Samstag, 24. Dezember 2016

Eike – Eine dunkle Bedrohung

„Diese Leute trinken, gleichgültig, ob sie nun durstig sind oder nicht!“ (Claude Debussy über die Deutschen)
Eike erwachte. Er sah alles nur verschwommen. Weiße Farbe, grelles Licht.
Er konnte sich nicht bewegen. Er versuchte zu sprechen, aber er konnte seine Stimme nicht hören. Überhaupt war es sehr still. War er tot?
Dann erwachte Eike, der tapfere kleine Eierbecher, erneut. Über ihm schwebte ein freundliches Frauengesicht.
„Guten Morgen. Können Sie mich verstehen?“
„Ja“, sagte Eike schwach.
„Haben Sie Durst? Ich habe hier Tee für Sie.“
Eike nickte und trank vorsichtig ein paar Schlucke heißen und köstlichen Hagebuttentee.
„Was ist passiert?“ fragte er.
„Sie sind im Krankenhaus. Man hat Sie hier schwerverletzt eingeliefert. Wir haben Ihnen den Henkel wieder angeklebt.“
Henkel? Was für einen Henkel. Eierbecher haben doch überhaupt keinen Henkel.
Was war passiert?
Runzlmeyer, der fiese Porzellanjäger, hatte ihn aus dem Haus seiner Eltern in Wichtelbach entführt und ihn zu einem Flugzeug gebracht, das ihn zurück nach Las Vegas bringen sollte. Sein Ex-Boss hatte ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt. Runzlmeyer hatte den Tipp vom sinistren Ich-Erzähler, der Eike an die Porzellanmafia verraten hat und der natürlich bei Bonetti-Media fristlos entlassen wurde. Eike gelang es, im Flugzeug einen Rucksack mit der Aufschrift „Fallschirm“ zu packen und war mit ihm aus dem Flugzeug gesprungen. Leider war in diesem Rucksack kein Fallschirm, sondern nur eine Kaffeekanne.
Zurück zur Geschichte:
„Ich muss meine Freundin anrufen“, sagte er zur Krankenschwester.
Aber es stellte sich heraus, dass sein Porzellanhandy beim Absturz in tausend Teile zersprungen war. Natürlich hatte er die Nummer nicht auswendig im Kopf. Wer merkt sich heutzutage schon Handy-Nummern? Aber wie kommt man an die verloren gegangene Nummer? Eine Mail schreiben? Aber wie lautete ihre Mail-Adresse? Eike brummte der kleine Kopf vor lauter Fragen, auf die er keine Antwort wusste.
Zwei Tage später wurde er durch Chefarzt Nikolas O’God und seinen Assistenten Pierre LaSchais entlassen. Mutterseelenallein stand er in einer schrecklichen Gegend namens Saarland. Aber unser tapferer kleiner Eierbecher verzagte nicht und begab sich auf die Wanderschaft. Aber überall, wo er auftauchte, wurde er verhöhnt und ausgelacht. Ein Eierbecher mit einem Henkel. Wo gibt’s denn sowas? Der gehört in ein Kuriositätenkabinett oder in den Zirkus, riefen die Spötter und klopften sich auf die Schenkel.
***
Doch dann kam Eike endlich auf der Landstraße nach Paris. Er durchwanderte die Banlieue und betrat im Montmartre das Bistro „Les Petits 4“, von dem er mal in einer Illustrierten gelesen hatte. Hier trafen sich die Künstler der Stadt.
Tatsächlich dauerte es nur wenige Minuten, Eike hatte gerade einen Café au lait bestellt, bis ein geheimnisvoller Mann an seinen Tisch trat. Er hatte den Hut tief ins Gesicht gezogen, trug eine Sonnenbrille, schwarze Handschuhe und einen dunkelgrauen Vollbart.
„Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Aurelius Felix.“
Er schüttelte Eike den Henkel. Eike erschrak. Die Hand war kalt und hart. Eine künstliche Hand.
„Ich bin von der Künstleragentur ‚Illusion und Revolte‘. Wir suchen ungewöhnliche Personen, die das Neue repräsentieren.“ Seine Stimme war rau und dunkel.
„Das Neue?“ fragte Eike. „Was meinen Sie damit?“
„Unser Thema ist die Identität. Wir suchen neue Identitäten jenseits der alten Verhaltensmuster und Rollenbilder. Wir suchen das, was es noch nicht gibt. Das, was in Zukunft sein wird.“
„Aha“, sagte Eike. Er hatte kein Wort verstanden.
Aurelius Felix überreichte ihm eine Karte. „Kommen Sie doch bitte morgen Nachmittag in unsere Agentur. Ich glaube, wir sind in der Lage, Ihnen ein großzügiges Angebot zu machen.“
So wurde Eike entdeckt.
***
Am nächsten Tag wurde Eike dem berühmten schwedischen Designer Lars Eklund vorgestellt, einem Star der Pariser Kunstszene. Eklund trug eine hohe Allongeperücke und einen roten Brokatrock, der am Kragen mit Pelz verbrämt war. Seine runden Backen waren mit einem grotesken Knallrot geschminkt, die Augen fingerbreit schwarz umrandet, die Lider purpurfarben. Er thronte auf einem Louis-seize-Sessel, neben ihm stand sein schwuler Adlatus Pinky Ramirez, ein zwergwüchsiger Ex-Stricher aus Mexiko.
Eklund erkannte sofort das Potential von Eike.
„Sie sind ein Eierbecher aus Deutschland?“
„Ja“, sagte Eike. „Aber ich bin in die Welt hinausgezogen, weil mir das nicht mehr gereicht hat.“
„Sehr gut, junger Freund, sehr gut. Ein deutscher Eierbecher. Aber was ist deutsch? Was ist ein Eierbecher? Unser Thema ist die Identität. Wir wollen eine Welt ohne deutsche Eierbecher, aber mit Ihnen. Sie werden Ihren Weg machen, das verspreche ich Ihnen. Pinky, mein Zeichenblock.“
Eklund warf ein paar Skizzen aufs Papier. Pinky sah ihm zu und stöhnte einige Male wollüstig.
Eike wurde von allen Seiten fotografiert, in verschiedenen Farben geschminkt und mit Stoffen behängt.
So wurde Eike zum Star. Eierbecher mit Henkel werden zu einem Trend. Die Stars und gekrönten Häupter dieser Welt – sie wollen alle einen neuen Eierbecher. Selbst die Queen lässt sich mit einem Eierbecher aus Eklunds Kollektion ablichten.
Als Eike sein Abbild auf der Titelseite des Time Magazine sah – „Eierbecher des Jahres“ -, wusste er, dass er es geschafft hatte.
Fatboy Slim – Right Here, Right Now. https://www.youtube.com/watch?v=ub747pprmJ8

4 Kommentare:

  1. Es gibt erfülltes Leben trotz vieler unerfüllter Wünsche.

    Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) *♥FROHE WEIHNACHT*

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  2. Ein Weihnachtsmärchen für Eike - so soll es sein.
    Viel Spaß mit deinen drei Damen, du wirst bestimmt sagenhaft gute Geschichten hören, die alle stimmen.

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    1. Heute und morgen treffe ich sie ja wieder.

      Eine war jetzt wegen Krebsverdacht und einer Organentnahme im Unterleib (du weißt, was ich meine) sieben Wochen krankgeschrieben. Ihre Chefin hat sich nicht einmal bei ihr gemeldet, wie es nach der OP geht usw. So sind die Vorgesetzten ...

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