Sonntag, 12. Februar 2017

Füttere mich!

Neulich war ich mit einer Freundin in einem ultrahippen Lokal namens „Apotheke“ in der Mainzer Neustadt verabredet. Übrigens tatsächlich eine ehemalige Apotheke, die auf Basis der handelsüblichen Ironie unseres Zeitalters mit diesem Erbe in Sachen Einrichtung und Speisekarte spielt.
Ich reiste aus meinem Hunsrückdorf via Bus und Bahn bereits zur Mittagszeit an, um mich – da ich der Sättigungskompetenz der Hipsteria kein Vertrauen entgegenbringen mochte – in einem Gasthaus meiner Wahl im Vorfeld zu stärken. Auf der Fahrt hatte ich die Idee entwickelt, um der alten Zeiten Willen mal wieder bei einem klassischen Chinesen vorzusprechen. Also kein Thai, kein Sushi, kein Vietnamese, keine Experimente, sondern der klassische Schweinefleischsüßsauernummerdreiundneunzig-Chinese aus meiner Kindheit.
Als Schüler war ich mit einem Freund des Öfteren am Samstag nach Mainz gefahren, um durch die Plattenläden und Kneipen zu bummeln. Kulinarischer Höhepunkt war immer der Besuch eines chinesischen Restaurants, das im ersten Stock eines nüchternen Nachkriegszweckbaus am Gutenbergplatz logierte. Schon auf der steilen Treppe nach oben bereiteten uns die Gerüche und Klänge auf das exotische Vergnügen vor. Heutzutage gehen ja Hinz und Kunz zum Chinesen, aber damals war es ein Abenteuer – vor allem, wenn sie erst vierzehn Jahre alt sind und Restaurantbesuche nur mit ihren Eltern oder bei McDoof kennen.
Mir war einfach nach sentimentalem Scheiß und so ging ich zu diesem Lokal. Es hatte allerdings längst geschlossen und war durch ein Steakhaus ersetzt worden. Also lief ich durch die Stadt, um einen klassischen Chinesen zu finden. In der Nähe des Doms gab es auch mal einen. Ebenfalls weg. Ich lief zwei Stunden durch die Innenstadt. Kein Chinese, keine krosse Ente, keine Frühlingsrolle. Dann erweiterte ich, inzwischen unangenehm hungrig geworden, meinen Optionsradius. Essen. Jetzt! Heiß! Hunger!
Aber an einem Samstagnachmittag in Mainz musste ich erfahren, dass die von mir präferierten Lokale wie z.B. der „Augustinerkeller“ nicht nur komplett besetzt waren, sondern auch ganze Trauben von Menschen im Vorraum auf einen freien Tisch warteten. Mainz an einem Samstag – so muss es im alten Rom gewesen sein. Alle Lokale voll, auch bei „Hans im Glück“, wo einfache Burger gereicht werden, DDR-mäßiger Schlangenbetrieb. Es war zum Verzweifeln. Inzwischen war es drei Uhr, der Magen hing mir zwischen den Knöcheln.
Letzte Rettung: die „Bagatelle“, eine Studentenkneipe in der Neustadt. In diesem Viertel hatte ich meinen Zivildienst gemacht. Tatsächlich ist noch ein kleiner Tisch neben den Toiletten frei. Ich setze mich und bestelle beim fusselbärtigen, dauergrinsenden Hilfskellner (Ethnologie im Endstadium?) blind ein Kristallweizen, damit wenigstens irgendwas vorwärts geht. Nach einer Viertelstunde kommt das Bier und ich bestelle einen Cheeseburger mit Pommes. Yes, denke ich, du hast es geschafft. Ich bin so ausgehungert, dass ich mir gierig die Oberschenkel der Studentenrunde am Nachbartisch betrachte.
Eine weitere Viertelstunde später kommt der Burger. Der Student mit Nebenjob Hoffnungsvernichter erzählt mir allerdings, es gäbe nur noch kleine Burger. Es täte ihm Leid. Dann verschwand er grinsend und ließ mich mit einem briefmarkengroßen Burger zurück. Vielleicht kennen Sie diese Mini-Burger von Buffets? Eigentlich bietet man sie nur Kindern an. In zwei Bissen hat man sie verschlungen. Am liebsten hätte ich auf diesen Bonsai-Burger geweint.
Ich weiß nicht, inwiefern sie über meine Körpergröße und meinen Leibesumfang informiert sind (Ursus hunsrückiensis; ich verkaufe im Nebenberuf Hinkelsteine), aber vor mir begeben sich selbst Rottweiler auf Kokain in eine fötale Verteidigungsstellung. Also presste ich mir diese Verhöhnung des Burgerwesens in den eigens dafür vorgesehenen hohlen Zahn, stopfte ein paar Pommes dazu in den Mund und spülte mit dem letzten Schluck Weizenbier nach. Ich bezahlte an der Theke und verließ das Lokal, nicht ohne es bis in alle Ewigkeit in elaborierten Flüchen dem Zorn der Hölle preiszugeben.
Dann ging ich in die „Apotheke“ und trank ein halbes Dutzend Flaschen Estrella Damm, ein Bier aus Barcelona, und gab der Dame, mit der ich verabredet war, Kunde über meinen Unmut bezüglich der kulinarischen Situation in der Landeshauptstadt. Bleiben Sie in Berlin! Bleiben Sie in Hamburg und München! Es ist kein Spaß, in Rheinland-Pfalz hungrig zu sein.
P.S.: Der Mini-Burger war auch noch mit Salatgurke statt mit Gewürzgurke. Grotesk!
Sven van Thom - Döner in der U-Bahn. https://www.youtube.com/watch?v=hUKBxSjPqPE

4 Kommentare:

  1. Lustig: Immer mehr Menschen suchen den gedeckten Tisch, leider entspricht die gebotene Speise oft nicht den Erwartungen, und die Qualität ist manchmal außerirdisch. Wenn es dann irgendwo schmeckt ist Betrieb wie früher bei der Kirmes, egal ob Grieche oder Sternelokal
    (übrigens nicht nur in Rheinland-Pfalz).
    Vielleicht sollten wir uns andere Orte zu Treffen aussuchen oder einen Tisch bestellen?

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    1. Heute haben wir einen Tisch bestellt. Mein Vater feiert seinen 83. Geburtstag :o)

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    2. Da wünsche ich doch leckere Speisen und gute Unterhaltung. Ich als alte Eifelbärin wurde übrigens in HD mal von einem Mann vom Nebentisch angemacht der meinte, ich brauche nichts zu essen, könnte noch von der Substanz leben, in Afrika würden die Leute hungern... Das fand ich sehr übergriffig und habe es auch gesagt! Der Bedienung und meiner Freundin hatte es die Sprache verschlagen.

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    3. Sehr gut reagiert! Auf so eine Unverschämtheit muss man Kontra geben.

      Ich hatte gebratene Garnelen als Vorspeise und ein Filetsteak mit Steinpilzen als Hauptgang. Es könnte jeden Tag Sonntag sein :o)

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