen, die unser tolles wirtschaftssystem mit sich bringt. Marx habe ich relativ spät entdeckt und diese lektüre hat mir sehr dabei geholfen zu verstehen, was hier läuft. Die Bibel erklärt nicht, warum es den menschen beschissen geht. Das Kapital hingegen schon. Der Adam Smith war davon überzeugt, daß mit steigendem technischen fortschritt der freie markt die menschheit mit allem versorgen würde. Wenn man wissen will, warum das bis heute nicht funktioniert, ist man gut beraten, sich mit Marx zu beschäftigen. Bis jetzt hat es niemand geschafft, die funktionsweise unseres wirtschaftssystems besser zu beschreiben.

    Du bist auf einer ziemlich schiefen ebene unterwegs, wenn Du mich mit den ZJ gleichsetzt. Und nochmal: ich glaube nicht an Marx. Warum sollte ich? Für mich war Marx äußerst hilfreich, bestimmmte wirtschaftliche zusammenhänge zu begreifen. Und hat mich darin bestärkt, diese verhältnisse abzulehnen. Das ist etwas anderes als irgendwas zu glauben.

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    1. Du befasst dich seit 30 Jahren mit unserem Wirtschftssystem und bist Marxistin geworden? Dann machst du das aber höchstens hobbymäßig, oder? Ich habe zehn Jahre in Forschungsinstituten an Projekten zum Arbeitsmarkt, der Vereinbarkeit von Arbeit und Leben usw. gearbeitet und in dieser Zeit eine Menge Experten auf diesem Gebiet kennengelernt. Keiner von ihnen wäre auf die Idee gekommen, in einem uralten Schinken aus dem 19. Jahrhundert nach Antworten auf die Fragen des 21. Jahrhunderts zu suchen.

      Im übrigen verstehe ich deine Aggression nicht. Auf deine Argumente bin ich eingegangen, auf den "Schmarrn" aus guten Gründen nicht.

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    2. P.S.: Vorgestern habe ich am Gartenzaun mit den Zeugen Jehovas diskutiert. Sie waren wesentlich freundlicher als alle Marxisten, die ich je getroffen haben. Sie sind auch nicht wütend geworden, als ich ihnen meinen Atheismus gebeichtet habe ;o)

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    3. Klar, ich bin Hobbymarxist und außschließlich dummfotzen wie ich kommen auf die idee, uralt-kammellen wie Marx zu lesen.

      Welches werk des 21. jahrhunderts erklärt denn, weshalb das leben für die meisten menschen eine prekäre angelegenheit ist?

      Das mit dem »schmarrn« habe ich übrigens nicht geschrieben. Ich schreibe weder anonym noch habe ich es nötig, mich hinter einem dutzend nicknamen zu verstecken.

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    4. Ja ja, so kenne ich meine Marxisten … sie haben immer das letzte Wort und immer Recht. Genau deswegen gibt es in der Jugend auch keinen Nachwuchs mehr für euch.

      Mal im Ernst: Würdest du einen solchen hasserfüllten Kommentar in deinem eigenen Blog noch beantworten?

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    5. Jaja, Marxisten. Kennste einen, kennste alle.

      Ich bin überhaupt nicht hasserfüllt. Ich bin bloß ein großer fan von gruppenbezogenen pauschalurteilen. Vor allem, wenn diese obendrein vom grundsatz her falsch sind. Wenn das mit dem recht haben so einfach ist, dann schul doch um - und schon hast Du den rest Deiner tage recht ;o)

      Mir geht es aber überhaupt nicht ums recht haben. Es wäre schön, wenn Marx beispielsweise den gegensatz von lohnarbeit und kapital frei erfunden hätte und es den in wirklichkeit gar nicht gäbe. Wenn man allerdings betrachtet, wie die meisten menschen ihr dasein fristen müssen, ist zu befürchten, daß es stimmt, was der alte moderbart in sein dickes buch geschrieben hat.

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  4. Liebe Motzhild, das Werk des 21. Jahrhunderts, das alle deine Fragen beantwortet, ist natürlich das Werk von Andy Bonetti.

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