Mittwoch, 13. Oktober 2021

Berlin – Rückkehr in die fremde Heimat

 

Zwölf Monate. Mein vorletzter Berlin-Aufenthalt war im Herbst 2019, der letzte im Herbst 2020. Wenn ich in dieser Zeit meinen Zweitwohnsitz vermietet hätte, wäre ich um 20.000 Euro reicher. Aber wer hätte ahnen können, dass Corona mir die Reiseplanung so lange verhageln würde?

Mein Dönermann erkennt mich noch wieder. „Ich bin wieder da“, sage ich. „Ich freue mich“, antwortet er und fängt an, Fleisch vom Drehspieß zu säbeln.

Eine Transsexuelle, die als Ali im Iran auf die Welt kam, hat sich auf dem Alexanderplatz mit Benzin übergossen und angezündet, höre ich im Radio.

Die Computersysteme einiger Verwaltungen funktionieren nicht. Es sei aber kein Cyberangriff. Wozu auch? Berlin schafft das alleine. Auch das Angebot der Telekom, dreißig Tage Internet für 29,90 €, gibt es nicht mehr. Also kein Netz und kein TV. Zeit für Bücher und DVDs.

Viele Restaurants suchen Kellnerinnen und Kellner. In Top-Lokalen bekommt eine Vollzeitkraft 1500 bis 2000 € Trinkgeld im Monat, steuerfrei. Als Gehalt gibt es oft nur den Mindestlohn, im Lockdown bekamen die Leute nur Kurzarbeitergeld auf der Basis des offiziellen Lohns. Davon kann man in Berlin nicht leben (eine 45qm-Erdgeschosswohnung in unserem Haus ist gerade für 950 € kalt vermietet worden!), also haben sie sich andere Jobs gesucht.

Ein Jahr lang habe ich keinen E-Scooter und kein Lastenfahrrad mehr gesehen. Schon am ersten Tag sind sie überall.

Erster Oktober. Ich habe das I Ging befragt, wie es in Sachen Bundesregierung weitergeht. Ergebnis: 17. Sui / Die Nachfolge. „Die Nachfolge hat erhabenes Gelingen. Fördernd ist Beharrlichkeit. Kein Makel.“ Klingt positiv, aber wird es jetzt Scholz oder Laschet? Durch eine 9 auf dem vierten Platz ergibt sich für die Zukunft das Zeichen 3. Dschun / Die Anfangsschwierigkeit. Es ist von Chaos die Rede, das aber in großen Erfolgen mündet, wenn man nicht aufgibt. Das deutet doch eher auf eine Ampel-Koalition unter Scholz hin, nicht auf Weiter-so-Armin.

Ich sitze in meinem Stammlokal und verspeise gerade ein vorzügliches Hirschgulasch, als ein deutscher Handwerker hereinkommt. Er soll etwas in der Küche reparieren und der Wirt öffnet ihm die Küchentür. „Vorsicht, Ausländer!“ ruft er seinem indischen Koch zu und beide lachen. Ich brauche eine Weile, bis ich die Pointe kapiere. So herum funktioniert es natürlich auch.

Was hat sich im Kiez geändert? Das Reisebüro hat geschlossen, jetzt hat sich ein Immobilienmakler in den Räumen eingenistet. Das griechische Restaurant steht leer, vor der Eingangstür liegen Blumen, daneben stehen ein ewiges Licht und ein Bild der Wirtin. Eine Nachbarin erzählt mir, dass der Wirt auch im letzten Winter verstorben wäre, beide jedoch nicht an Covid-19.

Erste Currywurst in diesem Jahr. Curry 36 am Bahnhof Zoo. Es gibt kein Bier mehr! Und die Curry ohne heißt jetzt „Berliner Currywurst (ohne Darm)“, die Curry mit heißt „Curry-Bockwurst (mit Darm)“. Zum Glück entpuppt sich die Bockwurst als Bratwurst. Wahrscheinlich hat ein Schwabe die Bezeichnung „Berliner Currywurst“ juristisch durchgesetzt. Der Blick auf die Gedächtniskirche entschädigt mich beim Essen, aber an Holunder-Bionade zu Currywurst mit Pommes werde ich mich nie gewöhnen. Ist das noch mein Berlin?

Die Corona-Modalitäten in den Restaurants waren durchaus unterschiedlich: Inder und Türke ohne Impfausweis, Italiener, Chinese und Deutscher mit Impfausweis. Den Vogel hat aber der Japaner abgeschossen. Am Eingang der Sushi-Bude war ein Check-In-Schalter aufgebaut. Ich musste nicht nur meinen Impfpass zeigen, sondern auch meinen Personalausweis. Dann wurde ich, eine Schutzmaske tragend, zu einem Tisch eskortiert, wo ich ein umfangreiches Formular ausfüllen musste. Bei der Frage nach den Sexualpartnern der letzten zehn Jahre musste ich zum Glück nur einen Strich machen. Da kam echtes Flughafenfeeling auf. Bei meiner Einreise in Japan war es damals auch nicht komplizierter.

Nur 44 Prozent aller Berliner sind in Berlin geboren.

Am Sonntag sind sowohl der Dönerladen als auch der Späti zu. Ich hoffe, mit der FDP wird das alles anders.

Gibt es Rassismus gegen Weiße? In Berlin schon. Chinesischen Rassismus. Samstagabend in einem China-Restaurant. Ich setze mich an einen Tisch, worauf das junge chinesische Paar am Nachbartisch aufsteht und sich drei Tische weiter wieder hinsetzt. Wenig später: Zwei chinesische Paare haben den Tisch links von mir reserviert. Sie bitten den Kellner, ihnen einen anderen Tisch zu geben. Auch meine Erfahrungen im für chinesischen Rassismus berüchtigten Lokal Grand Tang in Charlottenburg mögen als Beweis dienen (Lesen Sie dazu auch bitte die Kommentare bei Google Maps). Kiezschreiber: Unterwegs in Berlin I

Oma mit Base Cap: Haste mal ne Zigarette?

Ich: Bin Nichtraucher.

Oma: Ooch, wie schade.

Womit sie natürlich recht hat. Warum habe ich eigentlich 2007 aufgehört?

The Prodigy - Out Of Space (Official Video) - YouTube

16 Kommentare:

  1. Habe mal gelesen ( also muß es stimmen ), daß im 17/18ten Jhd.
    2/3 der Berliner Französisch sprachen.
    Weil der gerade aktuelle Fürst, Friedrich, Wilhelm oder Friedrich Wilhelm der Xte,
    viele Hugenotten "reingelassen" hat.
    Das ist also normal, New York, Schmelztiegel. Ha !!

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das hatte nichts mit den Hugenotten zu tun. Französisch war damals die Sprache des europäischen Adels. Im Mittelalter war es Latein. Deutsch hat nur das gewöhnliche Volk gesprochen.

      Löschen
    2. Ja gudd äh...aber soo viele Adelige hingen da auch nicht rum.
      Und die Bildung war auch nicht so durchdringend, daß alle in der Schule Franz hatten.
      Ich las ( also muß es stimmen ), daß es tatsächlich.....u.s.w..
      Und eben, das "gewöhnliche Volk" war schon immer die Mehrheit.
      Und das sprach z.T. Französisch, weil es aus Frankreich kam.
      Und nur weil der Schwabe sagt "du Driebel" ( Terrible ) ist er nicht französischsprachig.

      Löschen
  2. Schön, dass du offenbar eine gute Zeit hattest. Die gestorbene trans Frau hieß Ella.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ja, vor allem das asiatische Essen hat mir ein Jahr lang gefehlt. Hier im Hunsrück gibt es ja keine indischen, thailändischen oder japanischen Restaurants, nur Schnitzel und Pizza.

      Löschen
    2. Das mit dem asiatischen Essen kann ich verstehen. Zwar in der Paralellstraße ein entsprechendes Restaurant hier, aber so teuer, dass ich mir das nicht leisten kann. Dann zwei Stadtteile weiter "China Schnell-Imbiss" (schreibt sich echt so), das, was die bieten, kann ich selber. Für auf Indisch oder Thailändisch spezialisierte Restaurants müsste ich bis nach Düsseldorf oder Essen fahren, ist derzeit aber noch keine Option, ich will noch nicht über eine Stunde in den Öffentlichen sitzen. Schnitzel kann man hier vor Ort auch vergessen. Es gibt ein Restaurant, wo es gut sein soll, das ist finanziell aber wrklich unerreichbar für mich (echtes Kalbschnitzel und entsprechende Preise, 2019 über 20€).

      Ich würde auch wahnsinnig gerne wissen, ob Düsseldorf die Berliner Currywurst noch macht (das Ding am Graf-Adolf-Platz). Ich habe gern an deren Stand auf dem Carlsmarkt gegessen, wenn ich da war. Mein letzter Stand war, die kriegen eine Dependance in Duisburg, ich weiß aber nicht, ob das wegen Corona überhaupt eröffnet wurde. Von außen sahen die aus wie in Düsseldorf.

      Wir hatten überlegt, ob wir irgendwo für meinen Geburtstag reservieren, haben uns dann aber gedacht, wir lassen das. Wenn du mit zwei Rollstühlen und einem ganzen Tross Assistenzpersonen und Kommunikationsgadgets kommst, kannst du vollgeimpft und frisch negativ getestet immer noch nicht rein gelassen werden (weil du die Optik störst, wie man jetzt ganz offen sagt). Gucken, ob wir trotzdem irgendwo was essen, das hier nicht alltäglich ist.

      Löschen
  3. Events im Oktober 2021
    13 Mi

    Internationaler Tag zur Verhinderung von Naturkatastrophen
    Internationaler Tag der Skeptiker
    Nimm-deinen-Teddybär-mit-zur-Arbeit-Tag

    ... 🧸 *kuschel... knuddel... drück*

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Dann werde ich heute eine Naturkatastrophe verhindern. Keine Vulkanausbrüche im Hunsrück!

      Löschen
  4. Fie 45qm Wohnung ist sicher gut gereift und mit Erdgeschosslage auch ordentlich kühl gelagert.
    Mit zunehmender Mietdauer ist da sicher noch mehr abzuschöpfen, spätestens, wenn sich Denns in der griechischen Taverne einnistet.
    Die Czaja Hermanos werden das schon regeln.

    AntwortenLöschen
  5. Kauf Dir für Deine Berliner Wohnung einen Wok und Sesamöl.
    An Hunden ist kein Mangel in Berlins Straßen.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich habe während meines Aufenthalts in Berlin nicht einmal den Herd angemacht und musste keinen einzigen Löffel spülen. Vormittags war ich in Frühstückscafés oder habe beim Bäcker Croissants und belegte Brötchen gekauft, nachmittags war ich jeden Tag im Restaurant. Wenn man 365 Tage am Stück alles selbst machen musste, war dieser Urlaub einfach fällig.

      Löschen
    2. Klar , gutes Personal ist selten und teuer. Selber machen verblödet.
      Aber welcher Bäcker kann Dir den unvergleichlichen Genuss eines Croissants mit Hunderagoutfüllung anbieten?

      Löschen
  6. Hast du noch Freunde in Berlin? (Die noch leben?)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Nur noch zwei. Eines Tages werde ich die Bude in Berlin wohl zu Geld machen. Rente habe ich ja keine zu erwarten ...

      Löschen